Witten. . Fotorätsel: Die Gedächtniskirche fasste mehr als 1000 Gläubige und war die größte Kirche der Stadt. Vor 40 Jahren wurden die Reste abgetragen.

  • Das Foto-Rätsel zeigt die Gedächtniskirche. Sie war die größte Kirche Wittens und fasste mehr als 1000 Gläubige
  • Sie wurde 1892 zum ersten Mal eingeweiht und nach Bergschäden 1926 zum zweiten Mal
  • Im Zweiten Weltkrieg wurde sie zerstört. Die Ruine wurde aber erst 1967 abgetragen

Die Schwarz-Weiß-Aufnahme zeigte die Gedächtniskirche im Jahre 1925. 20 Leserinnen und Leser wussten die richtige Lösung zum Bilderrätsel. Etliche persönliche, lehrreiche und spannende Beiträge zur Geschichte der Kirche gingen in der Redaktion ein – wofür diese herzlich dankt. Auszüge:

Es handelt sich um die Gedächtniskirche, die im Krieg zerstört und in den 60er Jahren abgerissen wurde. Danach entstand dort ein Parkplatz, dessen Name „Platz der Gedächtniskirche“ an das Bauwerk erinnert. Später diente er als Markt- und Kirmesplatz. Da ich in der Luisenstraße aufgewachsen bin und meinen Schulfreund Johannes, der in der Mozartstraße gewohnt hat, besucht habe, bin ich immer an der Ruine vorbeigegangen. Heute nutze ich häufig den Parkplatz und denke manchmal an die Zeit zurück. Martin Grahe, Jahrgang 1959

Nach Schätzen gesucht

Es handelt sich um die ehemalige Gedächtniskirche, die am 13. Dezember 1892 eingeweiht worden war. In der Ruine haben wir als Kinder – obwohl strengstens verboten – nach Schätzen gesucht. Werner Schultze

Von der Kirche blieb nicht nur der Name „Platz der Gedächtniskirche“ erhalten. An mehreren Stellen in Witten kann man noch immer Teile von ihr sehen, zum Beispiel das Holz ihrer Bänke, das Kreuz ihres Dachreiters, den Taufstein, eine ihrer Turmrosen und die Zeiger der Uhr.
Christina Wildvang

Zur Ehre Gottes und Preußens erbaut

Die Kirche wurde errichtet zum Gedächtnis der Reformation, des evangelischen Bekenntnisses der Hohenzollern und der wunderbaren großen Geschichte Preußens und Deutschlands, insbesondere der ernsten und erhebenden Tage unter der Regierung Wilhelm I. und Friedrich III. An der Ruine der Gedächtniskirche bin ich täglich auf dem Schulweg vorbeigegangen. Bernhard König

Die Gedächtniskirche befand sich gegenüber der Schillerschule auf dem heutigen großen Parkplatz. Meine Eltern sind am 9. 11. 1934 in dieser Kirche getraut worden. Ich selbst kannte noch die Ruine. Die maßgebenden Herren der evangelischen Kirche haben lange überlegt, ob ein Wiederaufbau möglich wäre. Aber die Bombardierung und der Bergbau machten das leider nicht mehr möglich und so wurde die Ruine abgebrochen und es entstand der heutige Parkplatz.
Dieter Koch, Jahrgang 1939

Als Kind bin ich in den Ruinen oft herumgeklettert, obwohl meine Eltern es mir verboten hatten. Monika Bruchsteiner

Als Kind habe ich ihren Abriss gesehen. Der alte Kirchturm hatte sich „gewehrt“ und wollte stehen bleiben. Teile der alten, teilweise angebrannten Kirchbänke standen früher in der Johanniskirche.
Rainer Kracht, 61 Jahre

Die Gedächtniskirche kenne ich nur als Ruine mit stark verwilderter Umgebung. Es war immer etwas unheimlich, wenn ich als kleines Kind mit meiner Mutter auf dem Weg in die Stadt dort vorbeikam. Doris Pein

Kirmesplatz, Marktplatz, Parkplatz

Ich kann mich noch gut an die Ruine erinnern, in der ich trotz Verbot und Absperrungen Ende der 50er Jahre oft gespielt hatte. Bäume und Sträucher wuchsen schon kräftig aus den Trümmern hervor und es machte mächtig viel Spaß, dort herumzutollen. Nach dem Abriss wurde ihr ehemaliger Standort lange Jahre als Kirmesplatz, Marktplatz und nun seit vielen Jahren als öffentlicher Parkplatz benutzt.
Manfred Schwandt, Jahrgang 1950


1950 wurde ich konfirmiert, das Gruppenfoto wurde auf den Stufen vor der Gedächtniskirche gemacht. Heute sind ein Parkplatz und der Name geblieben. Abgerissen wurde sie 1967. Doris Schade, Jg. 1936

Ich kenne die Gedächtniskirche nur als Ruine. Wenn wir Kinder mit unserer Mutter mal von Annen nach Witten-Innenstadt gefahren sind, haben wir sie auf dem Weg zum Rathaus gesehen. Es war alles abgesperrt und durfte nicht mehr betreten werden. Gaby Soldat

Als gebürtiger Kölner bin ich der Liebe wegen seit fast acht Jahren Teilzeit-Wittener. Da muss ich mich doch auch für die Wittener Geschichte interessieren. Daher war mir die gesuchte Kirche sofort bekannt: die Gedächtniskirche. Natürlich verbinde ich keine Erinnerungen damit. Aber auf dem Platz stehend war mir sehr bewusst, was der Krieg mit Städten machte. In Köln wütete der Bombenkrieg ja auch wie wahnsinnig.
Fritz Textoris

Die Artisten auf dem Hochseil

Ich bin am 1. November 1938 in der Lutherstraße 2 auf unserem Küchentisch geboren, weil alles so schnell ging. Meine Taufe in der Gedächtniskirche musste auf den 20. November verschoben werden, weil sehr schlechte Menschen die Synagoge angesteckt hatten. Als 1947 die D-Mark kam, war die Traber-Truppe in Witten – richtige Hochseil-Artisten. Sie spannten von der Kirche bis zum Rathaus ein Seil. Einer balancierte von der Kirche aus mit einer langen Stange los, einer vom Rathaus aus. In der Mitte kletterten sie übereinander, die Zuschauer stöhnten. Während ein junger Artist mit einem Hut Geld sammelte, fuhr plötzlich ein Motorrad mit einem Trapez bis zur Mitte und die Artisten machten Kunststücke. Die Zuschauer jubelten und gaben wieder Geld. Walter Schulz, 78

Die größte Kirche der Stadt

Die „Kaiser-Wilhelm“-Gedächtniskirche war die größte Kirche, die es je in Witten gegeben hat. Der Grundstein wurde am 3.11.1889 trotz Skepsis wegen der umfangreichen Grubentätigkeit im Kohlegebiet Witten im Hohenzollernviertel an der Moltkestraße (Uthmannstraße) gelegt. Grund für eine neue große evangelische Kirche war der Platzmangel in der Johanniskirche. Die neogotische Kreuzkirche hatte 1156 Sitzplätze im Schiff und auf den Emporen. Am 13.11.1892 war die „erste“ Einweihung.

In der Inflationszeit wurde ordentlich Kohle geschürft und die Kirche musste geschlossen werden, nachdem das Gewölbe über der Vierung einstürzte. Die erneute Einweihung fand am 19.12.1926 statt. Mit dem Luftangriff vom 19.3.1945 wurde die Kirche zerstört und brannte aus. Als Kindergarten- und Grundschulkind sind die Eltern mit uns Kindern auch mal um die gesamte eingezäunte Kirche spaziert.

1967 wurde die Ruine abgetragen. An die Abbrucharbeiten kann ich mich erinnern. Soweit ich weiß, gab es dabei eine kleine Katastrophe. Falls das stimmt, soll eine Glocke aus dem Turm sich gelöst haben und auf den Abrissbagger gefallen sein. Viele Artefakte aus der Gedächtniskirche sind erhalten geblieben und in anderen ev. Kirchen und Einrichtungen aufgestellt. Bernd-Peter Remmers, Jg. 1959

Orgelmusik brachte Randalierer zum Niederknien

Ich kenne die Gedächtniskirche nur noch als Ruine. Meine Mutter bekam während des Krieges dort Orgelunterricht von dem A-Musiker und Leiter des Bach-Chores, Erich Näscher, um auf ihr Kirchenmusikerexamen vorbereitet zu werden. Sie erzählte uns von den großen Konzerten mit unter anderem dem Bach-Chor und von der großartigen Orgel. Sie erzählte auch, dass Ende des Krieges immer mehr Fenster zerstört waren und sie in eisiger Kälte üben musste.

Auf der großen Orgel über dem Portal der Kirche hatte die Mutter der Leserin gespielt.
Auf der großen Orgel über dem Portal der Kirche hatte die Mutter der Leserin gespielt. © Repro Robbert

Doch eine Geschichte war herausragend. Gegen Ende des Krieges wurden die Kriegsgefangenen befreit. Sie randalierten in der Stadt und machten auch vor Kirchen nicht halt. Während ihres Orgelunterrichts stürmten einige ehemalige Kriegsgefangene die Gedächtniskirche und schlugen um sich. Herr Näscher reagierte sofort und sagte: „Spiel weiter, spiel weiter, jetzt nicht aufhören.“ Völlig verängstigt spielte meine Mutter weiter, und nach einer Weile knieten sie sich nieder, bekreuzigten sich und verließen ruhig die Kirche. So rettete die Musik die Situation.

Meine Mutter ging bis zum Abriss Mitte der sechziger Jahre, auch mit uns Kindern, noch regelmäßig zur Ruine und bedauert es bis heute, dass diese Kirche nicht wieder aufgebaut wurde. Vera Hänel

1930 wurde der damals 25-jährige Pfarrer Johannes Busch an diese Kirche berufen. 1934 nahm er an der Barmer-Bekenntnis-Synode teil. Kurz nach dieser Bekenntnis-Synode sollte in der Gedächtniskirche ein Gottesdienst der Bekennenden Kirche stattfinden. Als Busch in die Kirche wollte, fand er diese von der SS verschlossen. Die anwesende Gemeinde, etwa 3000 Personen, versammelte sich rund um die Gedächtniskirche und sang Choräle und andere christliche Lieder. Eine friedliche Veranstaltung, die auch auf Gestapo und SS wirkte.
Harald Neuhaus