Witten. . Radweg-Planer empfehlen, die Bahnhofstraße ganz freizugeben. Unter den 200 Radweg-Ideen ist auch eine sehr strittige für die Husemannstraße.

Das 60.000 Euro teure Radverkehrskonzept für Witten ist fast fertig. Die beiden von der Stadt beauftragten Fachbüros Planersocietät (Dortmund) und Via eG (Köln) haben am Mittwochabend im Haus Witten vor 60 fahrradinteressierten Bürgern den letzten Zwischenstand vorgestellt. Die Radwegexperten hatten zuvor rund 150 Kilometer des vorhandenen bzw. gewünschten Radwegenetzes unter die Lupe genommen.

Bis auf den letzten Platz besetzt waren die Stuhlreihen bei der Vorstellung des Planungsstandes im Otto-Schott-Saal von Haus Witten. Vorne: Caroline Huth von der Planersocietät aus Dortmund.
Bis auf den letzten Platz besetzt waren die Stuhlreihen bei der Vorstellung des Planungsstandes im Otto-Schott-Saal von Haus Witten. Vorne: Caroline Huth von der Planersocietät aus Dortmund. © Manfred Sander

Sie schlagen jetzt rund 200 Maßnahmen vor, um das Radfahren sicherer und attraktiver zu machen und so deutlich mehr Wittener aufs Rad zur bringen als bisher. Das ist das erklärte Ziel des Gesamtkonzeptes. Mit fünf bis sechs Prozent Radverkehrsanteil am Gesamtverkehr sei dieser sehr gering, so Frank Reuter, Radwegexperte aus Köln. Selbst in Großstädten wie Hamburg, Berlin oder eben am Rhein liege er heute zwischen zehn und 20 Prozent. Dort habe man aber auch zu radikalen und zunächst unpopulären Maßnahmen gegriffen, zum Beispiel den Autos eine Spur weggenommen, und diese dem Radverkehr zugeschlagen.

Planer: Konflikte mit anderen Gruppen programmiert

Weil der Platz nun mal begrenzt sei, „werden wir auch in Witten in Konflikte kommen, insbesondere mit dem ruhenden Verkehr“, sagt Reuter voraus. „Dann wird die Politik eine Entscheidung treffen müssen, wen sie fördern will.“ Damit zielt er insbesondere auf die Husemannstraße ab. Dort gibt es gegenüber der Berufsschule einen schon heute heiß umkämpften Parkstreifen. Reuter schlägt vor, diesen zugunsten der Radfahrer aufzugeben – und das schon bei einer kurzfristigen Lösung, mit Rad-Piktogrammen auf der Straße. Aber spätestens bei einer aus seiner Sicht langfristig nötigen baulichen Lösung. Der Radweg sei dort auf der falschen Seite angelegt, „ein Seitentausch“ erforderlich. Bergab könnten die Radfahrer im Autoverkehr mitfahren, vor allem bergauf benötigten sie einen Schutzstreifen.

Reuter: „Wenn es nachts geht, geht es auch tagsüber“

Streitpotenzial bietet wohl auch ein anderer Vorschlag von Reuter: Er empfiehlt, die Bahnhofstraße „wenigstens testweise“ ganz für Radfahrer freizugeben. Heute dürfen diese in der Fußgängerzone nur zwischen 20 Uhr und 8 Uhr früh fahren. Das hätten Bürger wiederholt bei den Mitmachtouren und an den Infoständen gefordert. Er habe sich intensiv damit beschäftigt, so der Experte. „Und ich halte die Öffnung auf jeden Fall für möglich.“ Er verweist nicht zuletzt darauf, dass das Verbot schon heute ständige ignoriert werde. „Es wird ja tagsüber trotzdem gefahren, und die Leute geben aufeinander acht. Und in den letzten fünf Jahren hat es dabei nur zwei Unfälle mit Leichtverletzten gegeben.“ Die Straßenbahnschienen seien natürlich „ein Thema“. Doch das Beispiel Erfurt zeige, dass ein Befahren der Fußgängerzone mit dem Rad trotzdem möglich sei. Reuter „Wenn es nachts geht, geht es auch tagsüber.“

Ausgesuchte Beispiele für Problempunkte des Wittener Radwegenetzes und Lösungsvorschläge, erörtert bei der Vorstellung des Radwegkonzeptes am 7.11.2019 in Haus Witten.
Ausgesuchte Beispiele für Problempunkte des Wittener Radwegenetzes und Lösungsvorschläge, erörtert bei der Vorstellung des Radwegkonzeptes am 7.11.2019 in Haus Witten. © Gerd Bertelmann

Die wichtigsten Brennpunkte und Lösungen

200 Verbesserungsvorschläge für das Wittener Radwegenetz machen die Radwegexperten der Planersocietät (Dortmund) und der Via eG (Köln), die die Stadt Witten beauftragt hat, eine Radwegekonzept zu erstellen. Darunter sind kurzfristige, mittelfristige und langfristige Lösungen. Planungsamtsleiter Sebastian Paulsberg betonte bei der Vorstellung des aktuellen Standes in Haus Witten, dass das Konzept noch nicht beschlossen sei. Die Stadtverwaltung werde die Vorschläge selbst noch einmal prüfen und eine Priorisierung vornehmen. Er erwartet, dass das Konzept dann im Frühjahr 2019 dem Verkehrsausschuss zur politischen Beratung und zum Beschluss vorgelegt werde. Die komplette Liste der Verbesserungsvorschläge wurde noch nicht veröffentlicht. Hier die wichtigsten Brennpunkte, Beispiele und Empfehlungen, die in Haus Witten genannt wurden.

Ruhrstraße

Für die Wittenerin Susanne Rühl, Vorsitzende des ADFC EN, ist die Ruhrdeichkreuzung „unsere Wutkreuzung“ und der Abschnitte davor zwischen Gasstraße und Ruhrdeich ein Prüfstein für das ganze Konzept. Die Raumaufteilung sei unklar, der Platz für Radler einfach zu gering, besonders die Querung des Abzweigs Mühlengraben sehr gefährlich. Mittelfristig – nach der Sanierung von Pferdebachstraße und Sprockhöveler Straße – sind hier Geländezukauf, Neubau und Verbreiterung mit Radfahrstreifen auf der Fahrbahn auf beiden Seiten vorgesehen. Kurzfristiger Vorschlag: Führung über den Bürgersteig und die Bushaltstelle mit Piktogrammen (Fahrradsymbol), Tempo-Entschärfung der Auto-Abbiegespur (Mühlengraben) durch eine rote Radweg-Furt dort.

Ruhrstraße: Am Abzweig Mühlengraben wird es für Radfarer oft brenzlig.  Foto: Barbara Zabka
Ruhrstraße: Am Abzweig Mühlengraben wird es für Radfarer oft brenzlig. Foto: Barbara Zabka © Barbara Zabka FUNKE Foto Service

Herbeder Straße

Als „ganz wichtig“ stufen die Experten den Neubau des sogar im Winter viel befahrenen Radwegs zwischen dem Ruhrdeichkreisel und der Herbeder Ruhrbrücke ein. Straßen NRW plane eine Verbreiterung des Radwegs auf 3,50 m im Zuge des Vollausbaus der Straße. Zeitpunkt: „2021 bis 2023“.

Bahnhofsvorplatz

Am Bahnhof fehlten seit Öffnung des Cafés zum Platz dringend zeitgemäße Fahrradbügel. Im Umfeld wurden 65 Räder gezählt, die an Laternen oder Bäumen angeschlossen waren. Beim ADFC steht eine Abstellanlage am Bahnhof ganz oben auf der Wunschliste.

Vor dem Hauptbahnhof fehlen Abstellmöglichkeiten für Fahrräder.
Vor dem Hauptbahnhof fehlen Abstellmöglichkeiten für Fahrräder. © Jürgen Theobald (theo)

Wetterstraße

Den getrennten Rad-/Fußweg an der B 226, der heute am Kohlensiepen endet, soll Straßen NRW bis Wetter weiterbauen. Zeitpunkt: ungewiss. Ein Argument hier: Der Ruhrtalradweg auf der südlichen Ruhrseite sei für Alltagsradler, z.B. Berufspendler, heute schon fast zu schmal, bei dem Tempo, das Pedelec-Fahrer vorlegten.

Schlachthofstraße

Die Verbindung zwischen Pferdebach- und Ardeystraße/Ledderken (Nähe Boni-Center) sei ein Paradebeispiel einer Einbahnstraße, die man für Radfahrer für beide Richtungen freigeben könne. Die Stadt hatte diese Überlegung hier schon verworfen. Die Planerbüros meinen: Bitte noch einmal prüfen! Der Querschnitt reiche aus.

Pferdebachstraße

Hier läuft bereits die Umsetzung alter Pläne: beidseitige Radstreifen von Ardeystraße bis Leostraße, Lückenschluss beim Rheinischen Esel durch neue Fahrradbrücke.

Vormholzer Straße

Zwischen Meesmannstraße „unten“ in Herbede und Vormholz soll ein Schutzstreifen (gestrichelte Linie) die Radfahrer bergauf besser schützen. Die optische Verengung diene gleichzeitig zur Temporeduzierung. Zusätzlich noch Tempo 30 auszuweisen, wie teils gefordert, sei dann nicht nötig, so ein Planer.

Die Planer schlagen eine Klarstellung mit Piktogrammen vor. Radfahrer dürfen hier auf den Bürgersteig fahren, die sind dazu aber nicht verpflichtet.
Die Planer schlagen eine Klarstellung mit Piktogrammen vor. Radfahrer dürfen hier auf den Bürgersteig fahren, die sind dazu aber nicht verpflichtet. © Jürgen Theobald (theo)

Sonstiges

Weitere Ideen: Kampagnen für bessere Abstellmöglichkeiten bei Supermärkten und am Arbeitsplatz und um mehr Schüler aufs Rad zu holen; Vorbildfunktion der Stadt Witten (Dienst-Pedelecs); Aufklärung über „Fahrradstraßen“ (Nachtigallstraße, In der Lake). Und: Mit Piktogrammen klarstellen, wo Radler auf dem Bürgersteig fahren dürfen, aber nicht müssen.