Witten. . Fünf Stunden Autofahrt bei strömendem Regen liegen hinter den sechs Lehrern aus Bitterfeld-Wolfen. Sie haben sich mit ihren Wittener Kollegen vom Albert-Martmöller-Gymnasium im Rathaus verabredet.

  • 1992, drei Jahre nach dem Mauerfall, reisten Lehrer und Schüler aus Wolfen erstmals nach Witten
  • Im Westen mussten sie sich damals fragen lassen, ob es drüben überhaupt fließend Wasser gibt
  • Heute können sie darüber herzhaft lachen. Zum Silberjubiläum treffen sie sich wieder an der Ruhr

Fünf Stunden Autofahrt bei strömendem Regen liegen hinter den sechs Lehrern aus Bitterfeld-Wolfen. Sie haben sich mit ihren Wittener Kollegen vom Albert-Martmöller-Gymnasium im Rathaus verabredet. „Wir sind zum ersten Mal seit über 20 Jahren wieder hier. Damals haben wir die meiste Zeit beim Unterrichtsbesuch im Gymnasium verbracht. Jetzt können wir auch mal in Ruhe die Stadt und ihre Umgebung genießen“, sagt Tatiana Hess, ehemalige Lehrerin am Wolfener Heinrich-Heine-Gymnasium.

1992, drei Jahre nach dem Mauerfall, reiste eine Gruppe von 40 Schülern und fünf Lehrern erstmals von Sachsen-Anhalt über die ehemalige Grenze nach Witten. Ein Jahr später folgte der Gegenbesuch. „Die Schüler in Witten wussten damals fast nichts über den Osten“, erinnert sich Ulrike Gerstener. „Ein Junge hat gefragt, ob die da drüben überhaupt fließendes Wasser hätten.“

Zum Abschied flossen sogar Tränen

Nach einer Woche Ost-Erfahrung hätten die Kinder aber eingesehen, dass auch in Bitterfeld-Wolfen, einst der größte Chemiestandort der DDR, alles „im grünen Bereich“ sei. Mehr noch: Zum Abschied flossen bei den Schülern sogar Tränen. Enge Freundschaften entstanden. „Ich habe in Witten meine erste Avocado gegessen“, erinnert sich Dietmar Müller, der in der Stadt nicht weit von Leipzig und Halle unterrichtet.

Über die Unterschiede in den Schulen staunten beide Seiten nicht schlecht. „Im Osten lief der Unterricht frontaler ab. Die Schüler waren viel disziplinierter“, sagt der pensionierte Wittener Lehrer Klaus Gärtner. „Ja, das war noch vom DDR-Regime so eingeprägt, dass da vorn einer steht, der das Sagen hat“, stimmt Dietmar Müller zu. „Dafür gab es bei euch im Westen schon viel mehr Gruppenarbeit und eure Schüler waren selbstständiger.“

Schulen in Ost und West haben sich angeglichen

Über die Jahre hätten sich die Schulen in Ost und West angeglichen. Jetzt gebe es kaum noch Unterschiede, meinen die Lehrer. Auch die Städte ähnelten sich inzwischen. „Bitterfeld-Wolfen ist ein Industriestandort und hat, ähnlich wie Witten, schon mehrere Strukturwandel mitgemacht“, sagt der Wolfener Lehrer Peter Weißmann.

Viele der Pädagogen sind mittlerweile im Ruhestand. Mit der Jahrtausendwende brachen die jährlichen Schüleraustausche ab. Vor allem bei Wittener Schülern war das Interesse an einem Besuch in Bitterfeld-Wolfen nicht mehr zu wecken.

Schüler haben kein Interesse mehr an Austausch

Doch die Lehrerschaft blieb sich verbunden. Sie treffen sich bis heute jedes Jahr für ein Wochenende. Dann tauschen sich die Kollegen über die schulischen und politischen Entwicklungen in Sachsen-Anhalt und Nordrhein-Westfalen aus. „Eine Partnerschaft lebt von persönlichen Begegnungen. Wenn die fehlen, schläft auch die Beziehung ein“, sagt Peter Weißmann.

Als Treffpunkt wählt die Gruppe jedesmal einen anderen Ort, möglichst in der Mitte zwischen Bitterfeld-Wolfen und Witten. 22 verschiedene Städte, von Wernigerode bis Bamberg, hat die Gruppe schon erkundet. „Da waren Orte dabei, die man von sich aus gar nicht bereisen würden“, meint Jutta Wilke-Paas aus Witten. „Trotzdem war es jedesmal wunderschön. Inzwischen sind wir ja schon Freunde geworden.“

Anlässlich des 25-jährigen Jubiläums ihrer Schulpartnerschaft treffen sie sich jetzt noch mal in Witten. Dazu gibt es das volle Ruhrgebiets-Paket. Besuche auf Zollverein, im Muttental und im Hundertwasserhaus in Essen sind geplant.