witten. . Die Gedenkveranstaltung zur Reichspogromnacht 1938 erinnert ans Nazi-Grauen. Am Mahnmal der abgebrannten Synagoge wurden Kränze niedergelegt.

  • Gedenkveranstaltung zur Reichspogromnacht 1938 erinnert ans Grauen der Nazis in Witten
  • Kranzniederlegung am Mahnmal der niedergebrannten Synagoge
  • Jüdische Mitbürger wurden malträtiert, ihre Wohnungen demoliert

Viele gehen im Laufe des Jahres achtlos an den rostigen Stahlplatten vorüber, die gegenüber vom Ruhr-Gymnasium stehen. Doch am Donnerstagabend (9. 11.) erhielt dieser Ort einmal mehr die Aufmerksamkeit, die er eigentlich dauerhaft verdient hätte: Hier, an der Ecke Breite Straße, stand einst die prächtige Synagoge, die von den Nazis in der Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 niedergebrannt wurde.

Durch Reden, Kranzniederlegung und eine Schweigeminute wird einmal im Jahr daran erinnert, was auch in der Ruhrstadt den jüdischen Mitbürgern angetan wurde. Vertreter der Stadt, des Kulturforums, der Deutsch-Israelischen Gesellschaft und des Freundeskreises der Israelfahrer, aber auch weitere Verbände, Parteien und Einzelpersonen nehmen stets an dieser Gedenkveranstaltung teil.

Schüler lesen am Mahnmal

Gut ist, dass sich jedesmal zwischen hundert und 150 Wittenern dazu einfinden. Noch besser wäre es, wenn viel mehr jüngere Gesichter im Publikum zu finden wären. Denn das würde die Chance erhöhen, dass auch die nächsten Generationen dieses düstere Kapitel deutscher Geschichte nicht überblättern. Immerhin ist die regelmäßige Einbeziehung von Schülerinnen und Schülern in diese Veranstaltung an der Ecke Breite Straße/Synagogenstraße, aber auch bei der regelmäßigen Verlegung von Stolpersteinen für Nazi-Opfer im Stadtgebiet ein positives Zeichen.

Nach einführenden Worten von Bürgermeisterin Sonja Leidemann lasen am Donnerstagabend die Ruhrgymnasiasten Yamamah Alabed, Benedict Malz und Jan Philipp Sagrillo unter dem Titel „Wenn ich alles, vergesse, das nie“ Auszüge aus Erinnerungen von Zeitzeugen und Opfern – aus Dokumenten, die sich im Stadtarchiv befinden. Auch dessen Leiterin Dr. Martina Kliner-Fruck erinnerte in ihrer Rede an die tragischen Lebensläufe der jüdischen Wittener Familien.

Beim Licht einer Taschenlampe las Dr. Martina Kliner-Fruck, Leiterin des Stadtarchivs, aus einem Brief der Jüdin Rebecca Hanf, die am Parkweg wohnte.
Beim Licht einer Taschenlampe las Dr. Martina Kliner-Fruck, Leiterin des Stadtarchivs, aus einem Brief der Jüdin Rebecca Hanf, die am Parkweg wohnte. © Bastian Haumann

Es ist bis heute unfassbar, was sich damals mitten in Witten unter den Augen vieler Bürger abspielte. Etwa in der Hauptstraße 63, gegenüber vom Feuerwehr-Depot, wo die jüdischen Familien Löwenstein, Liebenthal und Safirstein wohnten. In Paul Safirsteins Erinnerungen, die bei der Kranzniederlegung vorgelesen wurden, heißt es über die Pogromnacht: „Langsam neigte sich der Abend und wir hörten von Zeit zu Zeit Gruppen oder motorisierte Kolonnen vorbeiziehen mit ihren Gesängen, die den Refrain hatten: ,SA-Kameraden, hängt die Juden, stellt die Bonzen an die Wand’ oder: ,Erst wenn das Judenblut vom Messer spritzt, dann geht’s nochmal so gut.’“

Aus ihrem Versteck auf dem Dachboden konnten die vor Angst zitternden Wittener Juden sehen, „wie der Himmel immer heller wurde von dem Widerschein der brennenden Synagog, aber kein Feuerwehrauto bewegte sich, um den Brand zu löschen“.

Nazis zerstören Wohnungen und Geschäfte

Nachdem Wohnungen und Geschäfte demoliert worden waren, wurden die Juden von der Polizei in „Schutzhaft“ genommen und zum Polizeirevier in der Poststraße getrieben. Paul Safirstein erinnert sich: „Wie wir hörten, waren wir die ,Glücklichen’, die unversehrt blieben. Wir hörten, wie man Herrn Katz am Humboldtplatz die Treppe runterstieß und mit den sogenannten ,Ehrendolchen’ bearbeitete. Familie Rosenthal in Annen wurde nackt durch die Felder hinter ihrem Haus getrieben, bis sie zusammenbrachen.“