Witten. . Hochgradig Sehbehinderte können bei der Stadt eine Ausnahmegenehmigung für ihr Tier beantragen. Denn Führhunde brauchen Erholungsphasen.
- Für Blindenführhunde gilt in der Stadt jetzt keine Leinenpflicht mehr
- Tiere dürfen sich auf der Wiese vom anstrengenden Dienst erholen
- Hochgradig Sehbehinderte können Ausnahmegenehmigung beantragen
Wenn Brigitte Kinsky oder Sabrina Führer mit Bailey und Guinness im Lutherpark oder im Voß’schen Garten eine Runde drehen, dann werden sie von manch anderem Hundebesitzer schon mal komisch angeguckt. Denn ihre beiden Labradore laufen manchmal frei und ohne Leine über die Wiese – obwohl das eigentlich in Witten nicht erlaubt ist. Doch die beiden Frauen sind hochgradig sehbehindert, ihre Tiere sind Blindenführhunde – und seit Neuestem von der sonst in der Stadt geltenden Leinenpflicht befreit.
Diese Ausnahmeregelung dient dem Wohl des Tieres, das normalerweise im Führgeschirr seinen Dienst tut. Dann, erklärt Brigitte Kinsky (66), die noch eine Sehkraft von zwei Prozent besitzt, werde der Hundeinstinkt abgeschaltet. Weder Tauben noch Artgenossen dürfen ihre Bailey (4) in diesem Fall interessieren. Auch Streicheln ist dann nicht erlaubt. Schließlich muss die Hündin sie sicher durch den Straßenverkehr leiten, muss zum Beispiel Hindernisse erkennen und dafür sorgen, dass Frauchen nicht vor eine Wand läuft.
Klar, dass das anstrengend für das Tier ist. Aus diesem Grund braucht Bailey – allerspätestens nach anderthalb Stunden – Erholungsphasen und Zeiten, in denen sie sich ohne Geschirr und Leine bewegen kann – möglichst nicht nur auf Asphalt. Als Brigitte Kinsky ihre Hündin deshalb vor einiger Zeit im Voß’schen Garten frei herumlaufen ließ, hielt ein Außendienstmitarbeiter der Stadt sie an und wies sie darauf hin, dass das nicht erlaubt sei. Womit er zu diesem Zeitpunkt grundsätzlich Recht hatte.
Langes Gespräch beim Ordnungsamt
Doch Brigitte Kinsky wollte es darauf nicht beruhen lassen. Gemeinsam mit Sabrina Führer und Behindertenkoordinatorin Ines Großer sprach sie beim Ordnungsamt vor, um auf ihr Anliegen aufmerksam zu machen. Dort stieß das Trio bei Burkhard Overkamp nach einem intensiven Gespräch auf Verständnis. „Sie haben mich letztlich überzeugt, dass es für solch einen Hund wichtig ist, sich ein bisschen entspannen zu können“, so Overkamp. Ab sofort können also hochgradig Sehbehinderte für ihren Blindenführhund eine Ausnahmegenehmigung vom Leinenzwang beantragen – was übrigens in den Nachbarstädten Hattingen, Dortmund und Ennepetal schon länger möglich ist.
Tiere tragen orangefarbene Decke
Wer solch einem frei laufenden Tier begegnet, muss sich nun keine Sorgen machen: „Für die Ausbildung eines Blindenführhundes eignen sich nur absolut friedfertige, menschenfreundliche und intelligente Hunde, die darauf trainiert sind, hochkonzentriert zu arbeiten“, sagt Burkhard Overkamp. Erkennen kann man die Tiere übrigens am orangefarbenen Deckchen, das sie um den Körper gebunden tragen. Und obwohl der Blinden- und Sehbehindertenverein Witten, dem auch Brigitte Kinsky und Sabrina Führer angehören, rund 40 Mitglieder hat, gebe es ohnehin nur drei Blindenführhunde in der Stadt
Sabrina Führer (35), die mit dem linken Auge noch hell und dunkel unterscheiden kann und sonst blind ist, ist seit 15 Jahren mit Hund unterwegs. „Dann bin ich schneller und flexibler als mit dem Stock“, sagt sie. Guinness führt sie zur Arbeit, begleitet sie zum Arzt oder bei Einkäufen. Schon oft habe es Diskussionen gegeben, wenn sie das Tier in Geschäfte oder Praxen mitgenommen hat, die sie nicht regelmäßig besucht. So dürfe Guinness zwar in Halle und Ambulanz des Evangelischen Krankenhauses, nicht jedoch ins Marien-Hospital. Deshalb freut sie sich umso mehr, dass zumindest das Leinenproblem nun gelöst ist.
>> DIE GESETZESLAGE
Insgesamt gibt es etwa 6000 gemeldete Hunde in Witten. Generell gilt für sie in der Stadt eine Anleinpflicht, aber kein genereller Leinenzwang. Darauf verweist Burkhard Overkamp vom Ordnungsamt. Laut Landeshundegesetz müssen Hunde, die mehr als 20 Kilo schwer und größer als 40 Zentimeter sind, so ziemlich überall außerhalb der eigenen vier Wände angeleint werden: vor allem in Fußgängerzonen, in Parks und auf Friedhöfen, bei Volksfesten und anderen Menschenansammlungen.
Das Landesforstgesetz wiederum gibt vor, dass kleine und große Hunde auf Waldwegen ohne Leine laufen dürfen, wenn sie bei Herrchen und Frauchen bleiben.
Trotzdem treffen die Außendienstmitarbeiter des Ordnungsamtes, die zivil oder in Uniform unterwegs sind, bei ihren Kontrollen immer wieder auf Hundebesitzer, die sich nicht daran halten. „Es kommt auch öfter vor, dass Bürger so etwas melden“, sagt Overkamp. Allein in diesem Jahr hätten bereits 45 von ihnen ein Verwarngeld erhalten. Wenn ein kleiner Hund in entsprechender Situation nicht angeleint ist, kostet das 25 Euro, Besitzer großer Tiere zahlen 45 Euro.
Auch nicht beseitigte Hundehaufen stellen nach wie vor ein Problem dar, so Overkamp. Und vergangene Woche habe er vier Beißvorfälle auf den Tisch bekommen – die Hunde waren zum Teil nicht angeleint.