Witten. . An der Billerbeckstraße 48 in Heven leben seit zehn Jahren Menschen mit einer psychischen Erkrankung. Sie lernen dort, den Alltag zu bewältigen.

  • Seit zehn Jahren leben im Hevener Haus psychisch erkrankte Menschen
  • Einrichtung der Bethel-Stiftung ist gut in den Stadtteil integriert
  • Bewohner lernen dort, ihren Alltag in den Griff zu kriegen

Fürs Fest hat sich die Bewohnerin vorgenommen: „Das will ich genießen.“ Doch sie weiß: Danach wird es ihr ein paar Tage lang nicht so gut gehen. Die 59-Jährige ist psychisch krank, hat schwere Angstzustände und Depressionen, die ihr auch körperlich stark zusetzen. Deshalb sei sie „froh und dankbar“, dass es dieses Haus in Heven gibt – gemeint ist die Einrichtung der Stiftung Bethel an der Billerbeckstraße. Seit zehn Jahren leben hier Menschen mit psychischen Erkrankungen – mitten im Stadtteil, in der Gemeinde.

Im Garten spielt eine Band, drinnen gibt’s Theater. Viele sind gekommen, um zum Jubiläum zu gratulieren, darunter mancher Nachbar. Und die Pfarrerin vom Steinhügel hat auch vorbeigeschaut. „Ich hatte nie den Eindruck, dass wir hier nicht gewollt sind – im Gegenteil“, sagt Bereichsleiterin Barbara Kristen. „Wir wurden unkompliziert aufgenommen.“ Eine Familie von nebenan sei damals beim Richtfest gewesen und habe zum Einzug eine nette Karte geschrieben, erinnert sie sich.

Stiftung Bethel mit drei Angeboten vertreten

Das Haus Billerbeckstraße gehört zum Bereich Bethel.regional der v. Bodelschwinghschen Stiftungen.

Weitere Angebote der Stiftung Bethel in Witten befinden sich an der Kronenstraße/Breite Straße (35 Plätze Intensiv betreutes Wohnen) sowie an der Kreisstraße (18 stationäre Plätze für Menschen mit Suchterkrankung und daraus resultierenden Beeinträchtigungen).

20 Menschen, die ihren Alltag alleine nicht bewältigen könnten, leben in diesem Haus. Jeder hat seinen eigenen Plan mit tagesstrukturierenden Angeboten: backen, malen, wandern. Denn das Wichtigste sei es, sagt Barbara Kristen, jeden Morgen einen Grund zum Aufstehen zu haben.

Es gibt 16 Einzelappartments mit Bad und Kochnische sowie eine WG. Dazu kommen vier Wohnungen, die ganz in der Nähe liegen. Stationäres Einzelwohnen nennt sich das. Wer soweit ist, dort einziehen zu können, hat ein großes Stück Selbstständigkeit zurückerlangt – und trotzdem immer die Möglichkeit, schnell einen Ansprechpartner im Haus zu finden, wenn es Probleme gibt.

Alleine leben – das wäre für den einen von Wolfgang Kampfenkels beiden Söhnen unmöglich. Der 39-Jährige wohne seit fast zehn Jahren im Haus Billerbeckstraße. Nach dem Abi sei er an einer schweren Psychose erkrankt. Was genau das ist – „das kann man nicht in zwei, drei Sätzen erklären“, sagt der Vater. Mindestens einmal pro Woche ist er zu Gast, nicht nur, um den Sohn zu besuchen. Seit er im Ruhestand ist, engagiert sich der 69-Jährige im Bewohnerbeirat. Das langfristige Ziel, den Alltag wieder selbst in den Griff zu kriegen, sei gut, sagt Kampfenkel. Doch er weiß: „Es gibt Menschen, die das nicht erreichen.“

Das Leben in den Griff kriegen

Ursula Thygs, Vorsitzende des Beirats, hat es geschafft. Im Januar 2012 zog sie ins Haus, im November 2015 wechselte sie in eine der Außenwohnungen, die sie sogar später einmal übernehmen könnte. Sie hat Freunde im Stadtteil, strickt regelmäßig mit einer Frauenrunde. Zum Jubiläum hat sie eine Chronik erstellt – ein ganzes Buch mit Fotos und Texten über all das, was sich in den zehn Jahren im Haus und darüber hinaus ereignet hat: Gruppenurlaube, Feste, die Arbeit im Garten, aber auch Gedanken an verstorbene Bewohner. Ursula Thygs ist auf einem guten Weg. Aber, sagt sie: „Ohne die Hilfe hier wüsste ich nicht, wo ich geblieben wäre.“