Witten. . Claudia Peltis und Brigitte Kinsky sind sehbehindert. Im Verein haben sie gelernt, ihrem Schicksal den Schrecken zu nehmen.
Als Claudia Peltis zum ersten Mal den „lockeren Treff“ des Blinden- und Sehbehindertenvereins besuchte, erlebte sie eine Überraschung: „Ich dachte, da sitzen alle deprimiert herum und sprechen über ihre Leiden. Aber da saßen 20 Leute, die sich in enormer Lautstärke über alles Mögliche unterhielten“. Das war 1997, Claudia Peltis gerade mal Mitte 20 und ihre Sehkraft ließ beständig nach. Über den Verein wollte sie die Blindenschrift erlernen. Doch dann kam alles etwas anders.
Die heute 45-Jährige, die in der Verwaltung des Jugendamtes arbeitet, ist seit ihrer Geburt sehbehindert. „Ich war ein Sieben-Monats-Kind und Zwilling und lag im Brutkasten. Die Sauerstoffzufuhr hat meine Kurzsichtigkeit verursacht“, sagt Claudia Peltis. Drei Jahre lang ging sie auf eine Sehbehindertenschule, wechselte dann auf eine Regelschule – „und hatte seitdem keinen Kontakt mehr zu Blinden“. Als junge Frau verschlechterte sich ihr Zustand: „Wenn das so weitergeht, bin ich mit 30 blind“, dachte sie. Dabei liest sie doch so gerne. Hörbücher waren damals noch nicht so verbreitet „und andere Hilfsmittel kannte ich ja nicht“.
Lupen und Sockenringe erleichtern den Alltag
Im Verein sei ihr zunächst mal die Angst genommen worden vor dem, was kommen kann. Sie erlernte lebenspraktische Fähigkeiten, etwa sich ein Brötchen aufzuschneiden. Längst nutzt sie Dinge wie Füllstandsanzeiger, sprechende Waagen, Lupen oder Sockenringe – ihr Lieblingshilfsmittel, das dafür sorgt, dass die Paare in der Wäsche zusammen bleiben. Heute besitzt sie auf dem rechten Auge 30 Prozent Sehkraft, kann links hell und dunkel unterscheiden.
Auch für Brigitte Kinski (66) hat die drohende Blindheit ihren Schrecken verloren, seit sie dem Verein angehört, dessen Vorsitzende sie ist. Ihre Augenärztin hatte sie dorthin geschickt. Kinsky ist ihr dafür immer noch dankbar. „Ich wurde dort so toll aufgenommen.“
Mit Anfang 50 ging sie in Rente
Als sie 47 Jahre alt war, wurde bei ihr eine Makuladegeneration diagnostiziert, also eine Erkrankung der Netzhaut. Brigitte Kinsky arbeitete damals als Kassiererin im Supermarkt. „Plötzlich habe ich Fehler gemacht, das Geld nicht mehr erkannt.“ Eine Zeit lang hielt sie durch. Als sie mit 52 eine Umschulung machen wollte, sagte man ihr, sie sei zu alt und solle Rente beantragen. Genau das tat sie. „Innerhalb von wenigen Monaten war ich aus dem Verkehr gezogen.“
Inzwischen liegt ihre Sehkraft bei zwei Prozent. Doch ihre Zeit nutzt sie nun, um anderen zu helfen. Wer Probleme mit dem Sehen hat, kann sich an sie wenden. Geht es nicht anders, besucht Brigitte Kinsky die Leute auch zu Hause. Und stellt oft fest: „Die sitzen da im Halbdunkel und sind unglücklich.“ Sie erklärt ihnen dann, welche Hilfsmittel es gibt. Unterstützt bei Anträgen. Und legt ihnen ans Herz, sich draußen kenntlich zu machen, etwa durch einen Anstecker oder einen Taststock.
Mal von Frau zu Frau: Wie klappt’s eigentlich mit dem Schminken und Frisieren? „Entweder ich frage meinen Mann oder lasse es sein“, sagt Claudia Peltis, Brigitte Kinsky schmunzelt: „Achten Sie mal drauf. Die meisten Blinden tragen ihre Haare kurz.“
Übrigens: Jetzt erst lernt Claudia Peltis, die eingangs erwähnte Punktschrift. Vorsichtshalber.
>> INFORMATION
- Der Blinden- und Sehbehindertenverein Witten hat 40 Mitglieder. Sie sind zwischen 22 und 90 Jahre alt, im Schnitt aber über 60. Die Mitgliedschaft kostet 96 Euro pro Jahr, für Heimbewohner die Hälfte. Es gibt regelmäßige Treffen, Feiern, Vorträge.
- Beratungen finden ab Januar im Gebäude der Uni an der Stockumer Straße statt (Info folgt). An jedem vierten Mittwoch im Monat gibt’s ab 16.30 Uhr den lockeren Treff in Haus Fründt – und noch vieles mehr. Info: 88304 (Kinsky), bzw@peltis.de