witten. . Schwarzrotgelb – heute werden die Fahnen wieder wehen, auch in Witten. Hier leben viele ehemalige DDR-Bürger. Sie haben ihr Glück gefunden.
- Der eine wollte flüchten und konnte plötzlich ganz legal mit dem Zug in den Westen reisen
- Die anderen kamen nach Witten, als die Mauer schon längst gefallen war
- Eines eint die ehemaligen DDR-Bürger alle: Sie haben ihr Glück in der Ruhrstadt gefunden
Deutschland feiert heute den 27. Jahrestag der Wiedervereinigung. Witten verbindet eine Partnerschaft mit Wolfen im Osten. Noch viel mehr als eine Städtefreundschaft verbindet all die Menschen mit der ehemaligen DDR, die einst dort gelebt haben und für die Witten neue Heimat wurde. Die Lokalredaktion hat mit drei von ihnen gesprochen.
„Ich habe am 9. November 1989 im Zug gesessen, als die Mauer fiel“, sagt Siegfried Boldt (64). „Ich war in Prag und wollte eigentlich zur Botschaft“, erinnert sich der gebürtige Mecklenburger. Aus der geplanten Flucht via Prag wurde eine fast offizielle Ausreise. „Wir kamen gar nicht erst bis zur Botschaft, sondern wurden am Bahnhof gleich in einen Zug Richtung Westen gesetzt“, sagt der heutige Herbeder.
„Die Mauer geht auf und du hast alles aufgegeben“
Dem Aufnahmelager in Unna-Massen folgte sofort der für ihn endgültige Wechsel nach Witten. „Die Mauer geht auf und du hast alles aufgegeben“, dachte Boldt am Anfang noch, als er sich in der neuen Heimat im Ruhrgebiet erst einmal einleben musste. Heute spricht er von der „besten Entscheidung“ seines Lebens. „Ich habe im Prinzip alles richtig gemacht, war 26 Jahre bei der Ruhrtaler Gesenkschmiede, wurde Betriebsrat und leite heute in Witten den Sozialverband VdK“, sagt der gelernte Schäfer und Agrotechniker. Ob ihm die DDR noch fehlt? „Die DDR nicht, aber meine Kinder und Enkel“, sagt Boldt, der schon zu Ost-Zeiten geschieden wurde. Wie er sich zum Einheitstag fühlt? „Ich jauchze manchmal auf, weil es mir so gut geht.“
„Wenn die Wiedervereinigung nicht gewesen wäre, wäre ich heute nicht hier“, sagt Anja Erdelmann, nachdem sie gerade zwei Kuchenstücke auf den Pappteller gehievt hat, Apfel und Pfirsich-Mascarpone-Sahne. Die 50-Jährige hat vor 25 Jahren ‘rübergemacht. „Ganz einfach. Aus Liebe“, sagt die gebürtige Rostockerin, wenn man sie nach dem Grund fragt, warum sie ihre Heimat verlassen hat. Für die Bäckerei-Chefin ist der Tag der deutschen Einheit immer noch etwas Besonderes.
„Es ist schon historisch für das deutsche Volk. Ich finde es toll, dass wir das so hingekriegt haben, ohne Krieg, ganz friedlich“, sagt die Frau aus dem hohen Norden, pardon Osten. Vielleicht passt auch das ja ins Bild: Heute, am Feiertag, bleibt der Ofen kalt, dafür wird renoviert. Kann man ja auch mal machen nach 27 Jahren Vereinigung.
Ihr Vater, ihre Geschwister leben immer noch in Rostock. Sie sei die Einzige, „die abgehauen ist“. Und, ja doch, ihre Heimat vermisse sie sehr, obwohl sie längst im Ruhrgebiet angekommen ist. Den Rostockern gehe es gut, sie hätten Tourismus, Industrie, Landwirtschaft – Anja Erdelmann glaubt, dass die Wiedervereinigung wirklich geschafft ist und die Landschaften inzwischen auch im Osten blühen, „zumindest in meiner Heimat“. Nun, statt der steifen Brise an der Ostsee, weht ihr heute der Wind am Kemnader See um die Nase.
Veronika Kühn hat die DDR verlassen, als die Mauer längst gefallen war. Sie kehrte Chemnitz 1996 den Rücken. „Ich wollte unbedingt nach Herdecke ans Krankenhaus zur Krankenpflegeausbildung“, sagt die 42-Jährige. Es war der anthroposophische Ansatz, der sie reizte.„Der Plan war eigentlich, danach wieder zurückzugehen.“ Dann kam aber die Liebe ins Spiel – heute lebt Veronika Kühn mit ihrem Mann und drei Söhnen im benachbarten Langendreer. Sie unterrichtet an der Rudolf-Steiner-Schule in Witten.
„Ich bin total dankbar“
„Ich bin total dankbar“, beschreibt sie ihre Gefühle zum Tag der deutschen Einheit. „Sogar meine Kinder sagen, dass es sie ohne die Wiedervereinigung gar nicht gäbe.“ Sie selbst habe manchmal ein schlechtes Gewissen, weggegangen zu sein. „Wenn man die Entwicklung in den neuen Bundesländern sieht, denke ich manchmal, es wäre gut, dort zu sein. Mich macht es traurig, wenn ich so viel über die Rechtsradikalen dort hier in den Medien höre. Dann habe ich das Gefühl, ich würde gerne dazu beitragen, dass es nicht so ist. Ich weiß, dass es auch ganz viele Menschen im Osten gibt, die für kulturelle Vielfalt und ausländerfreundlich sind.“
Veronika Kühn fühlt sich noch sehr mit ihrer Heimat verbunden. „Ich habe viele gute Erinnerungen, auch an meine Kindheit. Die Einfachheit des Lebens war für mich als Kind super.“ Der soziale Zusammenhalt mit anderen Kindern sei groß gewesen, „man war sich sehr nah. Gerade dadurch, dass es nicht viel gab, waren einzelne Dinge etwas ganz Besonderes“.