Witten. . Die Landesregierung will den zweiten Wahlgang abschaffen. In Wittens Rathaus finden nur CDU und „Solidarität für Witten“ Argumente dafür.

Die CDU/FDP-Koalition in Landtag will die Bürgermeister-Stichwahl 2020 in NRW abschaffen. Für diesen Fall hat ein Bündnis unter anderem aus SPD und Grünen auf Landesebene schon eine Klage angekündigt. In Witten unterstützt außer der Union nur die kleine Fraktion „Solidarität für Witten“ offen die Abschaffung der Stichwahl. Alle anderen Fraktionen, die sich äußerten, sind strikt dagegen. Der Eingriff ins Wahlrecht beschneide die Demokratie vor Ort.

Mit einer oft geringen Wahlbeteiligung, hohen Kosten und einer am Ende dürftigen Legitimation der Amtsträger begründet Schwarz-Gelb im Land den Vorstoß. Auch Wittens CDU-Chef Ulrich Oberste-Padtberg hält die Stichwahl im Grunde für überflüssig, jedenfalls bei Mehrheitsverhältnissen wie in Witten. „Die Stichwahl bestätigt meistens das Ergebnis des ersten Wahlgangs, so wie bei allen Stichwahlen in Witten bisher. Daher hat der Wegfall keinen Einfluss auf das Ergebnis.“ Für die demokratische Legitimierung reiche ein Wahlgang. „Auch bei den Direktkandidaten für Landtag und Bundestag gibt es keine Stichwahl. Hier kann man mit 30 Prozent der Stimmen einen Wahlbezirk gewinnen.“

SPD: Stichwahl stärkt Legitimation

Gerade dieses Argument aber zieht für den SPD-Fraktionschef Uwe Rath bei einer Bürgermeisterwahl nicht. Die Legitimation von Kandidaten, die mit einer dünnen, relativen Mehrheit ins Amt gelangten, sei gering. „Die Summe derjenigen, die sie nicht gewählt haben, ist in diesem Fall deutlich höher als die Anzahl derjenigen, die sie im Amt sehen wollen. Das ist verfassungsrechtlich bedenklich.“

Das zweite Votum biete den Anhängern der unterlegenen Parteien die Möglichkeit, ihre Stimme noch für ihre zweite Präferenz in die Waagschale zu werfen, so Rath weiter. Diese Stimmen gingen sonst verloren. „Gerade vor dem Hintergrund der Aufsplitterung der Räte in viele kleine Fraktionen ist es wünschenswert, dass sich hinter den Spitzen Mehrheiten versammeln, die eine Handlungsfähigkeit der Stadt oder des Kreises ermöglichen.“ Die geplante Abschaffung der Stichwahl ist für den SPD-Fraktionschef „ganz klar wahltaktisch begründet“. Die NRW-CDU befürchte offenbar, „dass dünne Mehrheiten ihrer Bürgermeister- und Landratskandidaten aus dem ersten Wahlgang in der Stichwahl wieder gekippt werden könnten und möchte das verhindern“.

„Die Stichwahl kostet nur unnötig Geld“, findet hingegen Ratsherr Thomas Richter (Solidarität für Witten). Der frühere SPD-Fraktionsvorsitzende plädiert als einziger Vertreter einer kleinen Ratsfraktion (drei Sitze) dafür, die Stichwahl abzuschaffen. Das Interesse der Bürger daran sei sehr gering. Die Stadt Witten habe schon Mühe genug, die Wahllokale noch einmal zu besetzen. Bei allen Stichwahlen in der Vergangenheit habe die Wahlbeteiligung unter der im ersten Wahlgang gelegen. Richter: „Da geht doch kaum noch jemand hin.“ Über eine Wahlempfehlung könnten die kleinen Parteien schließlich auch schon beim ersten Wahlgang mitmischen. „Irgendwann muss man Flagge zeigen.“

Bürgerforum: Stimmen „Drittplatzierter“ fallen sonst weg

In Witten wollen außer der SPD aber auch weitere Ratsfraktionen die Stichwahl beibehalten.

„Die Stichwahl ist die einzige Möglichkeit, mit den Stimmen des Drittplatzierten die Wahl – durch eine Wahlempfehlung oder nicht – zu beeinflussen und diese Stimmen nicht unter den Tisch fallen zu lassen. Insofern halten wir die Stichwahl für demokratischer als deren Wegfall“, nimmt das Bürgerforum Stellung. Würden Kandidaten Bürgermeister oder Landrat, die nur wenige Stimmen auf sich vereinten, würden diese Ämter „entwertet“.

Die Abschaffung der Stichwahl würde „den demokratischen Diskurs auf kommunaler Ebene extrem verkürzen“, befürchtet Ulla Weiß (Linke). „Das schadet einer lebendigen Demokratie.“ Auf kommunaler Ebene können auch Parteilose kandidieren. Weiß: „So viel direkte Demokratie gibt es auf keiner anderen politischen Ebene.“ Bei der Bürgermeisterwahl 2015 hätten die Bürger zwischen Kandidaten mit unterschiedlichen Konzepten wählen können. Ohne Stichwahl würden solche breite Diskussionen weitgehend ausfallen. Die Bürger würden sich sofort auf die beiden Favoriten konzentrieren. Außerdem würden die Parteien sich dann bereits im Vorfeld auf gemeinsame Kandidaten einigen. „Es ist zu befürchten, dass sich nur die Chancen der Kandidaten von SPD und CDU verbessern.“

WBG: Bügermeister muss nicht unbedingt aus der stärksten Fraktion kommen

„Bei der Stichwahl steht mehr die geeignete Person im Vordergrund“, sagt Siegmut Brömmelsiek (WBG). Im ersten Wahlgang orientierten sich die Bürger hingegen eher an der eigenen Partei oder Wählergruppe. Und er verspricht sich mehr Spannung durch Wahl-Koalitionen: „Hier muss nicht zwingend notwendig die stärkste Fraktion den Bürgermeister stellen.“ Vor einer „Verarmung des politischen Wettbewerbs“ warnt auch Pirat Stefan Borggraefe. „Wenn es nur einen entscheidenden Wahlgang gibt, werden sich kleinere Parteien häufiger von Beginn an hinter einem aussichtsreichen Kandidaten einer ihr nahestehenden Partei versammeln müssen.“

>>> Bürgermeisterwahlen in Witten 2015

1. Wahlgang: Leidemann, 44,3 %, 13.611 Stimmen. Schweppe (SPD/CDU), 36,3 %, 11.145 St.. Borggraefe (Piraten), 10,5 %, 3226 St.. Weiß (Die Linke), 5,5 %, 1682 St.. Budziak, 3,4 %, 1049 St.. Berechtigte: 79.814. Beteiligung: 39,1 %.

Stichwahl: Leidemann,
63,6 %, 16.058 Stimmen. Schweppe, 36,4 %, 9174 Stimmen. Wahlbeteiligung: 32,3 %.