Witten. . Das AMG war 1967 das erste Gymnasium, an dem Mädchen und Jungen gemeinsam unterrichtet wurden. Die Anfänge waren sehr bewegt.

  • Das Albert-Martmöller-Gymnasium war 1967 das erste Wittener Gymnasium mit „Koedukation“
  • Mädchen und Jungen wurden dort erstmals gemeinsam unterichtet
  • Eigentlich sollte das dritte Gymnasium in Annen gebaut werden

Wer hätte das gedacht: Wittens jüngstes Gymnasium hat auch schon 50 Jahre auf dem Buckel. Herzlichen Glückwunsch, AMG!

Am Anfang standen eine doppelte Explosion und ein Zufall: Nicht nur die Bevölkerungszahl „explodierte“ in den 1960er Jahren. Auch der Drang zu höheren schulischen Weihen bekam ungeheure Dynamik. Von einer „erfreulichen Bildungsexplosion an den weiterführenden Schulen“ sprach Oberbürgermeister Friedhelm Ottlinger beim AMG-Richtfest. Das Städt. Jungen-Gymnasium (ab 1971 Ruhr-Gymnasium) und das Schiller-Gymnasium für Mädchen, platzten damals aus den Nähten. Das neue, dritte Gymnasium sollte Mädchen und Jungen aufnehmen – und vor allem Kinder aus den Stadtteilen Annen, Stockum und Rüdinghausen.

© Thomas Nitsche

Als Standort war deshalb auch Annen ausgeguckt, eine Fläche an der Immermannstraße, am Bahnhof Annen-Nord, nur jenseits der Bahngleise. Gleichzeitig sollte aber eine zweite Realschule gebaut werden – das wurde dann die Adolf-Reichwein-Realschule an der Westfalenstraße. Für einen weiteren Schulneubau fehlte aber das Geld.

Geplant war ein Neubau in Annen

Schaut man in den Werdegang des AMG, erscheint der Begriff „bewegte Zeiten“ als blanke Untertreibung. Als Alternative zum Neubau wurde in einer städtischen Vorlage ein Schichtunterricht des dritten Gymnasiums an den beiden vorhandenen ins Feld geführt. Andere Lösungsvorschläge waren ein Start in der Brenschenschule (Bommern) oder in der Sonnenscheinschule. Der Zufall half dem zu gründenden Gymnasium aus der Klemme. Da die fünf Konfessions-Volksschulen (bis 8. Klasse) in anderen Schulen aufgingen, wurde das damalige Gebäude der Albert-Martmöller-Volksschule in der Innenstadt frei. Der rote Backsteinbau von 1957/1958 wurde zur baulichen Keimzelle des AMG. Dieser folgte der 1970 errichtete Hauptbau in auffälliger Optik. Die großen farbigen Rechtecke sind den Werken des holländischen Malers Piet Mondrian (1872-1944) nachempfunden.

Das Kollegium des AMG im Jahr 1987.
Das Kollegium des AMG im Jahr 1987. © AMG

Im August 1967 nahm die neue Schule mit 292 Schülern – 135 Mädchen und 157 Jungen – den Betrieb auf. Das „Städtische Albert-Martmöller-Gymnasium“, das zudem als „neusprachliches und naturwissenschaftliches Gymnasium für Jungen und Mädchen“ firmierte, hatte nicht nur eine bunte Außenansicht. Das Lehrerkollegium war jung und antiautoritär gesinnt. Es hatte die Uni zur Zeit der Außerparlametarischen Opposition (Apo) durchlaufen. Später stießen die Gründerjahrgänge der Grünen hinzu.

Lehrer und Schüler waren „per Du“

Die kommissarische Vize-Direktorin Bruni Bülskämper (62), seit den frühen 80ern dabei, erinnert sich noch an „zwei männliche Kollegen in Jeans-Latzhosen, und während der Lehrerkonferenzen wurde gestrickt“. Sie korrigiert sich: „Ich habe ja selbst auch mitgestrickt“.

Der Geist des AMG zeigte sich auch daran, dass Schüler und Lehrer schon mal vom „Sie“ zum „Du“ wechselten. Dabei waren die Beteiligten aber meist noch auf eine gewisse Rollenschärfe bedacht. „Auf Partys haben wir uns auch geduzt, nur in der Schule nicht.“

Schüler erzwingen Zugangsrecht per Sitzstreik

Der freiheitliche Funke sprang – offenbar zum Leidwesen der Lehrerschaft – aber auch auf die Schüler über. Zeugnisse der frühen Schulgeschichte verschweigen nicht „die endlosen Diskussionen mit den ersten Oberstufenschülerinnen um die von diesen geforderte Raucherlaubnis“. Oder den Streit um die Freigabe des Lehrereingangs für die Schüler. Diese wurde mit einem zeitgemäßen Druckmittel erzwungen: per Sitzstreik.

Die „Koedukation“ ließ die Anmeldungen fürs AMG in die Höhe schießen. Enttäuschungen blieben da aber nicht aus: 1967 starteten eine 8. Mädchen-Klasse und eine 7. Jungen-Klasse noch getrennt – zum Verdruss vor allem der Knabenwelt, wie man hört. Aber es gab ja wenigstens noch den gemeinsamen Schulhof. Schon 1969 musste das AMG Schüler abweisen. 1971/1972 beugten sich Ruhr und Schiller dem öffentlichen Druck und zogen mit gemeinsamem Unterricht für Mädchen und Jungen nach.

Großes Wiedersehen beim Festabed im September

Das Albert-Martmöller-Gymnasium feiert sein 50-jähriges Bestehen mit mehreren Aktionen vor den Sommerferien – und mit einem großen Ehemaligen-Treffen danach.

Die Literaturkurse stellen zwei Theateraufführungen auf die Beine. Vor den Ferien finden auch ein Sportfest und ein Fußballturnier statt. Ein Filmteam dreht einen neuen Imagefilm übers AMG. In der Woche (10.– 13. Juli) vor den großen Ferien läuft eine Projektwoche mit 40 Themen – darunter Kanu-Polo oder Mode der vergangenen 50 Jahre. Die Festschrift (10 Euro) wird Porträts aller Schulleiter enthalten, aber auch die Cover (Deckblätter) der Schülerzeitungen aus 50 Jahren.

Ein Höhepunkt und „ein Fest für die ganze Schulgemeinde“ soll der Festabend am Freitag, 8. September, 17.30 Uhr, werden. Dazu lädt das AMG „alle ein, die sich unserer Schule verbunden fühlen“. Das gilt für alle ehemaligen, aber auch alle heutigen Schüler, Lehrer und Eltern. Es läuft ein Rahmenprogramm. Vor allem aber soll Gelegenheit zum Austausch sein. Klassenräume werden von Schülern thematisch dekoriert – Raum Nr. 007 wird mit rotem Teppich und Fotowand auf „James Bond“ getrimmt. Karten für den Festabend können ab sofort unter der Mail-Adresse 50-Jahre-AMG@gmx.de bestellt werden. Im Preis von 20 Euro ist ein Verzehrgutschein von 10 Euro enthalten.

Abert Martmöller: Vom Bergmann zum Bürgermeister

Das AMG trägt seinen Namen zu Ehren von Albert Martmöller, der 1876 als Bergmannssohn in Annen das Licht der Welt erblickte und dort 1953 starb. Dazwischen zog es den „Annener Jungen“ in die Welt. Er war zuerst Bergmann auf Zeche Ringeltaube. Nach einem Betriebsunfall bereiste er als Schuhmachergeselle Deutschland, Italien und die Schweiz, wurde in Basel sesshaft. Er bildete sich im Arbeiterbildungsverein fort, „verschlang“ Bücher, wurde 1896 Mitglied im Bergarbeiterverband, trat 1904 in Mannheim der SPD bei.

Eine Büste in der Schule erinnert an Albert Martmöller (1876 – 1953).
Eine Büste in der Schule erinnert an Albert Martmöller (1876 – 1953). © Thomas Nitsche

Nach der Rückkehr nach Annen war Martmöller hauptamtlicher Gewerkschaftsfunktionär in Lünen und Siegen, dann in Bochum engster Mitarbeiter des Gewerkschaftsführers Fritz Husemann. Im Zuge der Machtergreifung durch die Nazis wurde Martmöller 1933 aus allen Ämtern entlassen, in „Schutzhaft“ genommen. Von 1946 bis 1950 und von 1952 bis zu seinem Tode 1953 mit 77 Jahren diente er seiner Heimatstadt Witten als Oberbürgermeister beim Wiederaufbau.

>> AMG ist das größte Gymnasium in Witten

Das jüngste Wittener Gymnasium hat die meisten Schüler: Das vierzügige AMG hat aktuell 930 Schüler und 78 Lehrer, das vierzügige Ruhr-Gymnasium hat 745 Schüler, das dreizügige Schiller-Gymnasium 702 Schüler.

Das AMG bietet Bläserklassen und naturwissenschaftliche Profilklassen an. Es beklagt Raumnot, ist aber stolz auf die IT-Ausstattung mit Whiteboards, Beamern und Dokumentenkameras.