Witten. . Die Bonners, die Aufermanns und die Nowags leben für die Kirmes – und stehen auch in schweren Zeiten zusammen.
Es ist Montagnachmittag kurz vor 15 Uhr. Noch stehen die Karussells auf der Annener Kirmes still. Die Schausteller schlendern über den Platz und legen letzte Hand an ihre Buden. Für Andreas Nowag ist es ein vertrautes Geschäft: „Wir sind mittlerweile Schausteller in der sechsten Generation.“ Auf der Kohlenkeller-Kirmes betreut er ein Karussell und einen Süßigkeitenstand.
Ein paar Buden weiter hat auch sein Bruder einen bunten Stand aufgebaut. Früher sei das etwas anders gewesen. „Mein Großvater musste sich nach dem Krieg ein Fahrgeschäft aus einem alten Kanonenrohr basteln – Mondrakete hieß das.“ 20 verschiedene Städte besucht Andreas Nowag pro Jahr. Dass der 56-Jährige den Familienbetrieb übernehmen würde, stand nicht immer fest: „Eigentlich wollte ich Bauzeichner werden.“ Doch kurz nach Abschluss der Lehre starb sein Vater und Andreas Nowag sprang ein. Seitdem ist der Familienbetrieb sein Ein und Alles. Bereut hat er es nicht. „Nur manchmal, wenn es den ganzen Tag regnet und die Einnahmen nicht stimmen, frage ich mich, wie wohl das andere Leben ausgesehen hätte.“
Neben Nowags Karussell beginnen sich die Wagen des Breakdancers zu drehen. Toni Bonner sitzt im Kassenhäuschen und verteilt die ersten Eintritts-Chips an Teenager. Wie oft er selbst schon in dem schwindelerregend schnellen Karussell mitgefahren ist, kann der 32-Jährige nicht mehr zählen. „Mein Rekord sind 23 Runden hintereinander. Da war ich elf. Ich bin höchstens mal raus, um auf die Toilette zu gehen.“ Auch bei den Bonners ist die Kirmes Familiensache.
Ans Aufhören denkt keiner
Tante, Cousin, Bruder – alle ziehen an einem Strang. Doch die Familie hatte ein schweres Jahr. Zuerst starb Tonis Onkel plötzlich an einem Herzinfarkt. Kurze Zeit später kam sein kleiner Neffe bei einem Unfall ums Leben. „Das kann man nicht einfach nebenbei verarbeiten.“ So schwer die Zeit für die Bonners ist, ans Aufhören denkt keiner. „Es geht alles nur zusammen und wir haben alle ein Interesse daran, für unseren Betrieb weiterzumachen.“
Auch die anderen Schaustellerfamilien nehmen Anteil am Schicksal der Bonners. „Wir waren schockiert“, erzählt Heiner Aufermann. Aufermanns, Bonners und Nowags treffen sich übers Jahr verteilt auf dutzenden Rummelplätzen im Ruhrgebiet. „Als Schausteller bist du nie allein. Wir haben alle unterschiedliche Nachnamen, aber eigentlich sind wir eine große Familie.“ Die Saison bedeutet auch für die Aufermanns Knochenarbeit. Die Stände müssen auf- und abgebaut werden. Ständig kümmern sich alle um die Organisation der nächsten Einsätze. „Im Oktober nach der Saison sind wir ganz schön geschafft“, räumt Heiner Aufermann ein. „Trotzdem: Das beste Gefühl ist, wenn im März der Wagen wieder anspringt und wir unterwegs sind.“
Die beiden „Kellerkastenkinder“
Sandy (19) und Lorena (15) betreuen auf der Annener Kirmes das Dosenwerfen. Gekonnt schwingen sie sich über den Tresen, heben Bälle auf und verteilen Preise. Die Schwestern gehören zur jüngsten Generation der Schaustellerfamilie Aufermann.
Ihr Onkel Heiner nennt sie liebevoll die „Kellerkastenkinder“ und jeder Budenbesitzer weiß, was damit gemeint ist. Kellerkasten nennt man den kleinen Anbau an der Unterseite der Schaustellertrucks. In den werden die Kinder, scherzhaft gesagt, hineingeboren. Soll heißen: Sandy und Lorena sind von klein auf dabei – von Stadt zu Stadt, von Kirmes zu Kirmes.
„Es ist toll, immer unterwegs zu sein und so viele verschiedene Leute kennenzulernen“, sagt Lorena. Die beiden jungen Mädchen können sich ein Leben ohne den Rummel gar nicht mehr vorstellen. Bei ihren Klassenkameraden stoße der Lebensstil aber manchmal schon auf Unverständnis. „Es ist schwierig, denen zu erklären, warum wir jedes Wochenende unterwegs sind. Aber wir machen das einfach gern“, erklärt Sandy. Ihre Schwester ergänzt: „Deshalb haben wir auch nur Freunde, die auch Kinder von Schaustellern sind.”
Die jungen Aufermanns wissen jetzt schon, wohin ihr Weg sie führen wird: „Unsere Eltern haben uns immer die Wahl gelassen. Aber wir wollen auf jeden Fall den Betrieb weiterführen.“