Witten. . Witten und weitere 68 finanzschwache Kommunen fordern ein neues Finanzsystem. Berliner Fraktionen sichern Hilfe zu, um sie zu entlasten.

  • Kämmerer Matthias Kleinschmidt war mit kommunalem Aktionsbündnis zu Gast in Berlin
  • Kommunen baten Politiker aufgrund günstiger Tilgungszinsen um Hilfe bei der Bewältigung der Schuldenberge
  • Fraktionen im Bundestag signalisierten Zustimmung zur Neuordnung des Finanzsystems

Das kleine Witten hat sich bewusst vor der Bundestagswahl in Berlin zu Wort gemeldet – und mit weiteren finanzschwachen Kommunen die Fraktionen um Hilfe bei der Tilgung laufender Kredite gebeten. Denn der Zeitpunkt ist so gut wie schon ewig nicht mehr: Der Tilgungszinssatz liegt nahe null Prozent – günstiger könne man Altschulden nicht begleichen, sagt Wittens Kämmerer Matthias Kleinschmidt. Die gute Nachricht: Die erste Resonanz der Politiker sei erfreulich positiv gewesen.

Auf 320 Millionen Euro belaufen sich die Kassenkredite der Ruhrstadt derzeit. Bei einem Zinssatz von einem Prozent würde die Summe innerhalb von etwa 30 Jahren Tilgungszeit (das entspricht einer Generation) auf 450 Millionen steigen, bei einem Zinssatz von zwei Prozent wären es schon 600 Millionen.

Stadt hätte eine Last weniger zu tragen

Würde nun der Bund einspringen und die Tilgung übernehmen, hätte die Stadt eine Last weniger zu tragen und könnte weitere Überschüsse erwirtschaften – was sie ja durchaus tut: Im vergangenen Jahr waren es 500 000 Euro. „Die Haushaltslage stabilisiert sich gerade. Der Bund muss uns helfen, damit diese Erfolge nicht über die Tilgungszinsen wieder kaputt gehen“, appelliert Kleinschmidt. Denn ein großer Teil der Schuldenberge sei nicht selbst verursacht, sondern Folge Jahrzehnte langer bundespolitischer Gesetze zu Lasten der Gemeinden.

Natürlich hätten sich manche Städte durch verschiedene Projekte auch selbst zu hohe Kosten aufgebürdet. Aber, sagt der Kämmerer schmunzelnd, „wir haben wenigstens keine U-Bahn“. Doch heute würde er ein Konzept wie Haus Witten oder die in früheren Jahren erfolgten Einstellungswellen durchaus in Frage stellen. Wichtig sei ihm: „Wir wollen nichts geschenkt haben, wollen unsere Schulden nicht komplett auf andere abladen. Wir wollen nur weitere Belastungen vermeiden.“

Bund müsste rund 50 Milliarden für alle aufbringen

Rund 50 Milliarden Euro müsste der Bund im Rahmen eines Altschuldenfonds’ für alle 69 finanzschwachen Kommunen aufbringen. Das sei kein großes Problem, so Kleinschmidt, denn der Bund erwirtschafte selbst sieben bis neun Milliarden Euro Überschüsse. „Für jede einzelne kleine Stadt wird das viel gefährlicher.“

Gemeinsam hatten die Kommunen schon vor Jahren das Aktionsbündnis „Für die Würde unserer Städte“ gegründet, um sich für eine Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse einzusetzen. Sie werteten die achte Konferenz des Bündnisses in Berlin nun als „Sternstunde für die Kommunale Familie“. Eine Kommission soll die Forderungen umsetzen. Bereits im Dezember oder Januar sollen Gespräche über die „dringend notwendige Neuordnung des Kommunalen Finanzsystems“ beginnen.

>>> Kommentar von Jürgen Augstein-Peschel

Natürlich muss der Bund einspringen, wenn es um die Milliardenschulden der Städte geht. Er hat sie über Gebühr belastet, was auch fürs Land gilt, das unter Rot-Grün gerne mit dem Finger nach Berlin gezeigt hat. Stärkungspakt hin, Stärkungspakt her.

Ob Flüchtlingskosten oder andere Sozialleistungen – ja, es wurde schon entlastet, aber das ist noch längst nicht genug. Um den Konsolidierungskurs der Städte nachhaltig zu unterstützen, braucht es den großen Schnitt, kein Klein-Klein, also eine Million hier, eine dort. Ein Altschuldenfonds könnte ein richtiger Schritt sein.

Wittener Bürgern und Firmen sind schon über Gebühr belastet. Obwohl wir treu und brav unsere Steuern zahlen, und das nicht zu knapp, verkommen Straßen und Schulen. Das ist eine Schande.