Witten. . Prof. Stefan Zimmer von der Uni Witten/Herdecke, früher Finanzbeamter, gehört zu Deutschlands bekanntesten Zahnmedizinern. Seine Zahn-Tipps.

Prof. Stefan Zimmer ist einer der führenden Zahnmediziner Deutschlands. Seit 2008 arbeitet der heute 57-Jährige an der Uni Witten/Herdecke, wo er den Lehrstuhl für Zahnerhaltung und Präventive Zahnmedizin innehat. Außerdem ist Zimmer Leiter des Departments für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde. Im Interview gibt der gebürtige Saarländer Tipps zur richtigen Zahnpflege und schildert, wie er als Sohn eines Bergmanns über den zweiten Bildungsweg Karriere machte.

Sie haben einen ziemlich bewegten Lebenslauf.
(lacht) Ja. Ich stamme aus einem Dorf im Saarland und habe nach der Mittleren Reife zunächst eine Lehre als Finanzbeamter gemacht. Ich war ein schlechter Schüler, habe das Gymnasium abgebrochen. Nach der Lehre war es absehbar, wie mein Leben als Finanzbeamter so weiter verlaufen würde. Das wollte ich nicht. Ich habe dann vier Jahre lang, neben meinem Beruf, das Abendgymnasium besucht und mit 23 mein Abitur gemacht. Das war eine sehr anstrengende Zeit.

Wie kamen Sie zur Zahnmedizin?
Eigentlich wollte ich immer Jura studieren und zurück in die Finanzverwaltung – mit der Absicht, da einmal Chef zu werden. Ich habe einen Bekannten meiner Schwester um Rat gefragt, der ein Jura-Staatsexamen mit einer eins gemacht hat. Es war der spätere Ministerpräsident des Saarlandes, Peter Müller, er ist jetzt am Bundesverfassungsgericht. Peter Müller sagte: Wenn Du ein Prädikats-Examen machst, dann steht Dir die Welt offen, wenn Du das nicht schaffst, wird vielleicht nichts aus Dir. Mein Vater war Bergmann. Ärzte waren für mich Leute aus einer anderen Welt. Doch irgendwann bin ich darauf gekommen. Meine damalige Freundin ging zum Studium nach Berlin. Ein Semester später bekam ich dort einen Studienplatz für Zahnmedizin. Meine Freundin und ich haben uns getrennt. Im Studium habe ich dann meine Frau Claudia kennengelernt. Sie hat als Solo-Cellistin im RIAS-Jugendorchester gespielt, musste dann aber wegen einer chronischen Sehnenscheiden-Entzündung aufhören. Schauspiel war ihre zweite Passion nach der Musik. Sie hat sich damals um einen Schauspiel- und einen Zahnmedizin-Studienplatz beworben. Sie sagte: Das, was ich zuerst bekomme, das mache ich. Es wurde Zahnmedizin. Sie hat aber während dieses Studiums noch parallel eine Ausbildung zur Schauspielerin gemacht. Nach dem Studium hat sie auch rund zwei Jahre als Schauspielerin gearbeitet. Dann hat sie gemerkt, wie beschwerlich das ist. So ist sie zur Zahnmedizin zurückgekehrt. Meine Frau ist auch Professorin für Zahnmedizin an der Uni Witten/Herdecke.

Warum wohnen Sie eigentlich nicht in Witten?
Bevor ich nach Witten kam, war ich fünf Jahre an der Düsseldorfer Uni. Meine Frau und ich sind in unserem Leben schon 16 Mal umgezogen. Wir haben ein Haus gesucht, in dem wir nun endgültig bleiben wollen. Damals habe ich meiner Frau gesagt: Wir können überall hinziehen, aber bitte nicht nach Castrop-Rauxel. Ich kannte die Stadt nicht, aber der Name kam mir so schrecklich vor. Und dann haben wir genau da unser Traumhaus gefunden! (lacht) Mittlerweile finde ich das kultig, in Castrop-Rauxel zu wohnen. Sie waren stellvertretender Leiter der Abteilung für Zahnerhaltung und Präventivzahnmedizin an der Berliner Charité, danach kommissarischer Direktor der Poliklinik für Zahnerhaltung und Präventive Zahnheilkunde der Uni Düsseldorf. Eine steile Karriere.
Unsere Generation hatte – im Unterschied zur heutigen jungen Generation – die Überzeugung: Man kann alles im Leben werden, man hat es selber in der Hand. Ich glaube, dass unsere Gesellschaft heute nicht mehr so durchlässig ist, so dass sich Leute, die nicht aus gut situierten Verhältnissen kommen, schwerer tun, aufzusteigen. Wieviele Zahnmedizinstudenten gibt es in Witten/Herdecke?
Wir lassen jährlich zum Wintersemester 40 neue Studierende zu. Die Neuen für das nächste Semester, das im Oktober beginnt, haben wir schon ausgewählt. Wir haben hier immer zwischen 200 und 240 Studierende. Sie sind auch Chef der Zahnklinik der Uni Witten/Herdecke. Kann sich da jeder behandeln lassen?
Ja. Wir haben von morgens sieben bis abends 20 Uhr geöffnet. Wir behandeln hier jährlich rund 10 000 bis 12 000 Patienten aus dem ganzen Ruhrgebiet, neben den Wittenern kommen viele Patienten aus Dortmund, Bochum und anderen Städten. Wir haben rund 30 Zahnärzte im Department, die auch alle in der Zahnklinik arbeiten. Unsere Studierenden arbeiten dort während des Studiums vom siebten bis zum zehnten Semester. Im Unterschied zu den staatlichen Universitäten behandeln unsere Studenten ihre Patienten aber ganzjährig, auch während der Semesterferien und zwar kontinuierlich über vier Semester. Wir bieten den Studenten hierfür einen so genannten integrierten Kurs an, der von allen Lehrstühlen gemeinsam betrieben wird – von der Oralchirurgie bis zur Kieferorthopädie. Insgesamt behandeln unsere Zahnmedizin-Studierenden während des Studiums etwa doppelt so viele Patienten wie Zahnmedizin-Studierende an staatlichen Hochschulen, weil wir längere Öffnungszeiten haben und ganzjährig behandeln. Sie können damit doppelt so viel Praxiserfahrung sammeln. Wenn sich jemand von unseren Studierenden behandeln lässt, ist die Behandlung auch preiswerter. Aber jeder Schritt wird von einem erfahrenen Zahnarzt kontrolliert!
Sind schlechte Zähne erblich?
Nein! Was man vererbt, sind schlechte Gewohnheiten. Beispiel: Ernähren sich Eltern schlecht und zuckerreich, werden die Kinder das auch machen.
Was kann man tun, um seine Zähne gesund zu erhalten?
Viele gehen erst bei Schäden oder Schmerzen zum Zahnarzt. Dabei kann man sich durch richtiges Zähneputzen und eine regelmäßige Vorsorge ein Leben lang ein gesundes Gebiss erhalten. Viele Menschen putzen ihre Zähne noch so, wie sie es im Kindergarten gelernt haben, mit kreisenden Bewegungen. Kleine Kinder können so etwas gut. Aber etwa mit dem zehnten Lebensjahr muss man lernen, seine Zähne zu fegen. Meint: Immer leicht vom Zahnfleisch zum Zahn putzen, nicht schrubben, und zwar von Rot nach Weiß, innen wie außen. Die Zahnbürste muss so angesetzt werden, dass das Borstenfeld zur Hälfte auf dem Zahnfleisch und zur Hälfte auf dem Zahn ansetzt. Man sollte mindestens zweimal täglich putzen, morgens nach dem Frühstück, abends vor dem Schlafengehen.
Wenn Sie einem Erwachsenen Ratschläge geben, wie er sich die Zähne putzen sollte, dann kann der Zahnarzt das nicht über die gesetzlichen Krankenkassen, sondern nur privat abrechnen. Das finde ich eigentlich skandalös. Wenn man sich einmal anguckt, wieviel Geld die Krankenkassen jährlich für Zahnersatz und die Reparatur von Zähnen ausgeben – das sind Milliarden.
Wie lange soll man putzen?
Früher hieß es drei Minuten. Aber Menschen und ihre Gebisse sind sehr unterschiedlich. Daher muss jeder seine individuelle Zahnputzzeit bestimmen. Das geht so: Man sollte sich Plaquefärbetabletten in der Apotheke kaufen und damit die Zähne anfärben. Die Tabletten machen die Zahnbeläge sichtbar. Dann die Zähne putzen und gucken, wie lange man braucht, bis die ganze Farbe runtergeputzt ist. Seine Zahnbürste sollte man im Schnitt alle drei Monate wechseln. Foto: Achim Scheidemann/dpa Wie oft sollte man die Zahnbürste wechseln?
Man sollte wechseln, wenn die Borsten schief sind. Im Schnitt sagt man, so alle drei Monate. Eine Zahnbürste kann man übrigens in der Spülmaschine reinigen. Eine Medium-Zahnbürste ist gut, eine weiche ist oft zu weich, eine harte kann zu hart sein. Da sollte man sich vom Zahnarzt beraten lassen. Elektrische Zahnbürsten sind besser als Handzahnbürsten. Also die Schallzahnbürsten, bei denen der längliche Kopf dem einer Handzahnbürste gleicht, auch die sogenannten oszillierenden Zahnbürsten, die runde, kleine Bürstenköpfe haben. Mit elektrischen Zahnbürsten kann man die Zähne schneller reinigen als mit der Handzahnbürste.

Worauf soll man beim Kauf der Zahnpasta achten?
Wichtigster Bestandteil einer Zahnpasta ist der Mineralstoff Fluorid. Er macht den Zahn widerstandsfähiger gegen Säuren. Je mehr Fluorid in der Pasta steckt, desto besser. Es sind maximal 0,15 Prozent. Karies wird durch zu hohen Zuckerkonsum verursacht. Vor zehn Jahren hatten 99,3 Prozent der Erwachsenen Karies, nach der jüngsten bundesweiten Studie sind es 97,5 Prozent. Aber da werden alle Menschen mitgerechnet, die an einem Zahn eine kleine Füllung haben, bis zu denen, die ganz zahnlos sind. Am schlauesten wäre es, keinen Zucker mehr zu essen. Dann bekommt man auch keine Karies. Das schaffen viele aber nicht.
Genau. Auch eine perfekte Mundhygiene beugt Karies vor. In den Belägen wird der Zucker zu Säure abgebaut, dadurch wird der Zahnschmelz entkalkt und es entsteht langsam eine Karies. Entfernt man die bakteriellen Beläge regelmäßig und vollständig, kann der Zucker nichts anrichten. Aber eine perfekte Mundhygiene ist auch unrealistisch. Nur ganz wenig Leute haben ganz perfekt geputzte Zähne. Denn: Die Stellen, wo Karies und Parodontitis besonders drohen, nämlich zwischen den Zähnen, kann man schlecht putzen. Daher ist Fluorid wichtig. Ist Fluorid an den Zähnen, kann dies die Entstehung von Karies bremsen oder sogar verhindern. Karies ist übrigens die teuerste ernährungsbedingte Erkrankung, sagt eine Erhebung des Bundesgesundheitsministeriums. Karies kostet mehr als die Herz-Kreislauf-Erkrankungen, nimmt man die direkten Behandlungskosten.

Was ist mit Parodontitis?
Neben Karies ist die Parodontitis, also die entzündliche Erkrankung des Zahnhalteapparates, die wichtigste Erkrankung der Mundhöhle. Wir haben an der Uni Witten einen der wenigen Lehrstühle in Deutschland für Parodontologie, also das Fach, das sich mit dieser Erkrankung beschäftigt. An fast allen anderen deutschen Universitäten ist das nicht entsprechend abgebildet. Da setzt man falsche Schwerpunkte. Einer Parodontitis ist schwerer vorzubeugen als Karies, denn da gibt es nicht so ein Wundermittel wie Fluorid. Aber: In den letzten zehn Jahren ging auch die Parodontitis zurück.

Kann man sogenannte Weißmacher-Zahnpasten verwenden?
Die sollten Menschen verwenden, die zu Zahnverfärbungen etwa durch Kaffee oder Tee neigen. Damit kann man die Neubildung von Verfärbungen hinauszögern. Es gibt Pasten, die nicht so stark schmirgeln, was schädlich für die Zähne sein kann! Man sollte deshalb den Zahnarzt nach einem guten Produkt fragen. Sollte man Zahnseide verwenden?
Man sollte einmal am Tag die Zahnzwischenräume mit Zahnseide reinigen. Obwohl der Nutzen von Zahnseide und Zahnzwischenraumbürstchen in der Fachwelt umstritten ist. Fakt ist: Wird Zahnseide oder werden Zahnzwischenraumbürstchen, die größere Zahnzwischenräume reinigen, korrekt und täglich angewendet, hilft das, Karies und Parodontitis vorzubeugen. Die Anwendung ruhig vom Zahnarzt zeigen lassen. Haben die Leute heute bessere Zähne als früher?
Ja. Gerade ist eine große bundesweite Studie erschienen, wo ich Mitautor sein durfte. Herausgeber ist das Institut der Deutschen Zahnärzte. Die Studie kommt knapp alle zehn Jahre neu heraus. Sie zeigt: 1997, also vor 19 Jahren, hatten in Deutschland 41,8 Prozent der Zwölfjährigen ein kariesfreies Gebiss, heute sind es 81,3 Prozent. 70-Jährigen haben 1997 im Schnitt 17,6 Zähne gefehlt, 2005 waren es 14,1, 2014 – das sind die aktuellsten Zahlen – noch 11,1. Das ist eine enorme Verbesserung! In der Generation unserer Großeltern hatten früher viele mit 50 keine Zähne mehr, sondern eine Prothese. Heute haben immer mehr Menschen immer mehr Zähne bis ins hohe Alter. Woran liegt das?
Das gibt es viele Gründe. Einmal: Die Zahnmedizin in Deutschland ist deutlich besser geworden, hat sich qualitativ enorm weiterentwickelt. Wenn man etwa sieht, wie schlecht Kronen oder Füllungen manchmal noch vor 25 Jahren gemacht wurden. Dann ist das Gesundheitsbewusstsein in der Bevölkerung deutlich gestiegen. Man muss mal gucken, mit welchen Zähnen man früher Bundeskanzler werden konnte und wie das heute ist. Ich glaube, Lafontaine war der erste Kanzlerkandidat, der sich seine Zähne vor dem Wahlkampf hat in Ordnung bringen lassen. Außerdem: In Deutschland wurde 1989 die Individualprophylaxe für Sechs- bis 18-Jährige eine Kassenleistung. Damals wurde auch die Prophylaxe in Schulen gesetzlich geregelt. Zahnärzte gehen dorthin, untersuchen, geben Tipps, zeigen wie man richtig putzt, sagen etwas zur gesunden Ernährung. Aber die Kommunen müssen das finanzieren, gemeinsam mit den Krankenkassen. Funktioniert das auch in der Praxis?
Diese Prophylaxe hat man bis heute nicht deutschlandweit hinbekommen, auch nicht im Ruhrgebiet. Im ganzen Saarland, meinem Heimatland, gibt es nur einen einzigen Schulzahnarzt. Allerdings gibt es viele niedergelassene Kolleginnen und Kollegen, die auf freiwilliger Basis Kindergärten präventiv betreuen. Wir betreuen als Zahnklinik der Uni Witten/Herdecke neun Kitas in Witten und der Umgebung. Und: 1991 wurde in Deutschland die Speisesalz-Fluoridierung eingeführt, also dass Speisesalz Fluorid zugesetzt wird, das ist heute bei rund 66 Prozent des im Haushalt verwendeten Speisesalzes so. Dies leistet auch einen erheblichen Beitrag zur Zahngesundheit. Auch die Fluorid-Konzentration in Zahnpasten spielt heute eine große Rolle. Sie ist in den letzten 20 Jahren innerhalb des gesetzlich möglichen Rahmens kontinuierlich gestiegen.