Witten. . Mitarbeiter sind überlastet: Es mangelt nicht nur an Fachkräften. Jeder Sozialarbeiter kümmert sich im Schnitt um 65 Fälle. Das sind zu viele.
Zu wenig Personal, zu viele Fälle. Auch das Wittener Jugendamt könne die Frage, ob die Mitarbeiter überlastet seien, eindeutig mit „Ja“ beantworten, so Stadtsprecherin Lena Kücük. Laut einer Studie, die die Hochschule Koblenz und die Deutsche Kinderhilfe jetzt vorstellten, sind viele Jugendämter in NRW beim Schutz von Kindern überfordert.
Dokumentation ist sehr zeitfressend
Eine repräsentative Befragung von mehr als 650 Mitarbeitern aus 175 Jugendämtern ergab, dass sich in manchen Städten ein Ansprechpartner um über 100 Familien kümmern muss – empfohlen wird eine maximale Anzahl von 35 Fällen. In Witten arbeiten aktuell in drei Teams der Bezirkssozialarbeit 26 Menschen. Jeder betreut im Schnitt 65 Fälle. Dazu zählen aber nicht nur Kindeswohlgefährdungen, sondern etwa auch Hilfe bei Familiengerichtsverfahren, Trennung oder Scheidung.
Kücük: „Jeder Bereich hat seine eigenen Anforderungen. Dabei ist allein die umfangreiche Dokumentation der Fälle sehr zeitfressend.“ Offene Stellen blieben nicht etwa aus finanziellen Gründen unbesetzt, sondern allein aufgrund fehlender Fachkräfte. „Wir sind aber dabei, diese Lücken zu schließen.“ Immerhin 18,5 Millionen Euro betrugen im vergangenen Jahr die Ausgaben für die Jugendhilfe – ohne Personalkosten.
Zahl der zu betreuenden Fälle steigt insgesamt
Laut Auskunft des Wittener Jugendamtes steigt die Zahl der zu betreuenden Fälle zwar insgesamt. Ein maßgeblicher Grund sei der Anstieg von psychischen Erkrankungen bei Eltern sowie auch bei Kindern und Jugendlichen. Nicht zugenommen haben jedoch jene Fälle, bei denen es um Kindeswohlgefährdung geht. In den vergangenen beiden Jahren sind jeweils 48 Gefährdungsmeldungen eingegangen.
Tatsächlich lag 2016 in zwölf Fällen eine Kindeswohlgefährdung vor, es gab acht „latente“ Gefährdungen und neunmal bestätigte sich der Verdacht nicht, jedoch benötigten die Familien durchaus Hilfe. 2017 gab es vier Fälle von Kindeswohlgefährdung, zwei latente Fälle und 16 nicht bestätigte Verdachtsmomente mit Hilfebedarf. „Bei akuten Meldungen von Kindeswohlgefährdungen kümmern sich die Mitarbeiter natürlich immer sofort, egal wie hoch die sonstige Belastung ist“, sagt die Stadtsprecherin.
Der Vorschlag der Koblenzer Studie, Kinder- und Jugendhilfe in die Verantwortung des Bundes zu legen, wird auch in Witten eher mit gemischten Gefühlen aufgenommen. „Aus finanzieller Sicht mag man dafür sicherlich Sympathie haben. Ob und wie es als zentrale Aufgabe aber real funktionieren würde – großes Fragezeichen“, verlautet es aus dem Rathaus.