witten. . Vor zehn Jahren zog der Supersturm über die Stadt und brachte blankes Chaos. Er fällte so viele Bäume wie die Waldarbeiter in zwei Jahren.
- Vor zehn Jahren zog der Supersturm Kyrill über die Stadt und brachte blankes Chaos
- Er fällte in einer Nacht so viele Bäume wie die Waldarbeiter in zwei Jahren
- Die Feuerwehr fuhr damals 250 Einsätze im gesamten Stadtgebiet
Zehn Jahre ist es jetzt (18./19.1.) her, da herrschte in Witten blankes Chaos: Supersturm Kyrill wirbelte Dachziegel wie Blätter durch die Luft, Hunderte Bäume wurden entwurzelt, einige krachten auf Autos. Reisende warteten, denn es fuhr kein Zug nach Irgendwo.
„Sechstausend Kubikmeter Holzeinschlag hat uns Kyrill damals in nur einer Nacht beschert. So viel, wie wir sonst im gesamten Stadtgebiet in zwei Jahren erwirtschaften“, sagt Stadtförster Klaus Peter. „Doch diese Wunden sind inzwischen weitgehend verheilt“, ergänzt der 56-Jährige und zeigt auf eine größere Fläche im Vormholzer Wald, die der Orkan damals komplett rasiert hatte.
Ein Baum krachte auf einen Feuerwehrwagen
Inzwischen stehen dort wieder fünf Meter hohe Lärchen, Fichten, Birken und Kiefern, die sich derweil selbst ausgesät haben, oder speziell angepflanzte Buchen von 1,50 Metern Höhe. Bis Ende 2008 hätten die Aufräumarbeiten gedauert, erinnert sich der Stadtförster. „Aber letztlich hat Witten damals noch Glück gehabt“, betont er. „Im Vergleich zum Sauerland waren hier eher kleinere Flächen oder Einzelbäume betroffen.“
Tote oder schwerer Verletzte gab es damals in der Ruhrstadt nicht. Dennoch hatten die Feuerwehrleute am nächsten Tag dicke Ringe unter den Augen: Von 350 Kräften fuhren 280 – 50 hauptamtliche, 230 Freiwillige – damals zu 250 Einsätzen im gesamten Stadtgebiet. Ein Baum krachte sogar auf einen Feuerwehrwagen. Verletzt wurde niemand. „Wir hatten unglaubliches Glück“, sagte Sprecher Ulrich Gehrke damals im Interview mit dieser Zeitung.
Besonders auf dem Hohenstein sowie in den Wäldern an Wittens Grenzen zu Sprockhövel und Herdecke hatte sich der Sturm ausgetobt, der auch im Revier 119 Stundenkilometer schaffte. Heftig traf es den höher gelegenen Stadtteil Schnee, weil der Wind aus dem Umland ungehindert Fahrt aufnehmen konnte. Am Ahrenberg war das Technische Hilfswerk bis 4.30 Uhr in der Früh damit beschäftigt, umgestürzte Bäume zu zersägen. „Aber es war schwierig, all das Holz zu verkaufen, weil durch Kyrill auf einen Schlag europaweit so viel angefallen war“, erinnert sich der Stadtförster.
1700 Hektar Waldfläche hat Witten, 750 davon sind in städtischer Hand, der Rest ist privat. „Zahlreiche Waldbesitzer wohnen aber gar nicht oder nicht mehr in Witten“, weiß der Experte. Deshalb kümmerten sich einige von ihnen auch nicht ausreichend um den Zustand ihres Forstes. Das ist vielleicht auch der Grund, warum etwa im Bommerholzer Wald Richtung Elbschebach immer noch Abschnitte so aussehen, als wäre Kyrill erst gestern durchgezogen.
Die Stadt selbst hatte damals süddeutsche Firmen zur Waldschadensbeseitigung angeheuert und viel Holz nach Österreich verkauft. Vielleicht sitzt nun mancher Wittener beim Alpenurlaub auf der Jausenbank aus einem Vormholzer Kyrill-Baum.
Vor zehn Jahren lagen Bäume chaotisch übereinander, als hätten Riesen sie umgekippt. Manch abgebrochener Stamm ragte noch wie ein mahnender Finger in die Höhe: „Ihr sollt mich nicht vergessen!“, schien Supersturm Kyrill sagen zu wollen, der hier im Vormholzer Wald wie an vielen Stellen im Stadtgebiet ganze Arbeit geleistet hatte.
Wenn man heute an gleicher Stelle steht, ist von dem Chaos jenes 18./19. Januar fast nichts mehr zu sehen. Die ausgerissenen Wurzelteller sind verschwunden, die Stämme zersägt und zum Verkauf abtransportiert. Langsam hat sich der Baum-Nachwuchs den Ort der Verwüstung zurückerobert. „Kiefern, Lärchen, Fichten und Birken haben sich selbst ausgesät“, zählt Stadtförster Klaus Peter auf und zeigt in den hinteren Teil des Geländes. Die Bäume dort sind bereits wieder etwa fünf Meter hoch. „Das hatten wir so erwartet. Und damit viel Geld gespart.“ Denn Aufforstung sei kostenintensiv. Zwar würde jede Pflanze bei nur 60 bis 80 Cent liegen. Aber die Masse macht’s: Deshalb kalkuliert der Förster mit 6000 bis 8000 Euro pro Hektar.
„Hier vorne die Birken haben wir selbst gesetzt“, sagt er weiter. Denn dort, in den Nähe des Waldweges, steht Adlerfarn. Und der ist tückisch: „Er kann mehrere Meter hoch werden und ist ein Konkurrent für junge Baumtriebe. Wenn er im Herbst trocknet und knickt, legt er sich auf sie. Dann kommen sie nicht mehr hoch.“ Deshalb wurden bewusst Bäume gesetzt. Hier stehen etliche, inzwischen 1,50 Meter hohe Buchen in Reih und Glied, in einem Abstand von 50 Zentimetern. Aber ist das nicht zu nah?
„Nein. Denn wir wissen ja nicht, wie sich die Bäume entwickeln. Und wir brauchen astfreies, dickes Holz“, sagt der 56-Jährige. So ist die Nähe auch ein Trick: Denn durch den Lichtmangel sterben die unteren Äste ab. „Würde man die Bäume weit voneinander entfernt oder vereinzelt wie im Garten setzen, würden sie komplett beasten. Genau das wollen wir ja nicht, wenn sie wirtschaftlich brauchbar sein sollen“, meint der Experte. Überdies sterbe ein Teil der eng gepflanzten Buchen ab oder werde nach zehn bis 15 Jahren von den Forstarbeitern ausgedünnt.
„Die Buche entspricht der natürlichen Vegetation in unserer Region. Würde der Mensch nicht eingreifen, wüchsen hier vorwiegend Rotbuchen“, weiß Klaus Peter. Die Fichte dagegen, die in unseren Wäldern so oft vorkommt, gehöre dagegen nicht wirklich hierher. Eigentlich stamme sie aus einer Höhe von 800 bis 1000 Metern. „Aber sie wächst sehr schnell und ist damit besonders ertragreich. Sie eignet sich zum Beispiel gut als Bauholz“, gibt er einige Gründe für den häufigen Anbau dieser Pflanze in unseren Breiten an. Doch der Wittener fährt fort: „Wissenschaftler raten inzwischen vom Anbau von Fichten ab. Sie sind nicht mehr konkurrenzfähig, weil sie sehr anfällig für Schädlinge und Wind sind.“
Diese Windanfälligkeit hat sich auch bei der Kyrill-Attacke gezeigt. Weil die Fichten extreme Flachwurzler sind, kippen sie schnell um. Deshalb fielen sie auch beim Orkan in Witten und anderswo wie die Fliegen. Kiefern und Tannen haben dagegen Pfahlwurzeln und stehen wesentlich fester. „Deshalb hatten wir bei Kyrill auch viele Kronenbrüche. Oben brachen diese Bäume durch die Wucht des Sturmes ab, unten waren sie fest mit dem Boden verankert“, so der Experte.
Aha, so entstehen also diese „mahnenden Finger.“