Nach der Lockerung des Baumschutzes fallen in den Gärten Nadelbäume und Birken. Der Baumschutzbeauftragte sieht seine Befürchtungen bestätigt.
Im Frühjahr hatte die Große Koalition im Wittener Rat eine Lockerung der Baumschutzsatzung in einer Kampfabstimmung durchgesetzt. Doch die Auswirkungen zeigen sich erst jetzt, nach dem Ende der jährlichen Schonzeit nach dem Bundesnaturschutzgesetz. Die Fällsaison hat am 1. Oktober begonnen. Die Folgen der neuen Rechtslage sind jetzt sichtbar und hörbar.
„Die Motorsägen stehen nicht mehr still, das ist anders als früher“, nimmt der oberste städtische Baumschützer Bernd Ammersilge (61) kein Blatt vor den Mund. Früher bekam er im Jahr etwa 250 Anträge für Fällgenehmigungen auf den Tisch. Heute sei es vielleicht noch die Hälfte. Früher durften Bürger ab 80 cm Umfang ohne Genehmigung im Garten nur Obstbäume (Ausnahme: Walnuss, Esskastanie) fällen. Heute gilt das auch für alle Nadelbaumarten sowie Birken, Pappeln und Weiden.
Viele besorgte Anrufe von Nachbarn
„75 Prozent des gesamten Baumbestandes in privaten Gärten sind aber Nadelbäume und Birken“, bilanziert Ammersilge. Er hatte sich erfolglos gegen die Aufweichung der Satzung gestemmt und sagt jetzt: „Meine Befürchtung ist wahr geworden.“ Das macht er auch an der deutlich gestiegenen Zahl besorgter Nachbarn fest, die ihn anrufen, um vermeintlich illegales Fällen zu melden. Oder die verunsichert nachfragten: Ist das erlaubt? Etwa zwei solcher Anrufe bekomme er am Tag.
Eine Bürgerin rief kürzlich an, weil nebenan „eine wunderschöne dicke Lärche gefällt wurde. Die Nachbarin war am Weinen. Aber, was soll ich machen? Nadelbäume stehen nicht mehr unter dem Schutz der Satzung.“ Auch bei einem Urweltmammutbaum, der an anderer Stelle fiel, waren ihm die Hände gebunden. Das waren prächtige Einzelexemplare. Ammersilge bangt aber auch um den Bestand an Eiben und Zedern in den Gärten. „Um die tut es mir sehr leid.“ Und um die Birken.
„Die waren doch alle schon mal Baum des Jahres und sind besonders schutzwürdig.“ Ein großes Manko der neuen Satzung ist für ihn, dass die freigegebenen Baumarten „ersatzlos“ gefällt werden dürfen. „Ohne Nachpflanzungen geht der Temperaturanstieg weiter, werden weniger Staub und Abgase aus der Luft gefiltert und wird weniger Sauerstoff produziert.“
Baumpflegedienst bestätigt Anstieg von Aufträgen
Thorsten Voigt (43), Inhaber des Wittener Baumpflegedienstes Idea Botanica, bestätigt die gestiegene private Nachfrage für das Entfernen von Nadelgehölzen, Birken und Weiden. „Was von der Politik freigegeben worden ist, wird jetzt auch ringsherum gefällt, dem kann ich nur zustimmen.“ Der Diplom-Ingenieur für Forstwirtschaft, der vier Baumkletterer beschäftigt, räumt offen ein, dass er dabei zwei Seelen in der Brust hat. „Für das Geschäft ist das natürlich gut, aus ökologischer Sicht aber nicht so gut.“
Voigt hat aber auch Verständnis für Kunden, die jetzt eine durchgewachsene Weihnachtsbaumhecke aus 30 Meter hohen Fichten entfernen lassen wollen. In solchen Fällen, räumt er zugleich ein, habe der städtische Baumschützer eigentlich aber auch meistens ein gesundes Augenmaß walten lassen.
Voigt verweist außerdem auf einen offensichtlichen „Nachholbedarf“. Viele Privatleute, deren Antrag in den vergangenen Jahren abschlägig beschieden wurde oder die wegen Aussichtslosigkeit keinen gestellt hätten, hätten auf diese Freigabe schließlich seit Jahren gewartet.
Baumschutz-Bündnis hofft auf neuen Schub
Seit Anfang Oktober werden in Witten verstärkt Nadelbäume, Birken und Weiden gefällt. Das bestätigen Fachleute wie der städtische Baumschutzbeauftragte oder der Inhaber eines Wittener Baumpflegedienstes.
Durch diese Entwicklung sieht sich die Wittener Baumschutzinitiative bestätigt. „Es macht mich traurig, dass es – wie von mir und vielen anderen vorhergesagt – durch die Lockerung des Baumschutzes zu deutlich mehr Fällungen kommt“, sagt Stefan Borggraefe, Sprecher der Initiative. „Nach den Erfahrungen aus anderen Kommunen war dies absehbar. Der Beschluss der Groko im Rat war ein Frevel gegen Umwelt- und Klimaschutz und muss rückgängig gemacht werden.“
600 Unterschriften gesammelt – 4000 sind nötig
SPD und CDU hatten gegen den erbitterten Widerstand fast aller anderen Fraktionen die Lockerung der Baumschutzsatzung durchgesetzt. Über das Fällen von Nadelbäumen, Birken oder Pappeln entscheiden Gartenbesitzer nun allein. Die unterlegenen politischen Gegner schlossen sich zum „Baumschutz-Bündnis“ zusammen, starteten eine Gegenkampagne. Die Initiative sammelt Unterschriften für den Einwohnerantrag „Baum ab? – Nein Danke“.
4000 Unterschriften sind nötig, um den Rat zu zwingen, sich erneut mit dem Thema zu beschäftigen. Die Initiative sei zwischendurch „etwas eingeschlafen“, gibt Borggraefe zu. Viele Beteiligte hätten sich auf den Bundestagswahlkampf konzentriert. Etwa 600 Unterschriften habe man bisher gesammelt. Borggraefe und seine Mitstreiter hoffen jetzt auf einen neuen Schub für die Aktion.
Formulare findet man im Internet auf baumschutz-witten.de. Eine Anlaufstelle ist der Laden Naturtuche, Steinstraße 7, im Wiesenviertel. Der Initiative gehören Grüne, Bürgerforum, Linke, Piraten, Solidarität für Witten und die Nawit an.
>>> Gelockerte Satzung ist kein völliger Freibrief
Die am 11. Mai 2017 geänderte städt. Baumschutzsatzung schützt weiterhin die Laubbäume in privaten Gärten. Ausgenommen sind Birken, Pappeln und Weiden (Kopfweiden sind geschützt).
Ab einem Stammumfang von 80cm darf man geschützte Bäume nur mit Genehmigung der Grünflächenabteilung fällen. Sie kann Ersatzpflanzungen anordnen. Das gilt nicht für Gefahrenbäume.