Witten. . Weil Personal fehlt, muss die Awo Patienten abweisen. Dabei ist Horst Parnow nach einem Schlaganfall zu Hause auf Hilfe angewiesen.
Vor zwei Jahren hatte Horst Parnow einen schweren Schlaganfall, sitzt seitdem im Rollstuhl und ist auf Hilfe angewiesen. Nun haben der Wittener und seine Frau Ursula am eigenen Leib zu spüren bekommen, was es heißt, wenn von Pflegenotstand die Rede ist: Der mobile Pflegedienst hat ihnen zum Jahresende gekündigt – aus Mangel an Personal.
Montag bis Freitag jeweils gegen acht Uhr morgens kümmerte sich ein Mitarbeiter der Awo EN um Horst Parnow. Er hat den 78-Jährigen gewaschen, angekleidet, in den Rollstuhl gesetzt. Alles in allem war etwa eine halbe Stunde dafür eingeplant. Den Rest der Zeit sowie das komplette Wochenende hat Ursula Parnow (73) allein gestemmt, was so anfiel. Wenn es nur das Rasieren am Sonntag wäre – doch die kleine, schmale Frau hebt ihren Mann abends auch allein wieder ins Bett. Und wenn sie ihn morgens fertig macht, dann dauert das schon mal eine Stunde.
Er kann die rechte Hand noch ein wenig bewegen
Denn Horst Parnow kann die rechte Hand noch ein wenig bewegen, sich selbst kämmen und die Zähne putzen. „Aber das dauert halt“, sagt seine Frau. Zeit, die ein Pflegedienst per se nicht hat – aber das nur am Rande.
Die Familie legt großen Wert darauf, dass Horst Parnow trotz Pflegegrad 3 so mobil wie möglich bleibt. Im Klartext heißt das: Er sitzt die meiste Zeit am Küchentisch, den linken Arm auf ein Kissen gestützt. Einmal pro Woche ermöglicht der Rollstuhl mit Schiebehilfe eine kleine Runde in die nahe Stadt. Und alle 14 Tage geht’s zum Heimspiel des Portugal SV auf den Husemannplatz. „Wir sind auch froh“, sagt Tochter Sandra Georgalis (41), „dass wir noch Gespräche mit meinem Vater führen können“. Denn die Diagnose sah anders aus.
Nicht sauer auf Awo, sondern auf Gesundheitssystem
Dass der Pflegedienst das Vertragsverhältnis beenden muss, kreidet sie der Awo nicht an. Die hatte außerdem Hilfe bei der Suche nach Ersatz angeboten. Doch Parnows haben sich selbst gekümmert – und hatten Glück: Seit etwa einer Woche ist ein neuer Pflegedienst aus Witten am Start. Worüber sich Sandra Georgalis wirklich ärgert, das sind die Strukturen unseres Gesundheitssystems. Sie sei selbst berufstätig und hätte ihre Eltern nicht genug unterstützen können. „Hätten wir nicht so schnell Ersatz gefunden, dann hätte mein Vater ins Pflegeheim gemusst. Das kann einfach nicht sein.“
Während unseres Gesprächs regt Ursula Parnow ihren Mann immer wieder dazu an, einen Schluck zu trinken. Wischt ihm hinterher liebevoll den Mund ab. Die beiden sind 46 Jahre verheiratet – ein eingespieltes Team. Eigentlich hatten sie ihr Leben im Alter an der Nordsee genießen wollen. Wegen der Krankheit sind sie nach neun Jahren wieder von dort nach Witten zurückgekehrt. Trotz allem hat Horst Parnow, der früher Vorarbeiter bei Thyssen war, seinen Humor nicht verloren. „Sonst wäre ja alles vorbei“, sagt er. „Aber manchmal“, seufzt seine Frau, „könnte man schon verzweifeln“.
„Mitarbeiterinnen sind völlig überlastet“
„Unsere Mitarbeiterinnen sind bis zum Anschlag belastet, so dass manche selbst schon krank werden“, sagt Esther Berg, Bereichsleiterin für soziale Dienstleistungen bei der Awo Ennepe-Ruhr. „Deshalb mussten wir einigen Patienten des mobilen Pflegedienstes gezwungenermaßen kündigen. Das ist uns nicht leichtgefallen .“
16 Pflegekräfte in Teilzeit betreuen bei der Awo etwa 100 Patienten zu Hause. Viele hätten inzwischen schon eine Menge zusätzlicher Arbeitsstunden angehäuft und der Betriebsrat überwache dies streng. Neue Kräfte einzustellen, das ginge nur, wenn jemand ausscheidet. „Und wir brauchen qualifiziertes Fachpersonal“, so Berg. Zeitarbeitsfirmen in Anspruch zu nehmen, das sei keine Dauerlösung. „Auch würden wir unsere Leute gern deutlich besser bezahlen. Aber mit den Kassen müssen wir ja um jeden Euro streiten.“ Dazu komme ein logistisches Problem: Die meisten Patienten wünschten sich den Einsatz des Pflegedienstes zwischen 7 und 9 Uhr.
Bei anderen Pflegediensten sieht es derzeit besser aus
„Auch wir mussten schon mal Patienten kündigen oder hatten ein Aufnahme-Stopp“, sagt Caritas-Geschäftsführer Hartmut Claes. „Das macht kein Pflegedienst gerne.“ Doch derzeit sehe es ganz gut aus. Etwa 70 Kräfte kümmern sich um rund 400 Patienten. Durch verstärkte Öffentlichkeitsarbeit habe man neues Personal gewinnen können. In Witten, sagt er, sei die Situation nicht aussichtslos.
An die dramatische Situation im vergangenen Jahr, als er auf einen Schlag mehreren Patienten kündigen musste, kann sich Volker Rumpel von der Familien- und Krankenpflege im Wullener Feld gut erinnern. „Diese Not haben wir im Moment nicht.“ Im Gegenteil: Man habe noch Kapazitäten frei – bei 80 Mitarbeitern und 400 Patienten.
„Dass wir Kunden kündigen mussten, ist noch nicht vorgekommen. Davon sind wir weit weg“, sagt Dominik Wessel vom Mobilen Pflegeteam in Annen. Unlängst habe man vier Patienten anderer Dienste aufgenommen. Für die knapp 60 Mitarbeiter (bei etwa 300 Patienten) versuche man, den Job attraktiver zu gestalten: So gebe es z.B. keine Doppelschichten mehr – für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf.