Witten. . Betroffene, Politiker und Fachleute diskutierten über das Bundesteilhabegesetz. Menschen mit Behinderungen befürchten Nachteile.
Rund 70 Betroffene, Politiker und Fachleute haben auf Einladung der SPD-Kreistagsfraktion bei der SoVD Lebenshilfe in Witten über die Auswirkungen des neuen Bundesteilhabegesetzes diskutiert. Hintergrund: Menschen mit Behinderungen befürchten, hierdurch Nachteile zu erleiden.
Mit dem Bundesteilhabegesetz reagiert die Bundesregierung auf die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen (UN). Die UN hatte eine zeitgemäßere Gestaltung der Gesetze gefordert, mit dem Ziel, die Gesellschaft für Behinderte zugänglicher zu machen („barrierefrei“). Ende 2016 trat die erste Reformstufe des Bundesteilhabegesetzes in Kraft.
Es kann ein Sparzwang entstehen
Kritiker bemängeln, dass der Kreis der leistungsberechtigten Menschen eingeschränkt werden könnte. Außerdem, dass die Bevormundung durch Behörden steige und dass ein Sparzwang entstehen könne. Betroffene befürchten auch, dass es durch das Bundesteilhabegesetz zu Reduzierungen beim stationären Wohnen kommen könnte.
„Ich sehe bei Menschen mit psychischen Behinderungen, die in einer eigenen Wohnung ambulant betreut werden, dass diese in der Regel nicht in der Lage sind, alleine aus der sozialen Isolation herauszukommen“, sagte Barbara Lützenbürger, SPD-Kreistagsabgeordnete. Die Betreuung durch einen Sozialarbeiter zwei Stunden pro Woche richte da auch wenig aus. Mehr eigene Wohnungen statt Wohngruppen könnten ein Ergebnis des neuen Gesetzes sein, um Kosten zu sparen, befürchteten viele Teilnehmer der Diskussionsrunde.
Sozialverbände fühlen sich durch Gesetz gegängelt
„Das Bundesteilhabegesetz ist der Spagat der Bundesregierung, es allen recht zu machen“, betonte Astrid Hinterthür, Fachbereichsleiterin für Soziales und Gesundheit des EN-Kreises. Städte und Kreise seien die Kostenträger und befürchten, dass da ganz erhebliche Kosten auf sie zukommen. Einige Leistungsträger, also Sozialverbände, fühlten sich durch das neue Gesetz gegängelt, so Hinterthür. Viele Betroffene fühlten sich in einer stationären Einrichtung wohl, unter anderem, weil dort Betreuung und soziale Kontaktmöglichkeiten besser seien. Hinterthür: „Ob sie sich in einer eigenen Wohnung besser fühlen, weiß ich nicht.“
Auch Jochen Winter, Geschäftsführer der AWO EN, übte Kritik: „Ich mache ein Fragezeichen an den Generalismus, der hinter dem Gesetz steht. Es gibt Menschen, die stationäres Wohnen brauchen. Es sollten besser alle Formen des Wohnens abgebildet werden.“ Winter wies zudem daraufhin, dass nicht für jeden schulpflichtigen Betroffenen der Besuch einer Regelschule die richtige Lösung sei. „Die Schulbegleiter würde ich gerne abbauen und Förderschulen erhalten“, so Winter. „Es sollte keinen Zwang geben, eine Regelschule besuchen zu müssen.“
Über 4800 Menschen im Kreis erhalten Leistungen
Zusätzlich bot das Thema Finanzen Anlass zu Kritik. Die letzte Ausbaustufe des Bundesteilhabegesetzes soll 2023 in Kraft treten. „Dann steht eine ganz klare Entscheidung über den Kreis der Anspruchsberechtigten an“, so die Moderatorin der Podiumsdiskussion, Nadja Büteführ, SPD-Landtagskandidatin. „Es gibt Befürchtungen unter Behinderten, der Kreis werde kleiner gemacht, um alles finanzieren zu können.“
Rund 1,5 Prozent aller Bewohner des EN-Kreises, 4836 Menschen, bekommen Leistungen des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL). Etwa für stationäres Wohnen, ambulant betreutes Wohnen, für die Arbeit in Behinderten-Werkstätten oder für Unterstützung, etwa für Blinde oder Gehörlose. Der LWL gibt jährlich rund 20 000 Euro pro Betroffenem im Kreis aus, so Matthias Münning vom LWL. Dies mache 286 Euro pro Einwohner im EN-Kreis. Das Geld gehe im Wesentlichen in die Betreuung, damit würden rund 1500 Arbeitsplätze im EN-Kreis finanziert.