Witten. . Dr. Frank Koch warnt vor einem Rückgang der Allgemeinmediziner in Witten. Etwa die Hälfte der Kollegen sei über 60 Jahre alt und kaum ein Nachfolger  in Sicht.

In Witten könnte es bald an Hausärzten mangeln. Vor einer entsprechenden Unterversorgung warnt jetzt Ärztesprecher Dr. Frank Koch. Das Problem: Von den etwa 50 Wittener Hausärzten sind laut einer Statistik der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe fast die Hälfte älter als 60 Jahre. Sie werden in den kommenden fünf bis zehn Jahren ihre Praxis aufgeben – und hinterlassen dann eine Menge Patienten. Denn Nachfolger, so Koch, gebe es in den meisten Fällen nicht.

Keiner ist jünger als 35 Jahre

Als Beispiel nennt er Stockum. Dort gebe es derzeit drei Hausarztpraxen. Einer der Kollegen sei 60, der andere 69 Jahre alt. Dieser höre bald auf zu arbeiten, so dass sich seine Patienten einen neuen Hausarzt suchen müssten. Auch in Herbede könnte es in absehbarer Zeit kritisch werden: Die dort ansässigen Mediziner seien zur einen Hälfte zwischen 50 und 60 Jahre alt, zur anderen Hälfte älter als 60. Auch in Heven liegt der Altersdurchschnitt über 50.

Zahl der älteren Patienten steigt auch in Witten an

Insgesamt gibt es im Ennepe-Ruhr-Kreis laut der Studie der Kassenärztlichen Vereinigung etwa 180 Hausärzte, so dass Witten mit etwa 50 Hausärzten derzeit noch gut versorgt ist.

Auch die demografische Entwicklung hat Auswirkungen auf die Hausarzt-Situation, denn in Zukunft wird es auch in Witten immer mehr Patienten geben, die älter als 65 Jahre sind.

In Witten-Mitte ist die Situation etwas entspannter. Dort praktizieren die meisten Ärzte. Zwar ist ein Großteil von ihnen ebenfalls älter als 60, viele sind aber auch um die 40. Übrigens: Kein Hausarzt in Witten sei jünger als 35 Jahre, sagt Koch. Er selbst ist als Internist und Diabetologe zwar Facharzt, betreibt jetzt allerdings eine Hausarztpraxis an der Hauptstraße.

Ein Szenario, das Koch vorhersagt, sieht so aus: Wenn von den rund 50 Hausarztpraxen die Hälfte schließt und davon nur die Hälfte neu besetzt wird, fehlen etwa zwölf Praxen. Da inzwischen jeder Arzt ca. 1000 Patienten betreue, müssten sich 12 000 Patienten andere Hausärzte suchen – was wegen der Überfüllung der Praxen zunehmend schwieriger werden dürfte.

Dass eine Praxis heute seltener an einen Nachfolger übergeben wird, habe verschiedene Gründe. Koch: „Wer sich selbstständig macht, tut dies häufig im Alter zwischen 30 und 40. Etwa 70 Prozent der Medizinstudenten sind inzwischen Frauen. Und sie haben in diesem Alter meist ein anderes Bedürfnis, als in Eigenverantwortung eine Praxis zu übernehmen.“ Nicht zuletzt, weil die Arbeit nicht zu unterschätzen sei. „Hausarzt ist man im Prinzip 24 Stunden am Tag“, weiß Koch. Auch tobe der Verteilungskampf bundesweit. Und weil zum Beispiel Hausärzte in Hessen im Schnitt nur 600 bis 700 Patienten betreuen – bei gleichem Gehalt – seien Abwanderungen nicht selten. Ein Trauerspiel, so Koch, sei außerdem die Ausbildung zum Hausarzt, die in der Regel an den Universitäten gar nicht etabliert sei.

Neue Modelle suchen

Kursierte unter Ärzten früher eher die Angst, nicht genug Patienten zu bekommen, gebe es derzeit eine Überversorgung, so Ärztesprecher Dr. Frank Koch. Der drohende Hausärztemangel verschärfe die Situation in den nächsten Jahren für die Patienten. Deshalb wollen Koch und seine Kollegen vorbeugen.

„Wir müssen neue Modelle suchen“, so eine Idee. Mehr medizinische Versorgungszentren statt einzelner Praxen könnten ein Lösungsansatz sein. Oder Fahrdienste vor allem für ältere Bürger aus den unterversorgten Stadtteilen dorthin, wo es mehr Hausärzte gibt. Weil deren Ausbildung an den meisten Universitäten gar nicht in ausreichendem Maße vorgesehen sei, planen die Wittener Ärzte mit den Unis Witten/Herdecke (UW/H) und Bochum eine Art Regelung mit den Krankenhäusern: Sie könnten den Mitarbeitern während der Ausbildung einen verstärkten Zugang zu Hausarztpraxen ermöglichen, um so das Interesse an dieser Tätigkeit zu wecken.

Prof. Dr. med. Andreas Sönnichsen
Prof. Dr. med. Andreas Sönnichsen © UWH

Übrigens gibt es auch an der Wittener Privat-Uni in der medizinischen Fakultät ein Institut für Allgemeinmedizin und Familienmedizin. Dessen Leiter und Lehrstuhlinhaber Prof. Dr. Andreas Sönnichsen bestätigt jedoch, dass die Allgemeinmedizin an vielen öffentlichen Unis in der Tat deutlich zu kurz komme: „Der Schwerpunkt des Studiums liegt eher auf der spezialistischen Medizin.“ Die Gefahr des Hausärztemangels sieht er auf bundesweiter Ebene: „3000 Allgemeinmediziner gehen in den Ruhestand, nur 1000 folgen nach.“

Sönnichsen bescheinigt dem Hausarzt eine wichtige Funktion und unterstützt damit Kochs Auffassung. Dieser bricht – jenseits der anstrengenden Arbeit – eine Lanze für den Beruf des Allgemeinmediziners: „Seine Aufgabe ist faszinierend. Er ist der einzige, der den Menschen noch als Ganzes sieht.“ Detailbefunde der Fachärzte würden bei ihm gesammelt und koordiniert. Oft begleiteten Hausärzte die Menschen ihr Leben lang, teils sogar über Generationen hinweg.