Witten. . Jeder Wittener kennt das Evonik-Werk, aber die wenigsten waren schon drin. WAZ-Gewinner warfen einen Blick hinter die Kulissen des Chemiekonzerns
400 Mitarbeiter gehen auf dem großen Werksgelände an der Arthur-Imhausen-Straße ein und aus. Am Freitag hatten neun WAZ-Leser die Gelegenheit, sich einmal auf dem Betriebsgelände von Evonik umzusehen. Produktionsleiter Dr. Ulrich Setzmann nahm sich Zeit und erklärte, was sich hinter den Werkstoren der Firma tut.
„Wir kennen die Fabrik eigentlich nur vom Geruch her. Früher, als hier noch Seife hergestellt wurde”, sagt Renate Ruhnau, die als Gewinnerin am zweistündigen Rundgang teilnahm. „Das Werk gehört ja irgendwie zum Stadtbild. Da möchte man schon mal wissen, was hier so los ist“, freut sich eine andere Leserin über den Betriebs-Besuch. Ulrich Setzmann nimmt die Gruppe am Werkstor in Empfang. Straßen und Fußwege schlängeln sich an den großen Produktionshallen vorbei. Sogar eine Art Blitzer gibt es auf dem 160 000 Quadratmeter großen Werksgelände. Hier gilt Tempo 20.
Polyester auch in Lebensmitteldosen
Es geht vorbei an unzähligen glänzenden Röhren und Tanks, in denen unter anderem Polyester gelagert werden. Auch die Firma „IOI Oleo“ hat auf dem Gelände ihre Produktionsstätte. Das Unternehmen mit Hauptsitz in Hamburg produziert Grundstoffe unter anderem für die pharmazeutische und kosmetische Industrie. In die meisten Produktionshallen von Evonik bekommen Besucher keinen Einblick. „Dazu müssten Sie sich einen Ganzkörper-Schutzanzug anziehen. Und das ist bei den Temperaturen kein Vergnügen“, erklärt Setzmann.
Was genau am Evonik-Standort Witten hergestellt wird, erklärt der Produktions- und Technik-Chef seinen Gästen bei Kaffee und Kuchen. Jeder, der schon mal seine Gartenmöbel lackiert hat oder Dosenfutter mag, ist wahrscheinlich schon mit den Stoffen von Evonik in Berührung gekommen. Die Wittener Polyesterharze findet man in Klebstoffen, verschiedensten Lacken und sogar in Innenbeschichtungen von Lebensmitteldosen.
In Produkten steckt ein Teil Witten
Bis aus den Ausgangsstoffen die gewünschten Polyester werden, ist es ein langer Weg. Setzmann erklärt anschaulich den Herstellungsprozess. „Jetzt haben wir auf jeden Fall mehr Respekt vor Dosen“, sagt eine Teilnehmerin. Besucherin Susanne Richter ergänzt: „Ich habe an der Uni Dortmund schon mal für Evonik geforscht. Aber das alles mal live zu sehen, war schon was Besonderes.“
Andere Gäste freuen sich, dass sie ihren Nachbarn jetzt einmal erklären können, was auf dem 16 Hektar großen Gelände hergestellt wird. „Und dass in so vielen bekannten Produkten ein kleiner Teil von Witten steckt, ist auch irgendwie toll“, findet Rainer Ruhnau.
Firma stellte Margarine aus Kohle her
Seit elf Jahren hat der Chemiekonzern Evonik seinen Sitz auf dem Gelände an der Arthur-Imhausen-Straße. Doch viele der Produktionshallen haben eine weitaus längere Geschichte. Im Jahr 1905 wurde dort die Seifenfabrik „MSI“ gegründet. 1912 übernahm der Chemiker und Kaufmann Arthur Imhausen zusammen mit seinem Freund Clemens Stallmeyer das Unternehmen Märkische Seifen-Industrie in Witten.
Der Erste Weltkrieg sorgte für einen raschen Aufschwung der Firma. Die Menschen kauften die Wittener Seife auf Vorrat. Zu Hochzeiten arbeiteten 2000 Frauen in der Fabrik.
Erstes synthetisches Nahrungsmittel der Welt
In den 30er Jahren erfand Imhausen ein Verfahren, mit dem er synthetische Fettsäuren aus Kohle gewinnen konnte. Diese konnten dann zu Seifen und Waschmitteln weiterverarbeitet werden. Und nicht nur das. Auch Margarine ließ sich aus den Fettsäuren herstellen. Imhausen brachte das Produkt 1939 als weltweit erstes synthetisches Nahrungsmittel auf den Markt. „Zu Kriegszeiten hatten die Menschen oft nichts anderes“, sagt Ulrich Setzmann, heutiger Produktionsleiter bei Evonik. „Aber der Gesundheit förderlich war die synthetische Margarine sicher nicht.“
Einige Jahre nach dem Krieg löste sich die „MSI“ auf. Eine Reihe anderer Chemiefirmen siedelten sich am Standort an, darunter kurzzeitig auch der Sprengstoffhersteller „Dynamit Nobel“ im Jahr 1958. Auch Seife wurde noch bis in die 90er Jahre im Industriepark hergestellt.
Heute zwei Konzerne auf dem Gelände
Heute sind die Konzerne Evonik und IOS Oleo auf dem Gelände ansässig. Ein Chemiepark mitten in der Stadt ist dieser Tage selten geworden. Doch die Fabriken leben in guter Nachbarschaft mit den Anwohnern. „Wir hatten seit Jahren keine Beschwerden von den Nachbarn“, so Setzmann.