Witten. . Sechs Freiwillige arbeiten derzeit im Christopherus-Haus. Sie kommen aus Madagaskar, Russland, Indonesien und Tadschkistan.

Praktikanten gibt es im Christopherus-Haus schon immer. Aber so bunt wie in diesem Jahr war es noch nie: Seit dem Herbst sind sechs junge Leute auf dem Hof, die aus ganz verschiedenen Teilen der Welt gekommen sind, um in Witten ihr Frewilliges Soziales Jahr zu leisten. Sie kommen aus Russland und Weißrussland, aus Madagaskar, Tadschikistan und Indonesien. Sie sind Protestanten, Katholiken, russisch-orthodox oder Moslems. Und sie sind nun für ein Jahr Kollegen. Aber sind sie auch Freunde? „Nein, wir sind Familie“, sagen sie lächelnd – und es klingt zufrieden.

Auch Werner Körsgen, der stellvertretende Leiter der Wohn- und Lebensgemeinschaft, ist sehr glücklich über die Gruppe, die jetzt im Wullen versammelt ist. Für ihn sind die jungen Menschen „ein großes Geschenk“. Nicht nur, weil sie die Kollegen bei der Arbeit unterstützen, den Job ein bisschen leichter machen. Nicht nur, weil sie die betreuten Menschen, die auf dem Hof wohnen, begleiten, ihnen im Alltag zur Hand gehen.

„Man sieht nicht mit den Augen, sondern dem Herzen“

Sein Ansatz geht weiter: „Hier in Deutschland ist nicht alles gut“, sagt er. „Aber wir alle zusammen können hier etwas gut machen.“ Er will den jungen Leuten, die auf den Hof kommen, die Augen öffnen: „Dass sie in den Betreuten den ganzen Menschen sehen, ihn nicht nur auf seine Behinderung reduzieren.“ Er hofft, dass sie sich öffnen für andere Sichtweisen, dass sie sich austauschen. Buchstäblich. „Zu einem Moslem hab ich gesagt: Gib du mir dein Lieblingsgebet, ich gebe dir meines.“

Einmal im Monat kommen alle zusammen. Dann wird gesprochen über Probleme, dann werden Fragen geklärt. Manchmal nur ganz banale, die die Arbeit betreffen. Aber oft geht es auch ans Eingemachte. Dann sprechen sie über Werte, über Gemeinsamkeiten und Trennendes. „Wir suchen dann das Gemeingültige, das allgemein Menschliche, das uns verbindet.“

Denn wenn die jungen Leute im Herbst zurückgehen in ihre Heimat, dann sollen sie eines gelernt haben auf dem Christopherushof: „Dass man nicht nur mit den Augen sieht, sondern auch mit dem Herzen.“

„Behinderte sind in Deutschland sehr gut integriert“

Anna Zaitceva kommt aus Russland. Die 24-Jährige ist bereits ausgebildete Ärztin, hat schon in Camps in verschiedenen europäischen Ländern gearbeitet. Sie war gut vorbereitet, als sie nach Witten kam: Anna spricht hervorragend Deutsch, hatte mehrfach mit ihrer russischen Vorgängerin auf dem Hof telefoniert. Dennoch war sie sehr überrascht, als sie die Arbeit auf dem Christopherus-Hof kennenlernte. „Die Behinderten in Deutschland sind so gut in die Gesellschaft integriert“, sagt sie. „Das kennen wir in Russland gar nicht.“ In ihrer Heimat treffe man keine Behinderten auf der Straße. „Die sind in Einrichtungen untergebracht.“

„Ich wollte endlich einmal Schnee sehen“

Rizki Rahmat aus Indonesien hatte nur ein großes Ziel, als er sich für das FSJ beworben hat: Der 19-Jährige – das Küken der Runde – wollte unbedingt Schnee sehen! Aber dass es hier so kalt sein würde, dass hat ihn doch überrascht, als er nach seiner ersten Auslandsreise aus dem Flieger stieg. Ein bisschen Heimweh hatte er am Anfang, gibt er zu. „Weil es Käsebrötchen gab statt Reis.“ Inzwischen liebt er Käse – und sein großes Ziel hat er natürlich auch längst erreicht. Bei aller Fröhlichkeit, die er verbreitet, hat der junge Mann ernsthafte Ziele. Er möchte hier studieren, Arzt werden. „Und ich hatte den Traum, Freunde aus aller Welt zu finden. Der ist nun wahr geworden.“

„Auch Behinderte brauchen eine Lebensaufgabe“

Togo Solofondrainibe kommt aus Madagaskar. Auch er hatte mit den Temperaturen zu kämpfen: „Selbst 24 Grad sind hier nicht so warm wie zu Hause“, sagt der 21-Jährige, der am Goethe-Institut Deutsch gelernt hat. In der Arbeit auf dem Hof hat ihn der Umgang mit den Behinderten sehr beeindruckt: „Es war für mich eine Überraschung, dass man in Deutschland mit ihnen arbeitet.“ In Madagaskar seien sie nur zu Hause in den Familien. Das Modell, dass er jetzt kennengelernt hat, will er mit zurück in seine Heimat nehmen. „Ich weiß jetzt, auch Behinderte brauchen eine Aufgabe. Und so ein Projekt will ich in Madagaskar aufbauen.“

„Ich hatte die Wahl zwischen Witten und Düsseldorf“

Volha Tsimafeyeva kommt aus Weißrussland und hat BWL studiert. Die 25-Jährige wollte nach Deutschland, um ihre Sprachkenntnisse zu verbessern. Sie hatte die Wahl zwischen Düsseldorf und Witten. „Ich habe im Internet gelesen und mich aus dem Bauch raus für Witten entschieden.“ Die Homepage des Christopherus-Hauses habe ihr einfach gefallen. Sie habe die Wahl nicht bereut – obwohl sie inzwischen auch in Düsseldorf war. „Es ist schön, dass hier alle wie in einer Familie zusammenleben.“ Wenn sie mit etwas hadert, dann mit dem Essen. „Ich bekomme nur schlecht die Zutaten für meine Gerichte.“

„Wir haben hier bereits Freunde gefunden“

Farrukh Soliev aus Tadschikistan ist neben Rizki der zweite Moslem in der Runde. Der 23-jährige Zahntechniker geht mit ihm freitags regelmäßig in die Moschee. „Wir fühlen uns wohl hier, haben Freunde gefunden.“ Das Miteinander der Religionen mache keine Probleme, versichert er. „Auch Weihnachten war toll hier in Deutschland.“ Farrukh ist im Advent nach Hamburg gefahren. „Das war sooo schön!“ Er möchte – übrigens genau wie seine Kollegen – in den nächsten Monaten noch möglichst viel von Deutschland sehen. „Berlin und München gerne“, sagt er mit leuchtenden Augen. „Und wenn möglich noch mehr von Europa.“

„Für mich ist die Reise eine große Herausforderung“

Für Mandresy Ratsaralafy aus Madagaskar ist der Umgang mit Behinderten nicht neu. Die 29-Jährige hat Sozialarbeit studiert und mit Autisten gearbeitet. Für sie ist die Sprache die größte Herausforderung – und in der Fremde alleine zurecht zu kommen. „Ich habe ja niemanden, der Amtsgänge oder so etwas für mich regelt.“ Die große Reise sei keine Selbstverständlichkeit für eine junge Frau aus Madagaskar. „Bis zur Heirat wohnen die Mädchen bei ihren Eltern.“ Auch sie habe fast täglich Kontakt zu ihrer Familie – und hofft, dass die FSJ-Truppe noch enger zusammenwächst. „Wäre schön, wenn wir alle mal miteinander ausgehen.“