Witten. . Michael Coenen verkauft seit über 20 Jahren das Obdachlosen-Magazin bodo. Täglich steht er vor „Wülbern“, dessen baldige Schließung er bedauert.

  • Michael Coenen verkauft seit über 20 Jahren das Obdachlosen-Magazin bodo
  • Fast täglich steht er vor „Betten Wülbern“, dessen baldige Schließung er sehr bedauert
  • Sein Leben dagegen sei gut so, wie es ist

Michael Coenen haben wir gefunden, weil er in der Obdachlosenzeitung einen Artikel geschrieben hat. Darüber, dass er seit zig Jahren vor dem Bettengeschäft Hugo Wülbern steht, „den bodo“ anbietet und sich mit den Mitarbeitern so gut versteht – für ihn eine seltene Erfahrung.

An guten Tagen steht Coenen dort länger, an schlechten nur vormittags. Aber er kommt täglich. Kontinuität sei wichtig, sagt einer, den das Schicksal schon quer durch Deutschland trieb und der vor einigen Jahren in Witten landete.

Seit 20 Monaten trocken

In Deutschland war Michael Coenen einer der ersten Verkäufer für Obdachlosen-Zeitungen. Er verkaufte „Hinz & Kunzt“ in Hamburg, die „Motz“ in Berlin, seit 1997 schließlich den „bodo“ im Ruhrgebiet. Manchmal schreibt er auch, und zwar mithilfe des Künstlers Jonas Heinevetter, der ihm in seiner Annener Galerie Himmelstropfen Papier, Stift und auch seinen Laptop zur Verfügung stellt.

Coenen wohnt nicht weit weg, in einer Einrichtung an der Kreisstraße, die er über die Stiftung Bethel vermittelt bekam. „Ich bin in Therapie, aber ich bin seit 20 Monaten trocken“, sagt er.

15 Tiefkühlpizzen im Angebot

Obdachlos ist er also nicht, auch zur Tafel würde er nicht gehen, er kocht lieber selbst. Der Mann ist nämlich ein Meister der Sonderangebote. Nach unserem Gespräch will er 15 Tiefkühlpizzen kaufen, Markenware. Er weiß, wo es den Frischkäse billiger gibt und wo die Milka-Schokolade. „Viele gucken nicht auf den Preis“, sagt er, ganz Verkäufer. Er zeigt seine schicke Esprit-Jeans, erworben mit 40 Prozent Rabatt.

Die Hälfte des bodo-Verkaufspreises kann er als „Verdienst“ behalten und mitunter läuft es gut. „Mit Esprit und Humor gelingt das“, zwinkert er schlau. Und sagt: „Jeder hat ein Gesicht geschenkt bekommen, nur lächeln muss man selbst.“

Nie was aus seinem Talent gemacht

Wie landet ein solcher Pfiffikus denn auf der Straße? Da winkt Coenen ab. Hat er nie einen Beruf erlernt, keinen Schulabschluss? Doch, den Hauptschulabschluss habe er, eine Chance auf ein erfolgreiches Leben aber gab’s nie. Er wurde bereits in eine Alkoholikerfamilie hineingeboren, wuchs erst bei der Oma auf, die eine Kneipe in Krefeld führte. Kam mit acht Jahren zurück zu den Eltern, wo es ständig Zoff gab. „Das ist keine Entschuldigung, aber in einem behüteten Umfeld wäre es mir sicher anders ergangen.“

Zudem sei er rebellisch gewesen, trägt das Herz auf der Zunge. „Ich kann kopfrechnen wie ne Eins. Aber ich hab’ nie was draus gemacht.“ Von Krefeld zog es ihn auf die Reeperbahn. Der Anfang vom Ende. Vor einigen Jahren vermittelte ihm dann eine Sozialarbeiterin einen Therapieplatz in Breckerfeld. Er suchte sich einen nahen Verkaufsplatz für den bodo und entdeckte Witten. Die Stadt gefällt ihm. „Ist dezent, nicht so hektisch.“

Seinem Fußballverein bleibt er treu

Aber aufs Betreute Wohnen wolle und könne er nicht verzichten. Kürzlich hätte es in Sachen Alkohol einen Rückfall gegeben, „da war ich leichtsinnig. Noch brauche ich eine Käseglocke um mich herum“.

Den bodo zu verkaufen sei für ihn Teil der Therapie. „Man hat ‘ne Beschäftigung. Und arbeitet in Eigenregie, das ist gut.“ Der Mann trägt drei Pullover übereinander und eine Mütze seines Lieblingsfußballvereins KFC Uerdingen 05. Den Verein unterstützt er aus vollem Herzen, bei allen Spielen ist er dabei. Das ist sein heimlicher Luxus.

Coenen sieht sich „in der Mitte“ angekommen. „Ich hab’ auch schon Platte gemacht. Da war ich ganz unten. Jetzt genieße ich den Wert des Lebens. Ich bin, so wie es gerade läuft, zufrieden.“

>> Das schrieb Coenen im bodo-Magazin

In der aktuellen Ausgabe des Straßenmagazins bodo hat Michael Coenen einen Artikel veröffentlicht. Darin schreibt er über seinen Standort vor dem Traditions-Bettenhaus Hugo Wülbern, das zurzeit Ausverkauf macht. Auszüge aus seinem Text drucken wir an dieser Stelle noch einmal ab.

„Es macht mich unendlich traurig, dass Wülbern Februar 2017 schließen wird. Ich verkaufe nun schon seit über 20 Jahren Straßenmagazine. Soviel Herz von den Mitarbeitern und dem Chef ist mir noch nirgendwo anders entgegengebracht worden. Mit einem fröhlichen, aufmunternden Lächeln werde ich jeden Morgen begrüßt. Ich werde nicht geduldet, ich werde respektiert.

Mal gibt es einen heißen Kaffee von Sandra oder Philip bringt mir eine heiße Wurst von König mit. Etliche Male durfte ich meine Magazine für den nächsten Tag im Geschäft lassen, das hat mich spürbar entlastet. Papier ist schwer.

Zum Abschied werde ich mir etwas Nettes einfallen lassen. Drei Generationen, 83 Jahre Tradition – für viele Wittener ein Loch, das nicht wieder gefüllt werden kann. Wahrscheinlich werde ich wieder an diesem Platz stehen, es wird aber nie wieder so sein, wie es mal war.“