Witten. . Eng schmiegt sich das neue Büchereigebäude ans Märkische Museum. Es lockt nun alle Bürger mit moderner Medienvielfalt und hoher Aufenthaltsqualität
„Fack Ju Göhte“ – das ist natürlich nicht der Leitspruch der neuen Bibliothek an der Husemannstraße. Aber auch dieser Kinohit auf DVD erwartet die Besucher in den ersten Räumen des Gebäudes, das sich jetzt ans Märkische Museum anschmiegt, als wären sie immer schon kulturelle Geschwister gewesen.
Aktuelle DVDs, CDs, Mangas und peppige Jugendbücher gleich gegenüber den Eingangsräumen, die früher graphisches Kabinett waren, sorgen dafür, dass auch jüngeren Besuchern die Schwellenangst vor der neuen Bibliothek genommen wird. Am Mittwochmorgen (22. 6.) ab zehn Uhr öffnet sie die Pforten für alle Wittener.
Kriegsbeil im Park begraben
Alle Achtung! Die neue Bibliothek an der Husemannstraße kann sich wirklich sehen lassen. Auch bei Internet-Freaks, die meinen, solche Bestände seien völlig überholt. Denn sie schafft den Spagat zwischen klassischem Bücherlesen und neuen Medien wie CDs, DVDs, PC-Spielen, Hörbüchern und ihren Abspielgeräten.
Damit lockt sie wohl auch jüngeres Publikum ins Haus und vielleicht ins angrenzende Museum. Nachwuchs, der um solche Kulturhochburgen leider heute häufig einen großen Bogen macht.
Und hoffentlich begraben die Streithähne nach langem Bücherei-Zoff endgültig das Kriegsbeil im Park an der Husemannstraße.
Vom Unter- bis zum dritten Obergeschoss verfügt das neue Gebäude über 1500 Quadratmeter Medienpräsentations- und Verkehrsfläche. Damit über 300 Quadratmeter mehr als die alte Bücherei an der Ruhrstraße. Aber es nicht nur der Zugewinn an Platz, der das neue Gebäude als deutliche Verbesserung erscheinen lässt: Alles wirkt luftiger, größzügiger, verströmt mehr Aufenthaltsqualität.
Und in Sachen moderne Mediennutzung ist die neue Bibliothek der alten um Lichtjahre voraus: So finden sich etwa im 3. OG sechs Recherchearbeitsplätze mit Internetanschluss und Blick auf den Museumspark. Im Erdgeschoss gibt es zwei Stationen für PC-Spiele. Das überaus geräumige Büro des einstigen Museumschefs Zemter ist jetzt Seminarraum, ausgestattet mit Leinwand, Beamer, 20 Tablets und vier Laptops. Es kann auch angemietet werden.
Und schließlich stehen zwei 3-D-Drucker bereit, die vom Wittener Software-Unternehmer Philip Lehmann gespendet wurden. Mit diesem neuen Schrei der Technik lassen sich beispielsweise Ketten oder Armbänder aus Plastik dreidimensional zur Benutzung ausdrucken. Kostenlos und für junge Besucher bestimmt verlockend.
Nicht zu vergessen: Es gibt auch Bücher in der neuen Bibliothek. Und zwar in rauen Mengen: Sachbücher und historische Romane, Bände über das Ruhrgebiet und speziell über Witten, Krimis und Kunst-, Film- oder Musikbücher von der Klassik bis zu Rock und Pop. Wer möchte, kann sich im Erdgeschoss auch gleich die dazu passenden CDs vor Ort anhören.
Für die kleinen Besucher findet sich in einer oberen Etage eine Kuschelzone, die einer röhrenartigen Bank ähnelt. Auf der Rückseite gibt’s Kindertheater. Die Kleinen sitzen auf Holzstufen, schauen abfotografierte Kinderbuchseiten auf der großen Leinwand an, während eine Mitarbeiterin ihnen passende Texte aus dem Buch vorliest.
Und schon mal vormerken: Am 25. Juni gibt’s ein großes Familienfest, auch das mit der Bibliothek verzahnte Museum ist dann wieder geöffnet. Für die Wittener heißt es also: Willkommen im „Biblioseum.“
Piep, piep, piep, jetzt haben sich alle lieb. Hoffentlich. Denn wer nochmal in den Chroniken der letzten Jahre zur Stadtbücherei blättert, der findet dort viele Episoden, in denen geballter Zoff im Vordergrund steht.
Sei es um den Standort, den Gebäudeverkauf an der Ruhrstraße, den Umzug an die Husemannstraße und die Verbindung zwischen Museum und neuem Bibliotheksgebäude. Um jeden Zentimeter Kunstausstellungs- oder Bücherfläche wurde da heftig gestritten. Dieser Dauerbeschuss zehrte auch erheblich am gepflegten Nervenkostüm von Kulturforumschef Dirk Steimann.
Kulturelle Grabenkämpfe toben eigentlich schon seit der Machbarkeitsstudie für ein Wissenszentrum im Jahr 2007. Nach der politischen Bekundung 2010, das marode Ruhrstraßen-Gebäude zu verkaufen, ging’s aber so richtig los. Satte zwei Jahre redete sich die Bürgerwerkstatt zur Zukunft der Stadtbücherei die Köpfe um den künftigen Standort heiß: da die Bewahrer des Alten, die an der Ruhrstraße 48 festhalten wollten, dort die Fürsprecher für den Umzug zum Museum mit einem Neubau.
Dass überhaupt so lange diskutiert werden durfte, verdankte die Bürgerinitiative pro Ruhrstraße über 12 000 Unterschriften, die sie gesammelt hatte. Doch am Ende gab es weder eine Einigung der Bürgerwerkstatt noch das von der Initiative erhoffte Bürgerbegehren. Aus rechtlichen Gründen entschied allein der Verwaltungsrat, dessen Position von Anfang an feststand: neu bauen!
Rund 2,3 Millionen Euro haben nun der Bibliotheksneubau und der Umbau des grafischen Kabinetts für die neue Mediennutzung gekostet. Diese Summe trage komplett das Kulturforum, so dessen Finanzkalkulator Wolfgang Härtel. Hinzu kamen für Einrichtung und Technik 475 000 Euro Eigenmittel des Kulturforums sowie 360 000 Euro Landesförderung.
„Sportlich“ sei der Zeitplan gewesen, in dem nun die neue Bibliothek im Museumspark an der Husemannstraße herangewachsen sei, meinte Dirk Steimann bei der Rede zur Eröffnung des neuen Hauses vor etwa 70 geladenen Gästen. Entstanden sei „ein Ort in der Stadt, an dem sich alle wohlfühlen“, so der Kulturforumschef optimistisch. Auch einer Stärkungspaktkommune wie Witten stehe dieser moderne Neubau „bestens zu Gesicht“.
Eher vermittelnde Worte für die letzten Zoff-Jahre um die Bücherei fand Bürgermeisterin Sonja Leidemann, als sie jetzt bei ihrer Eröffnungsrede von einem „unglaublich intensiven Beteiligungsprozess“ sprach. „Gut, dass wir diesen Schritt im gemeinsamen Ringen gemacht haben“, unterstrich die Verwaltungsratsvorsitzende des Kulturforums außerdem. Mit Blick auf das Büchereigebäude an der Ruhrstraße meinte sie, es sei „gut, dass wir dieses alte Gebäude verkauft haben.“
Die Initative „Rettet die Stadtbücherei“ hatte ja damals geargwohnt, das Ruhrstraßen-Gebäude werde für ‘n Appel und ‘n Ei an irgendeinen Investor verschebelt. Doch der Software-Jungunternehmer Philip Lehmann verdiente sich keineswegs eine goldene Nase, als er die Immobilie erwarb. Der Ur-Wittener fand das Gebäude, das schon als einstiger Sparkassen-Hauptsitz so viel Geschichte der Ruhrstadt spiegelt, vor allem „charmant“. Er griff zu, obwohl ihn Kenner der Immobilie vor dieser maroden „Wundertüte“ gewarnt hatten. Auch wenn er letztlich „einen höheren siebenstelligen Betrag“ in den Gesamtumbau stecke, sei er stolz, dass bald auch die Pop-Akademie bei ihm einziehe und damit das kulturelle Leben in Witten bereichere, so Lehmann.
Als Bereicherung für Wittens Kultur wird auch Christine Wolf empfunden. Als es nun in einer Eröffnungsrede hieß: „Witten kann sich glücklich schätzen, mit Frau Wolf so eine zupackende Bibliotheksleitung gewonnen zu haben“, gab’s dafür anhaltenden Beifall der Gäste.