Witten. . Bei Gassmann bekommt man alles für den täglichen Bedarf. Doch Center und Onlinehandel machen auch dem Wittener Traditionsbetrieb zu schaffen.
Gassmann an der Bahnhofstraße ist das älteste noch inhabergeführte Kaufhaus in der Stadt. 1921 gegründet, führt heute Christine Gassmann-Berger (61), unterstützt von ihrem Vater Wolfgang Gassmann (90), den Familienbetrieb. Man setzt auf Vielfalt. In ihren Kaufhäusern bekommt man fast alle Dinge des täglichen Bedarfs – vom Schulheft, über Unter- und Nachtwäsche, Drogeriewaren, Nähzeug, Küchen-Utensilien, Kinderspielzeug bis hin zu Elektroartikeln. Ein Interview mit Vater und Tochter über die Probleme des Einzelhandels in Online- und Center-Zeiten und über die Gassmansche Firmenphilosophie.
Wolfgang Gassmann (re.) in jungen Jahren im damaligen elterlichen Geschäft an der Wittener Bahnhofstraße/Ecke Beethovenstraße.
Foto:
Gassmann/Repro: Jürgen Theobald
Herr Gassmann, stammt Ihre Familie eigentlich aus Witten?
Nein. Mein Vater Ernst, der das Geschäft zusammen mit meiner Mutter Paula gegründet hat, kam aus der Stadt Greußen in Thüringen. Meine Mutter stammte aus Lütgendortmund. Mein Großvater ist damals der Liebe wegen nach Westfalen gezogen.
Sie haben Geschäfte in fünf Städten in NRW. Wo hat in Witten alles angefangen?
Es begann mit einem kleinen Laden, einem Eckgeschäft zur Bahnhofstraße hin. Später sind meine Eltern in ein Ladenlokal umgezogen, das an der Bahnhofstraße/Ecke Beethoven-straße lag. Hier haben sie überwiegend Haushaltswaren, Glas und Porzellan verkauft, später auch in der ersten Etage Textilien und Elektroartikel. Das Haus wurde bei einem Bombenangriff im Zweiten Weltkrieg zerstört, aber nach Kriegsende wieder aufgebaut. Meine Eltern hatten dort dann als Mieter wieder ihr Ladenlokal. Im heutigen Gebäude an der Bahnhofstraße sind wir seit 1973.
Warum der Umzug dorthin?
Ich habe das Gebäude gebaut, weil ich es sicherer fand, im eigenen Haus mein Geschäft zu betreiben. Als Mieter kann man immer gekündigt werden. Was mir auch wichtig war: Wir hatten von Anfang an einen Parkplatz für unsere Kunden. Unser Geschäft in Annen gab es übrigens schon seit Ende der 1920er Jahre, das Herbeder ist seit 1984 an der Meesmannstraße.
Ende der 1920er Jahre: Der erste „Firmenwagen“ der Eheleute Ernst (li.) und Paula Gassmann, hier im Auto sitzend mit ihrem damals kleinen Sohn Wolfgang.Foto: Gassmann/Repro: Jürgen Theobald
Frau Gassmann-Berger, ist es heute
schwerer, Kaufhäuser zu führen als in früheren Zeiten?
Ja! Früher war das leichter. Zum einen macht uns der Onlinehandel Probleme. Es gibt Leute, die lassen sich von uns beraten und recherchieren dann per Smartphone, wo es die Sachen vielleicht noch günstiger gibt. Was wir auch merken: Überall, wo Einkaufscenter entstanden sind, haben wir das zu spüren bekommen – wie andere Einzelhändler ja auch. Die Folgen sind: Geschäfte werden aufgegeben, es kommt zu Leerständen. Derzeit wird in Meinerzhagen, wo wir ja auch vertreten sind, über ein solches Center nachgedacht. Wir werden das aufmerksam verfolgen.
Sie mussten auch schon Geschäfte schließen.
In Annen haben wir geschlossen, weil es sich nicht mehr rentierte. Seit Ende der 1920er Jahre waren wir dort in der Bebelstraße, dann seit 1984 am Annener S-Bahnhof. Unseren Standort an der Kaiserstraße in Wetter, wo es uns seit 1986 gab, haben wir zum Jahresende 2014 aufgegeben. Wir hatten da schon lange Verluste gemacht. Der Umbau der Kaiserstraße machte uns zu schaffen. Außerdem haben wir es gemerkt, als das Ruhrtal-Center 2010 in Wetter öffnete. Man kann nicht davon leben, dass die Leute nur ihre Schulhefte und ihr Nähgarn bei uns kaufen, weil sie das woanders nicht mehr bekommen.
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Wie geht es Ihnen am Standort in der Bahnhofstraße?
Hier, in Höhe des Berliner Platzes, ist es gut. Wir haben – wie auch in Herbede an der Meesmannstraße – viele Stammkunden. Wir setzen auf Service, auf Beratung – wenn jemand beraten werden möchte. Wir haben hierfür ausreichend Personal. Was wir nicht haben, aber der Kunde gerne hätte, können wir besorgen. Bei uns wird das Sortiment ja nicht wie bei großen Ketten von oben festgelegt. Wir sind Mitglied der EK/Servicegroup in Bielefeld. Das ist eine Einkaufsgenossenschaft mit über 2000 Mitgliedern, darunter auch Österreicher, Niederländer und Franzosen. Wir nutzen auch die Werbe- und IT-Abteilungen der EK/Service-group.
Was halten Sie vom Zustand der unteren Bahnhofstraße?
Das sieht da nicht gut aus mit den ganzen Leerständen. Hinzu kommt, dass manche Hausbesitzer auch ihre Immobilien nicht pflegen. Man kann auch die Fenster putzen lassen und den Bürgersteig vor dem Haus fegen, wenn ein Ladenlokal leersteht. Ist es irgendwo ungepflegt, zieht das ein ganzes Viertel runter. Außerdem wird es ja auch schwierig, neue Mieter für ein Objekt zu interessieren. Umgekehrt sieht man beim Wiesenviertel, was alles bewegt werden kann, wenn das aktive und kreative Leute in die Hand nehmen.
Frau Gassmann-Berger, Sie sind 61, haben zwei Kinder. Werden die oder einer von beiden hier einmal als vierte Generation den Familienbetrieb übernehmen?
(lacht). Nein. Die haben sich ganz anders orientiert. Meine Tochter Julia ist Ärztin und arbeitet in einem Hagener Krankenhaus. Mein Sohn Maximilian ist Agrarwissenschaftler. Er lebt in Südafrika und züchtet Antilopen, Büffel und Nashörner. Außerdem: Ich werde mich nicht mit 65 zur Ruhe setzen!