Witten. . Experten gingen davon aus, dass die Betriebe vor 1921 abgebrochen wurden. Beim Verdichten des Geländes kamen sie durch Tagesbrüche zum Vorschein.
Bei der laufenden Aufbereitung der Industriebrache Drei Könige ist die beauftragte Tiefbaufirma innerhalb von drei Wochen auf zwei unterirdische Gebäudekomplexe gestoßen, die keiner mehr in dieser Form auf der Rechnung hatte. Es handelt sich im Norden (Richtung Crengeldanz) um gemauerte Räume und Gänge der Steinhauser Hütte und im Süden (Richtung Gewerkschaftshaus) um Reste der ehemaligen Bessemer Hütte.
„Wir sind entsetzt“, räumt Gerald Klawe von der Stabsstelle Umwelt der Stadt Witten unumwunden ein, dass dieser Fund „ein Schlag ins Kontor ist“. Die Geländesicherung könnte nach erster Schätzung „einen niedrigen bis mittleren sechsstelligen Betrag“ teuer werden als geplant. Ob man dafür vielleicht noch einen Alteigentümer oder dessen Rechtsnachfolger haftbar machen kann??? Da darf man getrost drei Fragezeichen machen.
Nur bis 1913 auf Karten verzeichnet
Dass es auf dem Gelände im 19. Jahrhundert diese beiden Hütten gegeben hatte, in denen Öfen standen, die Roheisen produzierten und dieses auch zu Stahl veredelten, war bekannt. Ihre Umrisse sind in Plänen von 1881, 1892 und 1894 eingezeichnet. Gebaut wurden sie wohl schon um 1860 Bis 1913 sind die Hütten noch auf Karten nachweisbar. Allerdings liegt die heutige Geländeoberkante gut zehn Meter über dem natürlichen Niveau, das man heute noch am Fischertalweg ablesen kann.
Mit einem fast beispiellosen Aufwand habe man die Geschichte des Geländes erforscht, sagt Gerald Klawe. Er verweist auf „ein halbes Dutzend Gutachten“. Das Bergamt, das Stadtarchiv, Feuerwehrakten und Heimatforscher wurden für die historische Recherche herangezogen. Katasterzeichnungen wurden jahrgangsweise gesichtet – in denen waren die beiden Hütten aber 1921, 1925 und danach nicht mehr verzeichnet. Für das Altlasten- und Bodengrundgutachten wurden mehr als 100 Bohrungen niedergebracht. Das Ergebnis war laut Klawe für alle Experten dasselbe: „Es gab keinerlei Beleg dafür, dass wir dort noch auf unterirdische Gebäude treffen würden. Jeder hat gesagt: Da ist nichts mehr. Und was da mal war, wurde samt und sonders abgebrochen.“
Tagesbruch fiel nach Überfahrt mit schwerem Gerät
Das hat sich jetzt als Trugschluss erwiesen. Um das Gelände zu verdichten und auf diese Weise zu sichern, wird es seit Oktober mit zwei schweren Spezialmaschinen bearbeitet: Die erste brach vor drei Wochen fast ein. Der Fahrer hatte aber so viel Tempo, dass der Tagesbruch erst hinter ihm fiel, als er schon ein Stück weiter gefahren war: In der Tiefe zeigte sich die ersten Mauern der Steinhauser Hütte. Beim Nachgraben wurde inzwischen ein gewaltiger Krater freigelegt.
Am Dienstag (30. Januar) kam jetzt die zweite Überraschung: Gut hundert Meter entfernt, nicht weit vom Baufirma-Container, öffnete sich beim Verdichten wieder die Erde: Jetzt war man auch auf Mauerreste der Bessemer Hütte gestoßen.
Mit Bruchsteinen und roten Ziegeln aufgemauert
In welchem Umfang das „Erbe“ der Steinhauser Hütte und der Bessemer Hütte noch in der Brache Drei Könige liegt, lässt sich noch schwer abschätzen. Holz oder Ziegel wurden bisher nicht gefunden, das lässt darauf schließen, dass die Dächer der Gebäude abgerissen wurden.
Gefunden wurden bisher Mauern aus Ruhrsandstein sowie rotes Ziegelmauerwerk: Eingänge, Bögen und Tunnel. Laut Altlasten-Gutachter Holger David (Bochum) handelt es sich offensichtlich um sogenannte „Fuchsgänge“ – Rauchgaskanäle im Verhüttungsprozess. Auch Spuren von Hitzeeinwirkung hat man am Mauerwerk entdeckt. Der größte bisher gefundene Raum gehörte zur Steinhauser Hütte. Er liegt in sechs Metern Tiefe und ist laut Lasermessung etwa 100 m2 groß. „Das ist unsere Kathedrale“, sagt Bauleiter Detlef Schlautmann von der Bochumer Tiefbaufirma Ecosoil respektvoll. Betreten hat die Halle aus Sicherheitsgründen noch keiner.
Alte Hüttengrenzen werden markiert
Um das Gelände dauerhaft für die künftigen Nutzer zu sichern, bleibt der Stadt Witten als Auftraggeberin ohnehin keine andere Wahl: Die Außengrenzen der Hütten, bekannt von den Karten aus dem 19. Jahrhundert, werden jetzt auf dem Gelände abgesteckt. Die unterirdischen Anlagen müssen dann Schritt für Schritt freigelegt werden. Dann sollen sie aufgebrochen werden, das Material soll vor Ort zerkleinert und zum Verfüllen der Hohlräume verwendet werden.
„Wenn es überhaupt etwas Positives an der ganzen Sache gibt“, sagt Gerald Klawe, „dann, dass wir relativ beruhigt sein können, was die Bodenbelastung betrifft“. Die bisherigen Funde belegten, „dass das hier kein Ölsumpf ist“. Angetroffen habe man bisher weitgehend einheitliches Material – eine Mischung aus Bauschutt, Asche und Bergematerial.
Gewaltige Bodenmengen müssen bewegt werden
Welchen zusätzlichen Aufwand das Einplanieren der beiden Hüttenwerke bedeutet, lässt sich an dem gewaltigen Krater erahnen, der gegraben werden musste, um an die nördliche Hütte erst einmal heranzukommen. Bauleiter Detlev Schlautmann schätzt, dass allein hier (und für die zweite Hütte noch einmal) 40 000 Kubikmeter Boden bewegt werden müssen. „Das ist, als würde man ein ganzes Fußballfeld vier Meter tief abgraben.“
Die im Oktober gestartete Aufbereitung des Geländes, um darauf bauen zu können, sollte ursprünglich im Februar abgeschlossen werden. Das ist nicht mehr zu schaffen. Dafür rechnet Klawe vorläufig mit vier zusätzlichen Monaten. Trotzdem werde das Projekt dadurch nicht grundsätzlich in Frage gestellt. Auch den Gesamtzeitplan könne man weiterhin einhalten. Die Baustraße mit Kanal- und Versorgungsleitungen, mit der das künftige Gewerbegebiet von der Aldi-Seite her erschlossen wird, deckt sich glücklicherweise nicht mit den unterirdischen Hüttenresten. Die könne man trotzdem planmäßig jetzt ausschreiben und bis Ende 2018 fertigstellen.
An dem offiziellen Start für die Vermarktung ändere sich deshalb durch die Entdeckung der beiden Hütten also bisher nichts. Die beginne ohnehin erst dann, wenn die Interessenten selbst aufs Gelände können, um sich dort umzusehen.
>> Auf einen Blick
Die Steinhauser Hütte soll eine der ersten gewesen sein, die Stahlbleche für den Schiffsbau geliefert hat. Im Ersten Weltkrieg war sie vermutlich eine „kriegwichtige Produktionsstätte“.
In den 1920er Jahren legte die Reichsbahn Rangiergleise, befuhr die mit schweren Loks. Das gilt als Hinweis, dass die Hüttenreste/Hohlräume schon damals nicht mehr bekannt waren.
Das künftige Gewerbegebiet Drei Könige ist vier Fußballfelder groß (40 000 m2). Dort soll „nichtstörendes“ Gewerbe angesiedelt werden, Firmen von denen keine große Lärmbelästigung ausgeht. Laut Stadt Witten liegen bereits Anfragen vor.
Bei der Aufbereitung des Bodens werden zwei Systeme zur Verdichtung eingesetzt. Die gezogene „Landpac“-Polygonwalze (Foto) entwickelt eine Schlagwirkung bis in fünf Meter Tiefe. Die andere Walze ist selbstfahrend und mit 32 Tonnen laut Baufirma Ecosoil die schwerste weltweit. Sie wackelt und vibriert und wirkt bis in zwei Meter Tiefe. Fährt sie durch, liegt das Gelände danach 30 cm tiefer.