Witten. Fernsehteams und Reporter berichten über Chipkarten-System am Martmöller-Gymnasium. Die Schüler sind genervt – aber sie stört etwas ganz anderes.
Kamerateams auf dem Schulhof, Reporter halten Schülern das Mikrofon unter die Nase und Schulleiter Johannes Rienäcker erklärt wieder und wieder, was es mit den neuen Schülerausweisen auf sich hat: Hohe Wellen hat die Berichterstattung über das neue Chipkarten-System an den Toiletten des Albert-Martmöller-Gymnasiums geschlagen. Auch die Oberstufenschüler waren echt sauer. Aber nur, weil ihre Karten noch nicht freigeschaltet waren.
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Die Piraten hatten in der letzten Woche Alarm geschlagen. Sie fürchten, die digitale Protokollierung von Toilettengängen könnte zu Überwachung und „personalisierten Pinkelprotokollen“ führen. Denn mit dem neuen elektronischen Schließmechanismus an den Türen wird für einen Tag gespeichert, wer die Toilette benutzt hat – um im Falle von Vandalismus oder grober Verschmutzung die Schuldigen zu finden. Zwei Lehrer können das Schloss auslesen und anhand der Code-Nummern die Schüler identifizieren, die zuletzt die Tür betätigt haben. Problematisch finden das die Piraten – auch aus Datenschutz-Sicht.
„Weniger als eine Hand voll“ habe abgelehnt
Die allermeisten Schüler und Eltern haben damit allerdings offenbar weniger Probleme. „Weniger als eine Hand voll“ der rund 1000 Schüler habe abgelehnt, an dem neuen System teilzunehmen, sagt die stellvertretende Schulleiterin Rut Fröhlings. Diese Kinder hätten selbstverständlich weiterhin Zugang zu Schultoiletten – nur gut die Hälfte wird digitalisiert – und bekämen auch den neuen, identischen Schülerausweis, nur halt ohne die Tür-Zusatzfunktion.
Warum die anderen alle mitmachen? „Ich hoffe, dass die Situation auf den Toiletten besser wird“, sagt etwa Tim Teuber. Der Oberstufenschüler fürchtet zwar, dass die Erfassung der Toiletten-Nutzer im Pausengedränge nicht sehr genau sein wird. Dennoch habe er sich für den Chip entschieden. „Denn die anderen Klos sind nicht zumutbar, da will man echt nicht drauf.“ Maren Hugo (13) sagt: „Ist doch gut, wenn man nachsehen kann, wer was gemacht hat.“ Schülersprecher Thilo Jamelle fasst zusammen: „Das Problem musste gelöst werden und dies ist ein neuer Weg dazu.“ Deshalb hätten die Schüler die Neuerung mit Freude aufgenommen.“
„Die kamen mit Pipi in den Augen nach Hause“
Elternvertreterin Sandra Adamek pflichtet ihm bei. Sie habe von anderen Eltern keine negativen Stimmen gehört und fühle sich gut informiert. Ihre Töchter hätten oft über den Zustand der Klos geklagt, sagt die dreifache Mutter. „Die kamen mit Pipi in den Augen nach Hause.“ Gerade Mädchen seien froh, wenn es auf den Toiletten sauber ist. „Und wer sich nichts zuschulden kommen lässt, der hat auch kein Problem mit einer Türkarte.“
Die von den Piraten kritisierten Benutzerausweise für die Schultoiletten am Albert-Martmöller-Gymnasium stellen für den Datenschutzbeauftragten der Schulen im EN-Kreis, Micha Marrek, kein Problem dar.
„Sie dürfen natürlich nicht benachteiligt werden“
Zwei Dinge hätten geprüft werden müssen, so Marrek: Ob die Einwilligung der Schüler freiwillig sei und ob es eine gleichwertige Alternative für jene gebe, die sich nicht am System beteiligen wollten. „Sie dürfen natürlich nicht benachteiligt werden.“ Das aber sei gegeben. Die offenen Toiletten würden genauso oft gereinigt – und nun zudem noch deutlich weniger genutzt. Auch seine Kollegen in Bochum hätten das seinerzeit geprüft – und sich für das System ausgesprochen.
System läuft in Bochum seit gut vier Jahren
Das Albert-Martmöller-Gymnasium ist nicht die erste Schule mit diesem Toiletten-System. An der Heinrich-von-Kleist-Schule in Bochum wird es seit vier Jahren erfolgreich praktiziert. Zweimal wurde der Chip bislang ausgelesen.
Ob das System in Witten Schule machen wird? Auch am Ruhr-Gymnasium etwa laufen gerade Ausschreibungen für neue Toiletten. Chipkarten seien aber nicht im Gespräch, so die kommissarische Schulleiterin Kerstin Peters.
Die Piraten-Partei bemängelt aber, Marrek sei befangen, weil er selbst Lehrer am AMG ist. Sie hat den Fall dem Landesdatenschutzbeauftragten zur Prüfung vorgelegt. Die Behauptung, er sei befangen, erbost Micha Marrek. „Diese Kritik läuft völlig ins Leere“, sagt er. Der Datenschutzbeauftragte sei immer Mitarbeiter der Behörde, für die er tätig ist. „Das ist im Gesetz so angelegt und ausdrücklich so gewollt.“ Dass er den Fall prüfe, sei nicht die Ausnahme, sondern die Regel. „Außerdem bin ich völlig weisungsfrei.“
„Das Geld hat oft einfach nicht gereicht“
Auch die andere Sorge der Piraten, es könnte zu Verdächtigungen von Unschuldigen kommen, teilen die AMG-Kollegen nicht. Denn nicht das Gedränge in den Pausen sei das Problem. „Es wird nicht randaliert, wenn zehn andere daneben stehen“, sagt die stellvertretende Schulleiterin Rut Fröhlings.
Sie teilt unterdessen das Bedauern darüber, dass die Toilettenfrau, die die Klos auf dem Martmöller-Schulhof von 9 bis 12 Uhr betreut hat, nun keinen Job mehr hat. Aber das sei eine Frage der Finanzierbarkeit gewesen. Der 450-Euro-Job sei über Spenden finanziert worden. „Und die haben oft einfach nicht gereicht.“ Dabei bräuchte man für einen ganzen Schultag und alle AMG-Toiletten ein Vielfaches der Summe.