Witten. . Mit ihrem Nachrüstsystem könnte die Wittener Firma Baumot Autos von der Euro 5 zur Euro 6-Norm verhelfen. Doch verkaufen darf sie es noch nicht.

Ausgerechnet in Witten könnte die Lösung im Dieselskandal liegen. Eine heimische Firma hat das Zubehör, um die Motoren älterer Fahrzeuge nachzurüsten, längst in der Schublade. Der Haken an der Sache: Das Kraftfahrtbundesamt hat die wegweisende Technik der Baumot Technologie GmbH, ehemals Twintec AG, bisher nicht freigegeben. Darüber ärgert sich Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD), die gestern in der Werkshalle zu Gast war.

Mehrere SPD-Politiker betrachten einen mit der Abgasreinigungtechnologie versehenen BMW X5.
Mehrere SPD-Politiker betrachten einen mit der Abgasreinigungtechnologie versehenen BMW X5. © Jürgen Theobald (theo)

Die wahren Promis bei diesem Besuch sind die Autos, die auf Hebebühnen aufgebockt sind. Denn das, was die Ministerinnenaugen sehen wollen, befindet sich unterm Bodenblech. Es ist ein elektrisch beheizter Verdampfer, der in das Auspuffsystem eines Autos eingebaut wird. In dem Bauteil wird Harnstoff (AdBlue) erhitzt und den Abgasen beigemischt – von Beginn der Fahrt an. Deshalb sind die Abgaswerte sogar besser als bei Euro-6-Dieseln, bei denen die Einspritzung erst beginnt, wenn der Motor warm gelaufen ist. Mit dieser Innovation – eine Reduzierung der Stickoxid-Werte um 94 Prozent – ist Baumot berühmt geworden.

Ein Euro-5-Passat wurde vom ADAC bewertet und schaffte es häufig ins Fernsehen: Damals zeigte man den Prototypen. Mittlerweile „ist die Technik serienreif“, so Baumot-Vorstandsvorsitzender Marcus Hausser. Bundesministerin Schulze schaut sich interessiert einen BMW X5 und einen Opel Astra an.

Das BNOx-System, wie sich die Technik zur deutlichen Senkung der Stickoxide nennt, sei begehrt, sagt Hausser. Zwischen 1500 und 2000 Euro (plus Einbau) koste der Nachbausatz, der neben dem Verdampfer und der Software Teile aus dem Hersteller-Zubehör-Regal enthält. Es gibt etwa sieben Einbausets. Denn unterm Bodenblech seien viele Modelle gleich – etwa VW, Audi, Skoda oder Seat.

Doch für dieses Nachrüstsystem fehlt bislang eine Typengenehmigung durch das Kraftfahrtbundesamt (KBA). Erst mit diesem Nachweis steht in den Autopapieren die Euro-6-Norm, die man für Umweltzonen bräuchte oder mit der man Steuern sparen könnte. „Wir sind bereit, es könnte längst losgegangen sein“, sagt Firmenchef Marcus Hausser zur Bundesumweltministerin. „Unser System passt in 95 Prozent aller Fahrzeugtypen. Da muss man schon sehr kreativ sein, um es nicht zu wollen.“

Mehrere Fernsehteams interviewten Bundesumweltministerin Svenja Schulze in der Firma  Baumot Technologie GmbH.
Mehrere Fernsehteams interviewten Bundesumweltministerin Svenja Schulze in der Firma Baumot Technologie GmbH. © Jürgen Theobald (theo)

Svenja Schulze kritisiert ihren Kabinettskollegen, Verkehrsminister Andreas Scheuer von der CSU, und die aufwändige Bürokratie, nach der das KBA arbeite. Zwei erforderliche Gutachten lägen bereits vor. Frühestens Ende 2018 rechne sie mit der Genehmigung. Weitere anderthalb Jahre dauere es, bis man alle Halter ausfindig gemacht habe. Sie setze voll auf die Diesel-Hardware. Schulze: „Den meisten Politikern fallen nach dem Diesel-Skandal nur Fahrverbote ein. Aber wir können nicht das halbe Ruhrgebiet dicht machen. Wir sind das Land der Technik, wir schaffen das auch so.“ Als Umweltministerin habe sie kein Interesse daran, dass der Diesel vom Markt verschwindet. „Die CO2-Werte sind besser als bei Benzinern.“

Ministerin: Hersteller sollen zahlen

Wer soll die Umrüstung bezahlen? „Die Automobilindustrie, denn die Kosten dieser Technik halten sich in einem überschaubaren Rahmen“, sagt Bundesumweltministerin Svenja Schulze bei ihrem Besuch der Firma in Annen. Allerdings gäbe es keine juristische Handhabe. „Die Hersteller können sich auf die Zulassung berufen. Das geht nur mit politischem Druck.“ Schulze schätzt die Kosten bei einer Umrüstung für die am stärksten betroffenen Städte in Deutschland inklusive Umland auf 4,5 Milliarden Euro.

Die Autoproduzenten dürften wenig Interesse an der Baumot-Technik haben. „Die nachgerüsteten Euro-5-Motoren weisen wesentlich bessere Stickoxid-Werte auf als die zurzeit neu verkauften Euro-6-Motoren“, sagt Baumot-Geschäftsführer Henning Middelmann.

Bereits jetzt melden sich etwa 100 Privatpersonen pro Monat in Witten, die die Technik auf eigene Kosten einbauen wollen. Den Leuten läge entweder der Umweltschutz am Herzen oder sie wollen den Wertverfall ihres Wagens aufhalten, so Middelmann. Noch muss Baumot dieses Personen abweisen. Konkreter seien Verhandlungen mit asiatischen Autoherstellern. Diese sehen die Diesel-Hardware als eine Übergangstechnik, so wies es der nachrüstbare Rußpartikelfilter einst war. In einigen Jahren seien diese Motoren sowieso nicht mehr auf den Straßen zu finden.

>> Börsennotiertes Unternehmen forscht in Witten

Die Baumot-Gruppe sitzt in Königswinter und ist eine börsennotierte Technologie-Holding mit fünf Tochterunternehmen im Bereich Abgasnachbehandlung. Bis Mitte 2017 hieß die Wittener Firma Twintec AG, erst mit dem Gang an die Börse folgte die Umbenennung. Baumot ist mit einer Werkshalle und Büroräumen im Wittener Industrie und Technologie-Park zu finden – das ist das Gelände auf dem einstigen Annener Gussstahlwerk an der Stockumer Straße. Laut dem Vorstandsvorsitzenden Marcus Hausser forscht man in Witten, weil alle wichtigen Autozulieferer, deren Teile man benötige, keine 100 km entfernt lägen.

Twintec hat jahrelange Erfahrung auf dem Gebiet der Abgasreinigung von Dieselmotoren bei Nutzfahrzeugen. Bislang werden die Systeme bei großen Motoren eingebaut, wie in Baumaschinen, Stadtbusse, Lkw oder Schiffe.