Witten. . Die „Alltagsmenschen“ haben Christel Lechner europaweit bekannt gemacht. Die 70-Jährige hat noch viele Pläne – nicht nur mit den Skulpturen.
Sie ist so etwas wie die Visitenkarte Wittens. Ihre Skulpturen sind europaweit bekannt. Aber sie verstauben nicht in Museen, sondern begrüßen die Menschen in Parks und auf Promenaden. „Alltagsmenschen“ heißen die Figuren, die Christel Lechner (70) berühmt gemacht haben. Doch in Witten hat man lange nichts Neues von der Künstlerin gesehen, die auf ihrem idyllischen Hof oben in Durchholz lebt und arbeitet. Im Gespräch erzählt sie, woran das liegt – und wie sich das ändern könnte.
Frau Lechner, auf Ihrem Hof sind gerade nicht viele Figuren zu sehen. Wo sind sie hin?
Auf Ausstellungen natürlich. Die große Polonäse steht gerade in Bad Ragaz, bei der 7. Schweizerischen Triennale der Skulptur, zwei weitere große Gruppen stehen in Rheda-Wiedenbrück und in Hamm.
Und woran arbeiten Sie gerade?
Im August hab ich zwei Fischer gemacht. Der eine steht jetzt in Wenningstedt auf Sylt, der andere in der masurischen Partnergemeinde Sorquitten. Sie haben einen Eimer mit Fischen dabei und blicken – mit der Hand die Augen beschattend - exakt in die Richtung der Freunde, als würden sie warten. Sie richten also ihr Augenmerk auf die anderen, über tausende Kilometer und Ländergrenzen hinweg.
Wie sind Sie denn eigentlich auf die Alltagsmenschen gekommen?
Ich hatte als Keramikerin irgendwann die Schalen satt, dieses Stövchen-Niveau ging mir auf den Senkel. Ich wollte etwas schaffen, das mit dem Ruhrgebiet zu tun hat – diese Idylle zwischen Taubenschlag und Gartenbank – mit meiner ganz eigenen Sprache. So entstanden 1995 zunächst Herr und Frau Bornemann.
Ihr Debüt im Märkischen Museum ein paar Jahre später war dann aber nicht nur erfolgreich...
Nein, es kamen zwar unheimlich viele Besucher – so viele wie noch nie. Vom Kunstverein bin ich jedoch verrissen worden. Aber egal: Der Verein bestimmt schließlich nicht, wo Kunst anfängt und wo sie aufhört. Und die Menschen waren begeistert. Sie sind es bis heute. Das ist mein großes Glück: Dass ich etwas schaffen kann, das die Menschen berührt und anrührt.
Dabei sind Ihre Figuren keine hehren Helden, sondern eher – nun ja – pummelig und recht gemütlich. Werfen Sie einen spöttischen Blick auf die Revier-Idylle?
Nein, auf keinen Fall. Anders als bei meinen Nachahmern – und davon gibt es ja inzwischen einige – hängt bei meinen Alltagsmenschen der Bauchspeck nie über der Bikinihose. Denn ich mache mich mit meinen Figuren niemals über die Leute lustig. Sie sollen vielmehr dazu anregen, den Alltag mit einer Portion Humor zu betrachten, sich selbst nicht so ernst zu nehmen. Ihre Gelassenheit lässt uns eben im Trubel auch mal innehalten und entschleunigen.
Nach so vielen Jahren – haben Sie nicht langsam genug von den Figuren? Ist Ihre enge Verbindung zu den Alltagsmenschen nicht manchmal auch ein Fluch?
Nein. Sie sind mein Leben. Die Figuren – und der Hof. Da steckt meine ganze Lebensenergie drin. Seit 50 Jahren lebe ich hier. Als ich 20 Jahre alt war, sind mein Mann und ich hergezogen. Ich komme ja eigentlich aus Iserlohn. Aber Witten ist meine Heimat geworden. Hier auf dem Hof fühle ich mich angekommen. Zu jeder Jahreszeit. Hier hole ich mir meine schöpferische Kraft.
Seit über 50 Jahren in Witten zu Hause
Christel Lechner wurde 1947 in Iserlohn geboren. Sie begründete mit ihrem Mann, dem Künstler und Keramik-Installateur Peter Lechner, in den frühen 1970er Jahren den Lechnerhof in Herbede.
Seit 1988 zeigt sie fast ausschließlich überlebensgroße Menschenfiguren aus Polystyrol/Beton-Konstruktionen, die „Alltagsmenschen“.
Aber mit seinen 35 000 Quadratmetern macht der Hof doch bestimmt auch viel Arbeit?
Ja, sicher, aber ich sehe das nicht als Arbeit. Für mich ist er wie ein Bilderbuch, das ich aufschlagen und gestalten kann.
Leider haben Sie schon lange nicht mehr zu einem Tag der offenen Tür hier eingeladen.
Ja, die letzte Ausstellung auf dem Hof ist jetzt tatsächlich schon drei Jahre her. Der Aufwand ist einfach zu groß. Es ist wahnsinnig viel Arbeit, alles herzurichten. Das lohnt sich nicht mehr.
Das klingt fast ein bisschen so, als wollten Sie mit 70 Jahren nun etwas kürzer treten.
Ach, wissen Sie, ich denke einfach, alles hat seine Zeit und man sollte aufhören, wenn es am schönsten ist. Vielleicht ist der Moment ja bald gekommen. Zu meinem großen Glück lebt ja eine meine Töchter mit ihrer Familie mit auf dem Lecherhof, sie ist eine großartige Malerin.
Wird sie Ihre Arbeit fortführen?
Vielleicht wird sie auch mal Figuren machen – aber dann eben ihre eigenen. Vielleicht auch nicht. Picassos Kinder haben schließlich auch nicht gemalt.
Und Sie legen dann die Hände in den Schoß? Das kann ich mir gerade nicht so recht vorstellen.
Ach, ich habe noch so viel vor. Ich bin so schnell mit meinen Ideen, dass ich mich manchmal selbst überhole. Zum Beispiel möchte ich unbedingt noch ein Buch über mein Leben schreiben, für meine Enkel.
Und Sie sind ganz aktiv im Lionsclub Rebecca-Hanf. Warum?
Das ist meine Art, etwas zurückzugeben, meinen Erfolg zu teilen. Ich finde es sehr schön, dass wir Frauen gemeinsam etwas für die bewirken können, die es schwerer haben.
Wenn Sie tatsächlich mal aufhören: Wo sollte die letzte Lechner-Ausstellung stehen?
In Witten, das würde ich mir wünschen. Das wäre ein schönes Abschluss.