Witten. . Was macht künstliche Realität mit uns? Wissenschaftler Jonathan Harth denkt, dass scheinbar Unmögliches eines Tages Wirklichkeit werden könnte.
- Was macht künstliche Realität mit uns?
- Wissenschaftler Jonathan Harth denkt: Scheinbar Unmögliches kann Wirklichkeit werden
- Autokonzerne benutzen virtuelle Realität bereits für Schulungen von neuen Mitarbeitern
Lara Scherrieble befindet sich inmitten eines Korallenriffs unter dem Meer. Sie hört blubbernde Geräusche, bunte Zierfische schwimmen umher. Ein Schwarm von Quallen kommt von der Seite auf sie zu und zieht über ihren Kopf hinweg. Sie streckt die Hände nach einem der Tiere aus. Es zieht sich zusammen. Sie kichert. Lara hält sich an einem Ort auf, der nur für sie wirklich ist: in einer virtuellen – also vom Computer geschaffenen – Realität.
Der Soziologe Jonathan Harth forscht an der Uni Witten zu der Frage, wie Menschen sich verhalten, wenn sie in eine künstliche Realität eintauchen. In einer Studie hat er mehreren Probanden eine spezielle Brille aufgesetzt und sie in eine Unterwasserwelt geschickt wie die 23-jährige Scherrieble.
Menschen nehmen künstliche Welt verschieden wahr
Virtual-Reality-Brillen werden bereits in vielen Bereichen praktisch angewandt. „Das Feld reicht von Computerspielen über Firmentrainings bis zu medizinischen Programmen“, erläutert der promovierte Wissenschaftler. Was es mit den Menschen macht, wenn sie sich in eine vom Computer simulierte Welt begeben, sei jedoch unerforscht. Das ist der Zweck seiner Arbeit.
„Die Menschen weisen ganz unterschiedliche Nutzungsmuster auf“, so der 37-Jährige. „Die einen sind eher neugierig und erkunden, was es in der fremden Welt gibt. Die anderen halten sich emotional zurück und versuchen, das Neue unter Kontrolle zu bringen.“
Wer Lara Scherrieble beobachtet, sieht eine kurzhaarige Frau mit einem ungewöhnlichen Apparat auf dem Kopf, die eigenartig den Blick nach oben richtet. Der Apparat ähnelt einer überdimensionalen Taucherbrille, die sich bis über den Hinterkopf zieht. Die Hände streckt sie ins Leere. Es wirkt so, als sei die junge Frau nicht wirklich anwesend.
"Ich bin gerade von einem Hochhaus gesprungen"
Im nächsten Moment wechselt die 23-Jährige die Orte. Von der Unterwasserwelt geht es nun in einen Gladiatorenkampf in Rom. Scherrieble bewegt sich schnell vor, zurück, zur Seite. Beide Arme wirbeln in die Luft. Sie ruft aufgeregt: „Ah, nein! Jetzt aber!“
Nach dem nächsten Ort setzt die Studentin den Apparat ab. Ihr Gesicht ist gerötet, Haare zerzaust, sie atmet schnell. „Ich bin gerade von einem Hochhaus gesprungen“, sagt sie kurzatmig. „Mir ist etwas kribbelig im Magen. Es ist seltsam. So, als ob ich wirklich dort gewesen bin.“ Jonathan Harth bestätigt: „Der Graubereich zwischen Wirklichkeit und Nicht-Wirklichkeit wird überschritten.“ Selbst ihm ginge es so, wenn er die Brille aufsetze.
Der Bereich der virtuellen Realität birgt für den gebürtigen Frankfurter ungemeines Potenzial. Autokonzerne nutzten virtuelle Simulationen bereits, um die Arbeit am Fließband effizienter zu gestalten. Neue Mitarbeiter lernen in virtuellen Trainings, Sitze in Autos einzubauen.
Science-Fiction wird Realität
Der Forscher denkt da noch weiter: „Wenn man vorhandene Technologien zusammenführt, wäre es sogar denkbar, Menschen quasi unsterblich zu machen. Es wäre dann möglich, reale Körper einzuscannen und diese in die virtuelle Realität zu projizieren.“
Zwar bestünde auch das Risiko, dass Menschen die künstliche Welt nicht mehr verlassen wollten. Aber Jonathan Harth faszinieren die Potenziale: „Dinge, die man früher in Filmen wie Matrix gesehen hat, wären heute vielleicht möglich.“