Witten. . Kunden setzen fast ausschließlich auf Benziner. Verunsicherung ist groß. Verkäufer spüren sinkende Nachfrage. Stadt plant kein Fahrverbot.

  • Der Diesel-Skandal zieht auch in Witten längst seine Kreise
  • Autohändler berichten von einer sinkenden Nachfrage und großer Verunsicherung bei den Kunden
  • Einige senken bereits die Preise für Diesel-Fahrzeuge – andere setzen auf Beratung

Autohändler Heinz-Jürgen Naumann kann sich in diesen Tagen den Mund fusselig reden, die Kunden überzeugt er nicht. Der Diesel-Skandal zieht auch in Witten längst seine Kreise.

„Ich diskutiere täglich über das Thema, gerade nach dem neuen Urteil zu einem möglichen Fahrverbot in Stuttgart. Die Kunden verfolgen natürlich jede neue Entwicklung“, sagt Naumann. Viele seien verunsichert. „Sie wissen nicht, was in Zukunft passiert und haben Angst, dass ihr Fahrzeug bald keinen Wert mehr hat.“ Also kaufen sie Benziner. Wie viele Diesel-Autos er in den letzten Wochen verkauft hat? „Ein bis zwei. 80 Prozent aller Verkäufe sind inzwischen Benziner“, sagt Naumann.

Händler bleiben auf gebrauchten Diesel sitzen

An der Friedrich-Ebert-Straße in Rüdinghausen vertreibt er vor allem Neuwagen. „Die laufen meist über Bestellung. Das Problem sind die gebrauchten Diesel-Fahrzeuge. Auf denen bleiben wir sitzen.“ Trotzdem nimmt der Händler nach wie vor gebrauchte Diesel in Kauf – in letzter Zeit sogar immer mehr. „Die Leute wollen ihren Diesel los werden, bevor es zu spät ist.“

Nachvollziehen kann Naumann das nicht. „Ich besitze selbst einen Diesel und werde ihnen auf keinen Fall abstoßen.“ Zum einen erfüllten die neueren Fahrzeuge die Euro 6-Norm. Das bedeutet, sie stoßen maximal 80 Milligramm Stickstoffdioxid (NO2) pro Kilometer aus. Das sind 100 Milligramm weniger als ihre Vorgänger mit Euro 5-Norm. Zum anderen hält Naumann ein vollständiges Fahrverbot für Diesel-Fahrzeuge in Witten für unwahrscheinlich. Gerald Klawe von der Stabsstelle Umwelt bei der Stadt sieht das ähnlich.

Ruhrstraße über dem Grenzwert

Stickstoffdioxid-Wert seit Jahren über EU-Grenzwert

67 480 Fahrzeuge sind aktuell in Witten angemeldet – darunter 17 421 Diese l (Pkw und Lkw).

NO2 belastet die Atemwege, reizt die Schleimhäute und kann zu Husten und Augenreizungen führen. Das sind die Messwerte an der Ruhrstraße in den letzten Jahren: 51 (2009), 52 (2010), 48 (2011), 48 (2012), 51 (2013), 48 (2014), 42 (2015), 45 (2016).

„Diesel emittieren Stickstoffdioxid, das ist klar. Wir können aber nicht einfach alle Fahrzeuge verbannen. Denn wir sind auch an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebunden“, sagt der Umweltexperte Immerhin müsste dann gut jedes vierte Auto von Wittens Straßen verbannt werden – zumindest von der Ruhrstraße.

Dort liegt der NO2-Gehalt seit Jahren über dem EU-Grenzwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter im Jahr. Die Stadt will sich dem Ziel, diesen Grenzwert einzuhalten, mit einigen „weichen Maßnahmen“ nach und nach nähern, wie Klawe sagt. Dazu gehört etwa, an der Ruhrstraße eine Tempo-30-Zone einzurichten und die Verkehrsströme umzuleiten. „Wir machen an verschiedenen Stellen kleine Stiche. Aber nirgendwo tut es so richtig weh.“

All das nütze nichts, wenn sich die Autofahrer nicht an die Vorgaben hielten. „Es bringt nichts, wenn wir das Linksabbiegen verbieten, um den Verkehr im Fluss zu halten, aber die Hälfte der Autofahrer trotzdem links abbiegt“, sagt Klawe. „Stau in der Stadt ist tödlich, was die Stickstoffdioxid-Emissionen betrifft. Verkehr raus, Luft rein – so einfach ist das aber nicht. Die Wittener müssen mitspielen.“

Händler senken Preise für Diesel-Autos

Der Diesel-Skandal lässt auch in Witten die Nachfrage auf dem Gebraucht- und Neuwagenmarkt sinken. „Ich nehme an, dass dieser Trend erstmal anhält“, sagt Autohändler Heinz-Jürgen Naumann aus Rüdinghausen. Deswegen verkauft er die Wagen inzwischen zu einem niedrigen Preis.

Jochen Schüttler vom Autohaus Becherau an der Arthur-Imhausen-Straße setzt vor allem auf eine intensive Beratung seiner Kunden. „Die Krise ist in aller Munde: Jeder, der hereinkommt, fragt, was mit dem Diesel passiert.“ Die Nachfrage gehe gegen Null. „Was wir brauchen, ist eine klare Ansage“, sagt Schüttler. Er selbst hält die ganze Diskussion um den Diesel für ein „reines Politikum“. „Das Problem ist nicht das Auto. Die Politiker schieben ihm nur gerne den Schwarzen Peter zu.“

Verkäufer appelliert an Politiker

Statt auf den Diesel zu schimpfen, meint Schüttler, solle sich die Politik mehr dafür einsetzen, Schweröle zu verbannen und den Regenwald wieder aufzuforsten. „Über CO2 redet gerade kein Mensch mehr.“ Dabei sei der Schutz der Umwelt eines der wichtigsten Ziele für die Zukunft. Der Händler verkauft nicht nur Diesel-Wagen, er fährt auch privat einen – und will auf jeden Fall dabei bleiben. „Ich sehe derzeit keine Alternative. Ein Benziner verbraucht viel zu viel auf langen Strecken.“

Jochen Schüttler hält Fahrverbote wie in Stuttgart für schwer durchsetzbar. „Wie soll zum Beispiel kontrolliert werden, welches Fahrzeug ein Diesel ist und welches nicht. Solche Detailfragen sind noch nicht endgültig geklärt.“ Ein weiteres Problem sieht er bei Lieferwagen, die oft Diesel tankten. „Wenn von 50 Fahrzeugen 40 eine Ausnahmeregelung erhalten, ergibt das Ganze dann noch einen Sinn?“

Während die zwei Wittener Autohändler offen über die Folgen des Diesel-Skandals reden, zeigen sich andere Kaufleute in der Stadt bedeckter. „Wir geben keine Auskunft“, heißt es vielerorts. Oder: „Wir haben gerade sehr viel Kundschaft.“ Vielleicht sind es Diesel-Fahrer, die ihren Wagen in Zahlung geben wollen.