Witten. Nach der „Sozialen Stadt Annen“ beteiligt sich die Siedlungsgesellschaft auch an dem Stadterneuerungsprojekt Heven-Ost.

Seit anderthalb Jahren sitzt Claudia Pyras auf dem Chefsessel der Siedlungsgesellschaft, der städtischen Wohnungsbautochter an der Lutherstraße. Dabei ist die 54-jährige Vormholzerin mit Unterbrechungen schon 35 Jahre im Unternehmen. In unserer neuen Serie „Sommer-Interview“ sprachen wir mit der Geschäftsführerin über die „SG“, die nicht immer gut dastand.

Wie fällt Ihre persönliche Zwischenbilanz als Geschäftsführerin nach anderthalb Jahren aus?

Sehr gut. Wir haben viel geschafft, sind aber immer noch auf Konsolidierungskurs. Nach dem Verlust von 2,2 Millionen Euro 2009 kann man jetzt die Zielgerade sehen. In den letzten Jahren hatten wir wieder Überschüsse, 2014 waren es knapp 300 000 Euro, auch 2015 liegen wir wieder in diesem Bereich.

Sie haben das Jahr 2009 selbst angesprochen. Damals geriet die Siedlungsgesellschaft in schweres Fahrwasser. Es standen Untreuevorwürfe gegen den langjährigen Geschäftsführer Axel Armbrust im Raum. Wie haben Sie selbst diese Zeit erlebt?

Es war für alle Mitarbeiter schwer. Schließlich ist es nie schön, wenn man die Staatsanwaltschaft im Haus hat. Die Mitarbeiter waren aber nicht in die strategischen Entscheidungen eingebunden. Jetzt gilt es, weiter nach vorne zu gucken.

Hatten Sie sich damals selbst etwas vorzuwerfen?

Nein, ich war als Halbtagskraft in der Technik beschäftigt.

2,2 Millionen Euro Verlust. Es hieß immer, das Wohnprojekt „Preinsholz“ sei in den Büchern zu hoch bewertet worden.

Das war und ist ein tolles Projekt, behinderten- und altengerecht, das sich einer großen Nachfrage erfreut. Es war aber unheimlich teuer.

Hatte sich die Siedlungsgesellschaft damit übernommen?

Ja, es war sehr groß und es wurde teurer als geplant.


Millionenverlust bald abgetragen


Gucken wir nach vorn, wie Sie sagen. Was heißt das, „wir sehen jetzt die Zielgerade“?

Wir haben es in zwei, drei Jahren geschafft, den Verlust von damals abzutragen. Die Mieter haben aber nie etwas davon gespürt. Wir selbst haben aus den Fehlern gelernt. Es wurde zu wenig in den Bestand investiert, 2010 flossen nur zehn Euro pro Quadratmeter in die Instandhaltung. Heute liegen wir bei 18 Euro. Aber das ging damals vielen Unternehmen so.

Viele Häuser der Siedlungsgesellschaft stammen aus den 50er, 60er und 70er Jahren. Wie ist es um deren Modernisierung bestellt?

Wir machen Einzelsanierungen. Sobald eine Wohnung gekündigt ist, schauen wir sie uns an und machen sie dann gegebenenfalls komplett fertig: neue Elektrik, neue Türen, neue Bäder.

Tun Sie auch etwas an den Häusern?

Wir sehen zu, dass wir energetisch sanieren, also Fenster erneuern, die oberste Geschossdecke und Fassaden dämmen wie zum Beispiel an der Schellingstraße.

Wie gehen Sie bei der Gebäudesanierung vor: Versuchen Sie, dies in ganzen Siedlungen im Zusammenhang umzusetzen? Mir fallen da Großprojekte wie in Hattingen ein, wo die HWG (Hattinger Wohnstättengenossenschaft) die ganze Südstadt von links auf rechts dreht.

Solche quartiersumspannenden Großprojekte sind nicht geplant. Doch im Rahmen von „Innovation City“ verfolgen wir auch einen ganzheitlichen Ansatz für Heven-Ost.

Verraten Sie uns mehr?

Ganzheitlich heißt energetisch, ökologisch und sozial. Wir wollen die Lebensqualität im ganzen Quartier erhöhen, etwa durch das Umgestalten von Außenanlagen, wie wir es schon bei der „Sozialen Stadt“ in Annen zum Beispiel an der Schellingstraße gemacht haben. Die Menschen sollen nicht nur ein Dach über dem Kopf haben, sondern sich in ihrem Quartier wohlfühlen. Ich denke da an Projekte wie Café Schelle oder den Nachbarschaftstreff Kerschensteiner Straße. „Innovation City“ bedeutet natürlich auch Klimaschutz. Dazu gehören neue Fenster oder Heizungen, aber wir wollen beispielsweise auch Versickerungsanlagen einbauen.

Abrisse stehen nicht auf der Agenda


Aber Sie planen in Heven-Ost keine Abrisse oder Komplettentkernungen, so dass nur noch eine Hülle der Gebäude stehen bleibt?

Nein, das ist bei unserem Bestand auch nicht notwendig. Wir haben nur einen Prozent Leerstand und ein Prozent ist aktuell wegen Modernisierung nicht vermietet.

Haben Sie keine Angst, dass Ihnen die Mieter weglaufen, weil die Wohnungen veraltet sind?

Natürlich muss man etwas tun, zum Beispiel haben wir schon aus drei kleinen zwei große Wohnungen gemacht. Und wenn ein Gebäude in einem ganz schlechten Zustand ist, wird es auch abgerissen. Von ein paar Gebäuden haben wir uns auch getrennt.

Wie viel fließt durchschnittlich pro Jahr in die Instandsetzung der Gebäude?

Momentan über zwei Millionen Euro.

Was müssen Sie in Heven-Ost in die Hand nehmen?

Das Projekt ist ja mit Städtebaumitteln verbunden. Das hängt von der Förderung ab.

Wo sehen Sie die Siedlungsgesellschaft im Reigen der anderen Wittener Wohnungsbauunternehmen?

Als kommunale Wohnungsbaugesellschaft haben wir einen wichtigen sozialen Auftrag. Wir müssen qualitativ guten Wohnraum zu bezahlbaren Preisen zur Verfügung stellen. Wir haben viel für Benachteiligte getan, zum Beispiel 160 Zuwanderer in 56 Wohnungen integriert. Wir machen das mit Augenmaß, dezentral, so dass die Nachbarschaft nicht überfordert wird. Wir sind stolz auf unsere Mieter, wie sie das mit uns gemeistert haben. Es gab nur in wenigen Einzelfällen Beschwerden. Die Akzeptanz der Flüchtlinge in der Mieterschaft ist da, sie ist ja selbst schon lange multikulturell. Wir haben aber eine ganz vielschichtige Mieterschaft, die Mieten von 2,56 bis 8,78 zahlt, im Schnitt 4,81 Euro.

Hohe Betriebskosten belasten Mieter


Wo drückt momentan der Schuh?

Die Betriebskosten erhöhen sich stark. So trifft der Anstieg der Grundsteuer unsere Mieter massiv. Sie erhöhte sich seit 2014 um 37 Prozent. Hinzu kommen gesetzliche Vorlagen wie Rauchmelderpflicht oder Trinkwasserverordnung, die zum Beispiel eine Legionellenprüfung vorschreibt. Trotzdem konnten wir die Kaltmiete in den letzten Jahren stabil halten. Das grenzt unseren Investitionsrahmen etwas ein.

Im sozialen Wohnungsbau hat sich seit langem wenig getan. Reizt es nicht gerade Sie als Immobilienkauffrau, vor allem aber auch als Architektin, mal wieder neu zu bauen?

Dafür braucht man eine solide Basis, also genug Eigenkapital. Sobald wir den Verlust abgetragen haben, werden wir das aber wieder diskutieren, in etwa drei Jahren. Das Problem ist auch, dass es sehr teuer geworden ist, neu zu bauen. Die Kosten haben sich seit den 2000er Jahren um etwa 40 Prozent erhöht.

Gibt es Wohnungsnot in Witten?

Wir spüren, dass die Nachfrage anzieht. Sanierte Wohnungen können wir sofort weitervermieten.