Witten. . Im Fotorätsel erinnerten wir an das Sprengstoff-Unglück auf dem Roburit-Werksgelände. Die Bilanz: 41 Tote, 200 Verletzte, 2000 Obdachlose.
In unserem Fotorätsel ging es diesmal um die Explosion der Roburit-Fabrik. Sie forderte vor 111 Jahren das Leben von 41 Menschen, 200 wurden verletzt.
Unter den vielen richtigen Antworten unserer Leser waren auch zahlreiche, die sich mit persönlichen Geschichten verbanden.
Hier einige Auszüge:
Volker Zacher (Enkelsohn von Gustav und Wilhelmine) und Silke Schlewitt-Schulz : „Im November 1906 explodierte die Roburit-Fabrik für Sicherheitssprengstoff, direkt an der Stadtgrenze zu Annen. Unsere Groß- und Urgroßeltern, Wilhelmine und Gustav Zacher, waren zu dem Zeitpunkt aus Essen angereist, um die Eltern in Annen zu besuchen.
Mit dabei waren ihre Kinder Emma, zwei Jahre alt, und Walter, zu dem Zeitpunkt erst zwei Monate alt. Das Baby wurde zum Wickeln auf den Küchentisch gelegt, als die gewaltige Druckwelle nach der Explosion Annen erfasste und die Küchenlampe aus der Decke riss und das Baby traf.
In dem Chaos, das dann entstand, war es wohl nicht möglich, eine ärztliche Versorgung für das verletzte Baby in Witten zu erhalten. Unsere Großeltern versuchten, so schnell wie möglich wieder zurück nach Essen zu kommen, um Hilfe für den kleinen Sohn zu finden. Leider waren die Verletzungen zu schwer und das Baby verstarb. Diese Geschichte wird seit Generationen in unserer Familie wach gehalten.“
Ulrike Jäger: „Ein Grabstein auf dem evangelischen Friedhof an der Pferdebachstraße erinnert an das Roburit-Unglück. Die Inschrift lautet: ‘Den bei der Zerstörung der Roburit-Fabrik durch Explosion am 28. November 1906 in treuer Pflichterfüllung verunglückten Mitgliedern der städtischen freiwilligen Feuerwehr.’“ Willi Hautkappe. geb. 13. Oktober 1851, gest. 24. Dezember 1906.
Werner Schultze: „Es handelte sich um die Roburit-Fabrik, in der Sprengstoff für den Bergbau hergestellt wurde. Tote, Verletzte und Obdachlose waren das fürchterliche Ergebnis der Explosion. Die Sachschäden an Gebäuden und Hausrat beliefen sich auf 2,5 Millionen Mark.
Staatliche Wiederaufbauhilfen wurden nicht gezahlt, die Feuerversicherungen lehnten Entschädigungen ab. Durch Spendensammlungen konnten ein Sechstel der Sachschäden vergütet werden. Das Unglück verunsicherte die Menschen nicht nur in der Region, im gesamten Deutschen Reich fragte man sich, wie eine solche Fabrik in einem Wohngebiet errichtet werden konnte.“
Anmerkung der Redaktion: In vielerlei Hinsicht ist es bis heute exemplarisch für den Umgang mit technischen Katastrophen in der Industriegesellschaft.
Werner Roddeck: „Mit der Fabrik habe ich mich vor acht Jahren intensiv beschäftigt, als ich einen Geocache als Multicache (Roburit GC1KY56) zum Thema Roburitfabrik ausgearbeitet habe. Der Cache startete am ehemaligen Fabrikeingang und endete am Annener Freibad. An dieser Stelle befand sich zum Zeitpunkt der Explosion ein kleiner Stausee.
Dessen Damm brach nur wenige Tage später, vermutlich als Nachwirkung der Explosion. Der Cache wurde inzwischen archiviert, da das Finale am Freibad immer wieder gemuggelt (von Nicht-Kundigen zufällig entdeckt und entfernt, d. Red.) wurde.“
Klaus Tüttelmann: „Als die Fabrik 1906 in die Luft flog, stand mein Elternhaus gerade mal zwei Jahre in Annen. Nach dem Bumms passte keine Tür und kein Fenster mehr. Der Luftdruck, der sich hauptsächlich Richtung Annen ausbreitete, hatte das Haus in sich verschoben. Aus Erzählungen meiner Mutter weiß ich, dass mein Großvater als Mitglied der freiwilligen Feuerwehr Annen bei den Löscharbeiten dabei gewesen ist. Es gab auch in der Familie Fotos von den Lösch- und Aufräumungsarbeiten. Leider kann ich über deren Verbleib keine Auskunft geben.“
Im Stadtarchiv sind die Roburit-Katastrophe und die Folgen dokumentiert
Bis heute beschäftigt sich das Stadtarchiv mit der Explosion der Roburit-Fabrik und ihren Folgen. Archivleiterin Dr. Martina Kliner-Fruck erzählt, dass sich dort neben Briefkopfbögen der Firma über hundert Akten zur Firmengeschichte und zur Roburit-Katastrophe befänden. Die habe 1906 durch eine massenhafte Katastrophen-Neugier traurige reichsweite Bedeutung erfahren.
Bei diesem Archivgut handelt es sich um Originale wie zum Beispiel um eine Denkschrift zur Katastrophe, Berichte zum Unglück mit seinen Folgen für Witten, Annen und Umgebung, für seine Bewohner und die Verunglückten.
Außerordentliche Überlieferung
Die Baupolizei- und Gewerbeakten vor der Katastrophe, Dokumente zu Explosionsschäden, Beileidsbekundungen und Gedichte, Fürsorgeakten und Dokumente zu Spenden- und Hilfsaktionen hätten einen hohen, auch überregionalen Quellenwert, so die Expertin.
Über 30 Bildpostkarten, die zum Tag der Archive 2012 präsentiert wurden, Fotos und die auf Mikrofilm gespeicherten Tageszeitungen komplettieren diese außerordentliche Überlieferung.
Zum hundertsten Jahrestag der Roburit-Katastrophe zeigte das LWL-Museum Zeche Nachtigall im Jahr 2006 in Kooperation mit dem Stadtarchiv eine Sonderausstellung mit dem Titel: „Sprengstoff! Die Explosion der Wittener Roburit-Fabrik 1906.“ Wenige Exemplare der von Historikern verfassten umfangreichen LWL-Begleitdokumentation zur Ausstellung sind derzeit noch im Stadtarchiv erhältlich.
Stadtarchiv sammelt weiter
Das Stadtarchiv nimmt bis in die Gegenwart Außergewöhnliches zur Geschichte der Firma Roburit in seine Sammlung auf. Darunter als Schenkung ein versilbertes Taschenmesser mit der Fabrikansicht vor der Explosion, das bis dahin nicht bekannt war. Vor zwei Jahren erwarb das Archiv ein beachtliches Fotoalbum mit 20 Schwarz-Weiß-Abbildungen, die um 1900 entstanden.
Sie wurden damals vom Wittener Fotografen Thomas Kaphengst erstellt. Ein durch Fotografien von F. Goebel zur Roburit-Explosion erweitertes Exemplar befindet sich im Archiv der Industriemuseen des Landschaftsverbandes.