Witten. . Ein Interview mit dem scheidenden Direktor Dr. Norbert Kiesow, der 38 Jahre Lehrer an der Schule war. Sein Nachfolger ist Johannes Rienäcker.
Das Albert-Martmöller-Gymnasium kennt er in- und auswendig. 1979 fing er dort gleich als Referendar an. 38,5 Jahre seiner Lehrerlaufbahn hat Dr. Norbert Kiesow am AMG absolviert. Nach etlichen Jahren als Vize oder auch kommissarischer Schulleiter übernahm er 2013 die volle Verantwortung von Gudrun Sandkuhl. Jetzt macht Kiesow, der im April 64 wird, Platz für einen Jüngeren. Lokalredakteur Johannes Kopps sprach mit dem scheidenden Schulleiter.
Würden Sie jungen Leuten heute noch raten, Lehrer zu werden?
Dr. Norbert Kiesow: Unbedingt! Es gibt nichts Schöneres und Sinnvolleres, als jungen Menschen Fähigkeiten, Kenntnisse und Orientierung zu vermitteln – damit sie ihr Leben und damit auch unsere Zukunft gut gestalten können.
Was hat sich geändert im Lehrerberuf, in der Zeit, die Sie überblicken?
Aktuell fordert uns die Digitalisierung des Lebens heraus. Die Jugend betrifft das beim Umgang mit sozialen Netzwerken. Da müssen wir zum Beispiel Medienkompetenz vermitteln.
Ist Cyber-Mobbing ein Problem?
Ja, natürlich. Beleidigungen und Belästigungen gibt es häufiger, ja schon fast regelmäßig. Das ist aber kein Spezifikum unserer Schule. Wenn wir so einen Fall mal untersuchen, stellen wir mit Entsetzen fest, wie intensiv soziale Netzwerke in der Freizeit genutzt und leider auch missbraucht werden. Wir bekommen auch von Eltern gespiegelt, dass sie mitunter fast hilflos sind, wenn sie versuchen, mit ihren Kindern Regeln zu vereinbaren.
Was kann Schule da tun?
Wir haben ein Medienkonzept entwickelt. Dazu gehören Veranstaltungen für Eltern und dass wir Schülern den verantwortungsbewussten Umgang mit dem Internet vermitteln, das ja auch nicht nur Nachteile hat, sondern auch tolle Chancen bietet. Wir haben Medienscouts, das sind Oberstufenschüler, die bei Bedarf als Experten in andere Klassen gehen. Die stehen als Ansprechpartner bereit, zum Beispiel, wenn es um Internet-Abos geht. Das zeigt durchaus Wirkung, wenn jüngere Schüler von älteren hören, dass man durch PC-Spiele süchtig werden kann.
Welche Veränderungen haben Sie bei den Schülern festgestellt?
Die Zusammensetzung ist heute heterogener, bildet ein größeres Spektrum der Gesellschaft ab. Das hat auch damit zu tun, dass die Grundschulempfehlung keinen verbindlichen Charakter mehr hat. Wir beobachten auch ein anderes Sozialverhalten bei dem ein oder anderen. In den letzten Jahren haben auch die Fälle etwas zugenommen, in denen unsere Schulsozialarbeiterin tätig werden musste.
Das AMG ist 1967 als jüngstes Wittener Gymnasium hinzugekommen. Es hat als erstes Mädchen und Jungen zusammen unterrichtet und galt auch als das „fortschrittlichste“ Gymnasium. Sind die Schüler heute angepasster als früher?
Die Schüler sind heute nicht weniger lebenstüchtig als früher. Aufgrund der gesellschaftlichen Entwicklungen haben sie andere Fähigkeiten als ihre Vorgänger, da wären wir schon wieder bei den neuen Medien. Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre waren die Oberstufenschüler diskussionsfreudiger, suchten eher die Auseinandersetzung oder sogar die Konfrontation. Da ging es dann darum, das Rauchen auf dem Schulhof durchzusetzen. Das wäre heute schwer vorstellbar. Ich habe in den letzten 30 Jahren keinen Sitzstreik mehr erlebt. Aber auch das Kollegium hat sich verändert – heute sitzt auch keiner mehr in Latzhose oder strickend in der Konferenz.
Im Rückblick: War es richtig, das Turbo-Abi einzuführen?
G 8 wurde auf politischer Ebene handwerklich schlecht umgesetzt. Man hätte damals das Modell sechs plus zwei Jahre einführen können. Dann hätten die Schüler nach Klasse 10 einen mittleren Schulabschuss in der Hand gehabt.
Die Rückkehr zu G 9 ist also richtig?
Wir hatten an unserer Schule nicht so diesen Druck empfunden, wie ihn die Elternverbände verspürten. Schließlich hatten wir G 8 weiterentwickelt, Schüler mit einem neuen Hausaufgabenkonzept entlastet. In allen drei Mitwirkungsgremien gab es aber eine ganz deutliche Mehrheit für die Rückkehr zu G 9. Deshalb konnten wir den Eltern schon im Dezember sagen, dass das AMG diesen Weg wählt.
Nachfolger wird Johannes Rienäcker
Der neue Direktor des AMG ist kein gebürtiger, aber ein gelernter Wittener: Johannes Rienäcker (49), der zum neuen Schulhalbjahr die Nachfolge von Dr. Norbert Kiesow antritt, stammt aus Bottrop-Kirchhellen. Er wuchs in Dorsten auf und machte dort das Abitur.
Nach zwei Jahren „in der Friedensarbeit“ für Organisationen in Nordirland hat er in Bochum und Münster auf Lehramt studiert. Rienäcker gibt Englisch und evangelische Religion. 2000 trat er die erste Stelle an der Lessingschule in Langendreer an, wechselte 2014 als Vize-Direktor an die Heinrich-von-Kleist-Schule in Bochum-Gerthe.
Schon 2003 war er mit seiner Familie von Bochum nach Witten-Heven umgezogen. Der 49-Jährige ist verheiratet mit einer Lehrerin, die in Herne arbeitet. Die beiden haben drei Kinder im Alter zwischen sieben und 17 Jahren. „Für mich schließt sich ein Kreis“, sagt Rienäcker. „Ich habe am Ruhr-Gymnasium das Referendariat gemacht, habe eine Tochter am Schiller, da dachte ich mir, ich bewerbe mich einmal am AMG.“
Die Ausrichtung des Martmöller-Gymnasiums habe ihn überzeugt. „Es hat tolle Schwerpunkte im Bereich der individuellen Förderung und dort liegt auch mein persönliches Interesse. Es geht darum, auf die Schwächen , aber auch die Stärken der Schüler einzugehen. Sie haben ein besonders hohes Lernpotenzial dort, wo sie ihre eigenen Interessen haben. Dieses Potenzial wollen wir heben.“
In einer Hinsicht ändert sich im Rektorenzimmer nichts. Rienäcker ist wie sein Vorgänger Schalke-Fan. „Ich weiß, dass das hier ein vermintes Feld ist. Aber ich sag mal: Die Schule bleibt in königsblauer Hand.“