Hamm/Witten. Sie wurden teilweise lebensgefährlich verletzt, trugen aber die Hauptschuld an dem Unfall. Jetzt gab es für zwei Fußgänger einen kleinen Erfolg.

Wer plötzlich auf die Straße tritt und angefahren wird, muss den Schaden zwar im Zweifelsfall weitgehend selbst tragen. Allerdings hat auch der Autofahrer Schuld, wenn er etwas zu schnell war. Mit diesem Urteil erzielten zwei im Januar 2013 lebensgefährlich verletzte Fußgänger aus Witten nun einen Teilerfolg vor dem Oberlandesgericht (OLG) in Hamm.

Was war passiert? Ein damals 76-jähriger Mann und seine Frau (64) hatten am späten Nachmittag im Januar zu Fuß die Elberfelder Straße überqueren wollen, ohne auf den Verkehr zu achten, so die Überzeugung der Richter. Sie waren dunkel gekleidet und wurden von einem Auto erfasst. In erster Instanz lehnte das Bochumer Landgericht die Klage der Opfer auf Schadensersatz ab.

Autofahrer war elf Kilometer zu schnell

Sie hatten bei dem Unfall in Bommern unter anderem lebensgefährliche Kopf- und Lungenverletzungen erlitten. Von dem Autofahrer, der mit 81 km/h elf Kilometer zu schnell gewesen war, verlangte der Mann als Kläger ein Schmerzensgeld von 50.000 Euro, die Frau von 60.000 Euro. Beide wurden mehrfach operiert und sind noch heute, nach fünf Jahren, in Behandlung.

Das Landgericht kam in erster Instanz zu der Überzeugung, dass laut Paragraf 25 der Straßenverkehrsordnung der grobe Verstoß der Fußgänger deutlich stärker zu gewichten sei. Dahinter trete die „einfache Betriebsgefahr“ zurück, die grundsätzlich mit dem Autofahrern einhergeht. Wörtlich heißt es in § 25: „Wer zu Fuß geht, hat Fahrbahnen unter Beachtung des Fahrzeugverkehrs zügig auf dem kürzesten Weg (....) zu überschreiten.“

Bei niedrigerem Tempo wäre Aufprall nicht so stark gewesen

Das OLG bestätigte diesen Verstoß der Fußgänger zwar. „Sie hätten das Beklagtenfahrzeug wahrnehmen und passieren lassen müssen“, heißt es. Aber das Oberlandesgericht bewertet die Geschwindigkeitsüberschreitung des Autofahrers anders als das Landgericht. Zwar wäre der Unfall laut Gutachter auch dann nicht zu vermeiden gewesen, wenn sich der Fahrer an das vorgeschriebene Tempo von 70 km/h gehalten hätte.

Doch der Zusammenprall mit den Passanten wäre deutlich weniger folgenschwer gewesen, so das Urteil des Sachverständigen, das jetzt ausschlaggebend für die Bewertung des Unfalls durch das OLG war. Statt 60 km/h hätte die Aufprallgeschwindigkeit dann nur 25 km/h betragen. Außerdem wäre der Mann, der vorausgeeilt war, nur von dem Wagen gestreift worden.

Fazit der Richter aus Hamm: Die Verkehrsverstöße des Autofahrers (zu schnell oder zu spät reagiert) wiegen gleich schwer und rechtfertigen eine Haftung von einem Drittel. Deutlich gewichtiger sei aber nach wie vor der Verkehrsverstoß der Fußgänger, „ohne den der Unfall gänzlich vermieden worden wäre.“