Witten. . Keanu (9) und Maike (18) erzählen, wie sich das Fest anfühlt, wenn ein geliebter Mensch gestorben ist. Ein Gespräch über Angst, Tränen, Hoffnung.

  • Maike (18) erlebt das erste Weihnachtsfest ohne ihren Vater, der im April gestorben ist
  • Keanu (9) vermisst besonders in der Adventszeit seine Oma, die seit November 2015 tot ist
  • Sie erzählen, wie es sich anfühlt, ohne den geliebten Menschen feiern zu müssen

An Heiligabend ist Keanu (9) mit seinen Eltern und dem jüngeren Bruder immer zu Oma und Opa ‘rübergegangen. Jetzt ist die Oma nicht mehr da. Maike erlebt die Feiertage zum ersten Mal ohne ihren Vater, der im vergangenen Frühjahr starb. „Ich habe ein bisschen Angst davor, wie ich mich dann fühle“, sagt die 18-Jährige. Denn Weihnachten, das Familienfest, „ist kaum auszuhalten, wenn einer fehlt“.

Manchmal möchte sie allein sein mit ihrer Trauer: Maike (18) hat im April ihren Papa verloren. Er starb an Krebs.
Manchmal möchte sie allein sein mit ihrer Trauer: Maike (18) hat im April ihren Papa verloren. Er starb an Krebs. © Jürgen Theobald

Diakonin Annette Wagner (55) weiß das nur zu gut. Die pädagogische Leiterin des Zentrums für Kinder- und Jugendtrauerarbeit kennt die Sorgen und Nöte der jungen Besucher, die noch einmal doppelt schwer wiegen an diesen festlichen Tagen. Wir treffen uns zum Gespräch in den Räumen an der Lutherstraße. Keanu flitzt erst mal nach nebenan, zieht sich die Boxhandschuhe an und kämpft mit dem Punching Ball – um zu gucken, wie er sich heute fühlt. Maike bekommt einen Tee. Dann beginnt sie zu erzählen. Über die Zeit, als ihr Vater Thilo an Krebs erkrankte, 14 war die Holzkamp-Schülerin da.

Die Musik hat Vater und Tochter verbunden

An ihrem 18. Geburtstag hat sie den Papa zuletzt gesehen, zehn Tage später – am 27. April – war er tot. Bewusst habe er sich entschieden, im Krankenhaus zu sterben. „Und ich wollte ihn in besserer Erinnerung behalten“, sagt Maike. Nicht so krank und schwach wie zum Schluss. Deshalb hat sie ihn nicht mehr besucht.

Noten, die Maike in Stein gemeißelt hat: etwas, das bleibt von ihrem Vater.
Noten, die Maike in Stein gemeißelt hat: etwas, das bleibt von ihrem Vater. © Wagner

Sein Tod, sagt sie, habe ein Stück Erleichterung bedeutet – weil er nicht mehr leiden musste. Und doch hat es eine Weile gedauert, bis sie realisierte: Der Papa ist für immer fort. Wenn sie Auto fährt und Radio hört und dann kommt da plötzlich ein bestimmtes Lied, dann trifft sie der Gedanke mit aller Wucht. Denn die Musik hat beide verbunden. Als sie das erzählt, fließen immer wieder die Tränen. Maike wischt sie einfach weg und spricht weiter. „Es fällt schwer, über den Tod zu reden, aber es ist wichtig“, sagt sie.

Die Oma wohnte gleich nebenan

Keanu hat sich ausgetobt. Er fühlt sich heute stark und kommt zu uns herüber. „Meine Oma ist am 27.11. 2015 gestorben.“ Dieses Datum hat der Herbeder Grundschüler parat. Denn die Oma war von einem auf den anderen Tag nicht mehr da. Und er hat sie doch so oft gesehen, weil sie gleich nebenan wohnte, hat mit den Großeltern Mittag gegessen. Und von Oma Irmgard Häkeln gelernt.

Diese Grablichter haben Kinder in der Trauergruppe gestaltet. Die Kerze rechts hat Keanu für seine Oma Irmgard gemacht.
Diese Grablichter haben Kinder in der Trauergruppe gestaltet. Die Kerze rechts hat Keanu für seine Oma Irmgard gemacht. © Wagner

„Als Mama und Papa mir gesagt haben, dass sie tot ist, habe ich gerade mit meinem Bruder Fernsehen geguckt. Da ist mir die Fernbedienung aus der Hand gefallen.“ Keanu sagt das ganz sachlich. Inzwischen spürt er: „Wenn wir nicht dran denken und nicht drüber sprechen, dann ist alles ganz normal. Aber wenn der Opa traurig ist, bin ich auch traurig.“ Und der Opa müsse – gerade in der Adventszeit, in der sich der Tod seiner Frau jährt, – oft weinen. Keanu nimmt ihn dann in den Arm. „Er ist ein toller Tröster“, lobt Annette Wagner den Jungen.

Keanu wird an Heiligabend zum ersten Mal beim Krippenspiel in der evangelischen Kirche Herbede mitmachen – als Hirte. Maike geht nicht in die Kirche. Sie wird mit ihrer Mutter, dem älteren Bruder und ihrer Oma zusammen essen.

„Sonst habe ich immer mit meinem Vater den Baum geschmückt“, sagt sie. „Jetzt werden wir das alle gemeinsam tun.“ Merkwürdig und schwer wird das werden. „Aber ein bisschen freue ich mich auch darauf, weil wir uns dann an Papa erinnern.“ Maike hofft, dass nach dem Tod nicht alles vorbei ist. „Aber vielleicht glaube ich das auch nur, weil es einfach schöner wäre.“

>> DER VEREIN „TRAURIG-MUTIG-STARK“

- Der Hattinger Verein „traurig-mutig-stark“ bietet seit vier Jahren ein Zentrum für Kinder- und Jugendtrauerarbeit an der Lutherstraße 6 in Witten an. Auf 200 Begleitungen pro Jahr kommt Annette Wagner, die pädagogische Leiterin. Es gibt Einzelgespräche, offene Angebote sowie feste Gruppen für Kinder und Jugendliche zwischen fünf Jahren und Anfang 20.

- Weil es wichtig ist, dass man Weihnachten feiern kann, auch wenn man jemanden vermisst, bietet der Verein schon seit 1999 am ersten Feiertag einen besonderen, seelsorgerlichen Gottesdienst an. Er findet um 10.30 Uhr im Paul-Gerhardt-Haus an der Marxstraße 23 statt. Neu ist dagegen die interaktive Kinderseite auf der Homepage des Vereins: traurig-mutig-stark.de