Witten. Der Syrer Hasan (17) und die Irakerin Al-Azzawi (17) lernen in einer Flüchtlingsklasse ein Jahr lang Deutsch. Was sie anschließend tun können.
- In vier Flüchtlingsklassen lernen junge Einwanderer am Berufskolleg Witten ein Jahr lang Deutsch
- die meisten sind hochmotiviert – trotzdem haben weniger als die Hälfte anschließend eine Perspektive
- Lehrer fordern bessere Anschlussmaßnahmen und appellieren an Betriebe, offener zu werden
Der Gong ertönt, die Pause ist zu Ende. In der IF2.2 trudeln nach und nach die Schüler ein, ein Mädchen trägt Kopftuch, ein anderes grellen Lippenstift zu ihrer Verschleierung. Junge Männer mit Turnschuhen und dunklem Kurzhaarschnitt lassen sich an den Tischen nieder. IF2.2, das steht für Internationale Förderklasse. Wer hier landet, hat eine lange Reise hinter sich. Und kann in den seltensten Fällen Deutsch.
„Ich bin vor zwei Jahren mit meinem Bruder aus Syrien abgehauen“, erzählt Hasan Mahmoud. Die Augen wendet der 17-Jährige immer wieder ab, starrt auf sein Arbeitsheft, das vor ihm auf dem Pult liegt. Die Eltern seien in Syrien geblieben. „Ist schwer. . .“ Der junge Mann macht eine Pause. Dann lächelt er schief. „Aber mein Bruder und ich wollen in Deutschland bleiben.“
Zwölf Stunden Deutsch pro Woche
Ob das klappen wird, hängt auch von Hasans schulischem Erfolg ab. Seit einem Jahr besucht er mit 16 Mitschülern eine von vier Flüchtlingsklassen am Berufskolleg Witten. Hier werden schulpflichtige Flüchtlinge gleich nach ihrer Ankunft in der Ruhrstadt ein Jahr lang vor allem mit der deutschen Sprache vertraut gemacht. Zwölf Stunden Deutsch pro Woche, dazu Mathe, Englisch und fachpraktischer Unterricht: Das Programm für die Neuankömmlinge ist dicht. „Alle Schüler sollen die Möglichkeit haben, nach einem Jahr den Hauptschulabschluss nach Klasse 9 zu erreichen“, erklärt Abteilungsleiterin Helga Katz (50), die den Unterricht der Flüchtlingsklassen am Berufskolleg koordiniert.
Die Wirklichkeit sieht anders aus. Weniger als die Hälfte der Schüler sind nach einem Jahr in der Lage, am regulären Unterricht der Klasse zehn teilzunehmen. Durchschnittlich zwei bis drei würden einen Ausbildungsplatz finden, und ebensoviele würden einfach verschwinden, nicht mehr auftauchen. Katz: „Versuchen Sie doch mal, in einem Jahr Arabisch zu lernen. Da können Sie sich vorstellen, auf welchem Niveau die Schüler sind.“
Natürlich gebe es Unterschiede, „viel hängt davon ab, ob die Schüler vorher schon eine Schule besucht haben, eventuell sogar einen Abschluss aus ihrem Heimatland mitbringen.“ Und auch an der Motivation mangele es nicht. „Ich würde mir manchmal wünschen, dass meine deutschen Schüler so höflich, wissbegierig und engagiert wären“, betont Katz.
Bewerber sind hochmotiviert
Dennoch bleibt das Problem: Was tun nach einem Jahr Schule, in dem die Jugendlichen genug Deutsch gelernt haben, um sich durchzuschlagen, aber zu wenig, um wirklich eine Perspektive in Deutschland zu haben? „Es mangelt an Anschlussmaßnahmen“, beklagt Helga Katz. Viele Betriebe hätten Vorbehalte, Flüchtlinge einzustellen, „dabei kann ich nur sagen: Ich habe selten motiviertere Bewerber gesehen.“ Integrationskurse seien zwar eine sinnvolle Alternative. „Aber die Anmeldung dauert, mindestens acht Monate Vorlaufzeit muss man rechnen– was sollen die jungen Menschen in acht Monaten tun?“
Hazar Al-Azzawi (17) flüchtete vor zehn Monaten mit ihrer Familie aus dem Irak. Jetzt trägt sie Verbformen in ihr Schreibheft ein. „Mein Vater war Feuerwehrmann in Bagdad, ich möchte Apothekerin oder Ärztin werden“, erklärt die junge Frau. Auch Hasan hat einen Traum: „Im Sommer will ich eine Ausbildung anfangen.“
<<< Alle Schulformen in Witten nehmen Flüchtlinge auf
Reine Flüchtlingsklassen gibt es in Witten vier, sie haben jeweils 16 bis 18 Schüler und werden am Berufskolleg Witten unterrichtet.
Auch alle anderen Schulformen in Witten nehmen Flüchtlinge in unterschiedlicher Zahl auf – hier werden sie allerdings in bestehende Klassen integriert.