Witten. . Eine Jugendbande plagt die Innenstadt von Witten. Geschäftsleute wie der Wirt Robin Schmidt fühlen sich bedroht und im Stich gelassen.
„Mal haben die drei Flaschen Champagner geklaut, mal ein EC-Kartengerät.“ Robin Schmidt, der Wirt des Wittener Ratskellers, hat die Nase voll. Gerade erst haben sie ihm wieder die Pflanzen aus den Blumenkübeln gerissen – ja, es seien manchmal nur Kleinigkeiten. „Aber das hält einen täglich auf Trab.“
Seit einem Jahr fühlt Robin Schmidt sich von einer Jugendbande bedroht, die auf dem Platz vor seinem Restaurant mitten in der Stadt ihr Unwesen treibt. „Es ist immer dieselbe Truppe von zehn bis 15 Jugendlichen, die für Krawalle, Sachbeschädigungen und Einbrüche bei uns verantwortlich ist“, sagt Schmidt (25). Schon mehrfach hat er sich an die Stadt gewandt und bei der Polizei als Zeuge ausgesagt. Nur: „Es ändert sich nichts. Ich fühle mich total im Stich gelassen.“
Sparschwein fort, Laden verwüstet
Da ist er nicht der Einzige. Im Nagelstudio von Vesna Mandic (42) sind eine Kassette mit Wechselgeld und ein Sparschwein gestohlen worden. „Im Laden war alles verwüstet, aber wenigstens nichts zerstört, bis auf die Eingangstür.“ Die schließt Mandic nun ab – auch wenn das Studio geöffnet ist.
Der „Subway“-Betreiber hatte sein Fastfood-Restaurant nach dem dritten Einbruch vorübergehend geschlossen. Auch der Wirt des Ratskellers hat schon überlegt, den Laden dicht zu machen. Inzwischen wandert das Geld aus den Börsen der Kellner im laufenden Betrieb in den Tresor. Ein neues Schloss sichert eine Zwischentür. Abends bleiben mindestens drei Mitarbeiter im Restaurant. Die Polizei zu rufen, das bringe ihm nichts mehr, sagt Schmidt. Die Randale geht trotzdem weiter.
Offenbar auch, nachdem die Polizei kürzlich vier Schüler in Sachen „Subway“ festgenommen hat. Darunter ein 14-Jähriger aus dem benachbarten Wetter, der über 100 Verfahren laufen haben soll. Die Jungs wüssten genau, dass ihnen nicht viel passieren kann, heißt es bei der Kreispolizei Ennepe-Ruhr. Deshalb seien sie weiterhin aktiv.
Der Eindruck, die Polizei tue nichts, sei aber falsch, sagt Volker Schütte vom Bochumer Präsidium, das auch für Witten zuständig ist. „Wir nehmen Tatverdächtige fest und ermitteln. Dann geht die Anzeige an die Staatsanwaltschaft. Wir dürfen die Jugendlichen ja nicht einfach einsperren.“
Staatsanwalt zeigt Verständnis für Betroffene
Das kann in der Tat nur die Justiz veranlassen. Oberstaatsanwalt Paul Jansen, Sprecher des Justizzentrums Bochum, verweist auf eine ganze Reihe von Möglichkeiten im Jugendstrafrecht, „damit sich solche Dinge nicht wiederholen“: Sozialstunden etwa oder Wochenend-Arreste. Immer stehe jedoch der Erziehungsgedanke im Vordergrund. Jansen weiß auch: „In den Ohren der Geschädigten muss sich das wie Hohn anhören.“
Diese müssen sich selbst helfen. Wie Markus Bürger, Mitbesitzer des Wittener Bahnhofsgebäudes, der ebenfalls über Vandalismus und Einbrüche klagt. Ein 14-Jähriger habe immer wieder gestohlen – aus der Buchhandlung oder an der Pommesbude. Auf Überwachungsvideos sei er gut zu erkennen. Doch die Serie setzte sich fort. Schließlich gab Bürger dem jungen Dieb ein Hausverbot. „Zum Schutz meiner Mieter. Und weil wir den jungen Menschen doch zeigen müssen, was geht und was nicht.“
Robin Schmidt am anderen Ende der Wittener Innenstadt hilft das nicht weiter. Der junge Wirt ist fassungslos: „Ich verstehe nicht, dass es keiner schafft, diese Unruhen einzudämmen.“ Er habe zig Zeugenaussagen gemacht, kenne die Übeltäter mit Namen. „Trotzdem gibt es keine Handhabe?“ Er wolle keine Panik schüren. „Aber was muss denn noch passieren?“
„Kurve kriegen“ versucht, den Anführer herauszulösen
Das Ringen mit Jugendbanden ist nicht aussichtslos. „In einer Clique findet man immer einen oder zwei, die man herauslösen kann. Dann bricht das zusammen. Das gelingt nicht immer, aber es gelingt“, sagt Jörg-Konrad Unkrig. Er ist Referatsleiter für Kriminalvorbeugung im NRW-Innenministerium – und hat ,Kurve kriegen’ entwickelt, das Landesprojekt, das Kinder und Jugendliche auf den rechten Weg zurückbringen soll.
Unkrig kennt den Wittener Fall nicht, hat aber Erfahrungen aus ganz NRW. „Fünf bis zehn Intensivtäter beisammen ist sehr selten“, sagt er. Die Regel sei eher: „In einer Gruppe von fünf bis zehn ist oft einer härter drauf. Ein Intensivtäter umgibt sich mit einer Clique. Sie helfen ihm, er fühlt sich unterstützt und bestätigt.“ Die Arbeit mit dem Haupttäter ist ungleich schwerer als mit Kindern, die ein- oder zweimal straffällig wurden. Die Polizei kommt zum Hausbesuch („Gefährderansprache“), Jugendarrest kann drohen.
„Kurve kriegen“ setzt früher an, bei Kindern, die so zu werden drohen. „Wenn sie intensiv und individuell pädagogisch betreut werden, kommt man an eine Vielzahl dieser Kinder heran“, sagt Unkrig. Die Teilnahme ist freiwillig, 40 Prozent der Kinder seien danach nicht mehr kriminell, bei fast allen sank die Zahl und Schwere ihrer Taten.