Witten. . 900 Anwohner in Witten müssen nicht evakuiert werden. Der Kampfmittelräumdienst findet nur Phosphorbomben, die in Kisten verladen werden.
- Von sieben Uhr morgens bis abends hatten drei Experten auf einem Acker beim Sonnenschein Löcher gegraben
- Erst um 18 Uhr gab die Feuerwehr Entwarnung: Das Wohngebiet muss nicht geräumt werden
- In ein bis zwei Metern Tiefe fanden sie nur Abwurfbehälter für Phophorbomben
Auf dem großen Feld zwischen Zaunkönigweg und Hauptfriedhof musste der Kampfmittelräumdienst gestern doch keine Bomben entschärfen. Die geplante Evakuierung von 900 Anwohnern fand nicht statt. Dennoch fanden die Spezialisten auf der Fläche allerhand Weltkriegsmunition, die in gepanzerten Spezialkisten abtransportiert werden konnte.
Von sieben Uhr morgens bis abends hatten drei Mitarbeiter einer Firma für Kampfmittelbeseitigung auf dem Feld mit Baggern behutsam Löcher gegraben. Erst um 18 Uhr gab die Feuerwehr Entwarnung: Das Wohngebiet muss nicht geräumt werden, denn nur Schrott und kleinere (aber nicht minder gefährliche Munition) wurden in ein bis zwei Metern Tiefe gefunden.
Das sind: Abwurfbehälter für Phosphorbomben, in denen noch einige der Stabbrandbomben steckten.
Phosphorbomben sind in etwa 30 cm lang
Eine Phosphorbombe ist sechskantig und etwa 30 cm lang. Etwa 200 Stück dieser Bomben steckten in Ketten, wie bei einem Patronengürtel, die aufgewickelt waren. Beim Abwurf aus dem Flugzeug lösten sich die Ketten, die Bomben flogen der Reihe nach zur Erde. Gerhard Pfaff von der Feuerwehr vermutet, dass Phosphorbomben von den Engländern und Amerikanern geworfen wurden, um Hausdächer abzubrennen. In einem zweiten Angriff wurden Zentnerbomben in die Häuser geworfen.
Fünf Verdachtspunkte hatte man bei der Auswertung der Luftbildaufnahmen aus dem Zweiten Weltkrieg festgestellt. Am Montagvormittag hatten Messungen bestätigt, dass sich Metall im Boden befindet. Nachmittags informierte die Feuerwehr die Presse, dass am Dienstag gegraben werde – und den Anwohnern eine mögliche Evakuierung bevorstünde.
Bereits am frühen Morgen waren etliche Mitarbeiter in „Alarmbereitschaft“. Auf dem Gelände der Christuskirche an der Sandstraße standen Rettungswagen und ihre Besatzungen bereit. Im Falle einer Evakuierung hätten sie kranke oder ältere Leute zur Jahnhalle gebracht, um sie dort zu betreuen. In den betroffenen Straßen hätte es Lautsprecherdurchsagen gegeben, Mitarbeiter der Stadtverwaltung die Leute aus den Häusern geklingelt.
Anwohnern fehlen Informationen
Die meisten Anwohner aber fühlten sich schlecht informiert: Man habe zufällig von den Evakuierungsplänen erfahren, auch dass das Viertel nicht geräumt werde, wurde nicht mitgeteilt. „Ein Zettel im Briefkasten wäre sinnvoll gewesen“, sagt Kathrin Spennemann.
Ein größeres Thema bei den Anwohnern im Zaunkönigweg aber ist, dass vor ihren Gärten das große Areal offenbar bebaut werden wird – bislang galt es als Friedhofserweiterungsfläche und als Frischluftschneise für die Innenstadt.
Bislang hatte ein Bauer das Feld von der Besitzerin gepachtet. Interessiert ist eine Immobiliengesellschaft. Die möchte den Kaufvertrag aber nur unterschreiben, wenn das Gebiet auf Kampfmittel untersucht wurde. Bezahlen muss den Einsatz nun die Eigentümerin.
>> INFO: Bürger verhinderten Baugebiet auf Grünfläche
Bereits 1998 plante die Stadt eine „Abrundung des Sonnenscheins“ und wollte das Gelände zwischen Zaunkönigweg, Hauptfriedhof und der Schrebergartenanlage am WTV-Sportplatz bebauen. Der Flächennutzungsplan wies das Gelände bis dahin als Grünanlage aus. Zusammen mit Hauptfriedhof oder dem Schwesternpark gilt der Grüngürtel bis heute als Frischluftzone für die Innenstadt.
Geplant waren 49 Reihenhäuser, fünf Doppelhäuser, Mietwohnungen, Garagen, Abstellplätze und ein Spielplatz. Die Anwohner des Zaunkönigwegs bildeten eine Interessensgemeinschaft, die über mehrere Jahre gegen die Bebauungspläne anging. Sie kritisierte unter anderem die Dichte der Bebauung und die Erschließung des Neubaugebietes über die bisherige Sackgasse, den Zaunkönigweg. Die Pläne wurden nicht umgesetzt.
Neue Interessensgemeinschaft formiert sich
Umso überraschter sind die Anwohner, dass es womöglich einen zweiten Anlauf geben soll, das Gelände zu bebauen. „Ich bin aus allen Wolken gefallen“, sagt Dieter Gerling, der in einem der 1970/71 errichteten Bungalows am Zaunkönigweg wohnt. Er will auch diesmal wieder eine Interessensgemeinschaft gründen, um zum Beispiel Baustellenverkehr im Zaunkönigweg zu verhindern.
„Wir haben die Häuser gekauft mit Blick auf eine Erweiterungsfläche für den Hauptfriedhof.“ Weil immer mehr Leute sich aber in einer Urne oder in Kolumbarien bestatten lassen, sei eine solche Fläche wohl nicht mehr nötig, schätzt er. Zudem mussten die Bungalows mit Flachdächern errichtet werden, um den dahinter liegenden Mehrfamilienhäusern nicht den Blick ins Grüne zu nehmen. Auch gibt er zu bedenken: Die Lage sei Bergbaugebiet – hier stand einst die Zeche Sonnenschein.
Die Fläche ist in Besitz einer Privatperson und war an einen Bauer verpachtet, der dort Getreide und Mais anbaute. Die diesjährige Ernte wurde vor dem Einsatz des Kampfmittelräumdienstes abgeerntet. Kaufinteressent für das Areal sei eine Immobilienfirma.