Witten. . Die Ev. Kirche von Westfalen bietet in Witten den deutschlandweit ersten Studiengang „Kirchenmusik Popular“ an.
Schlagzeug spielt Philip Lehmann schon, „laut, aber nicht gut“. Künftig kann er im Erdgeschoss seiner Immobilie an der Ruhrstraße 48 Unterricht nehmen. Dem Jungunternehmer ist ein Coup gelungen: Über ein Jahr lang suchte er einen Nachmieter für die Räume, aus denen die Stadtbücherei zurzeit ins Märkische Museum umzieht. Die Ev. Kirche hatte für ihre neu gegründete „Pop-Akademie“ eigentlich ganz andere Objekte im Visier. Gestern aber unterschrieb sie bei Lehmann einen Mietvertrag.
Über 20 verschiedene Immobilien hatte die Ev. Kirche für die neue Hochschule überprüft, in Bochum, Dortmund, Witten und Hagen. Zuletzt hatte sich der Verwaltungsrat der Akademie für „Haus Witten“ entschieden, begeistert vom historischen Ambiente. Indes: Die Räume reichten nicht aus. Neben Büros und Lehrsälen benötigt sie auch einen eigenen Veranstaltungssaal für mindestens 200 Personen.
Mietvertrag für zehn Jahre
Weitere Favoriten nennt Martin Bartelworth, Geschäftsführer der Creativen Kirche und der neuen Popakademie: Haus Hohenstein lag zu dezentral, der Hauptbahnhof sollte es werden. Ein Schallschutzgutachten sprach dagegen: Wenn oben getrommelt wird, können darunter nicht die Angestellten der Verbraucherzentrale arbeiten.
Die 1100 qm in der bisherigen Stadtbücherei seien ein Tipp der Bürgermeisterin gewesen. Besitzer Philip Lehmann rief auch selbst an. „Erst dachten wir, das ist zu groß, das können wir finanziell nicht darstellen“, sagt Bartelworth. Man habe sich aber „so geeinigt, dass das geht“. Denn: „Es ist die perfekte Immobilie für unser Konzept.“ Und Lehmann schwärmt: „Das ist eine super Nachnutzung als Kulturstandort. Die Popakademie bringt Schwung in die Stadt.“
Für zehn Jahre – mit Option auf weitere fünf – werden Keller und Erdgeschoss des Anbaus nun angemietet und umgebaut. Die denkmalgeschützte Eingangstür wird ins Innere versetzt, vorn wird eine Glasfassade eingesetzt. Die „Empore“ in der Erwachsenenbücherei wird abgebaut (gesucht wird dafür noch ein Schrotthändler). In der Mitte des Raumes entsteht ein hoher Veranstaltungssaal, in der für alle Wittener Konzerte stattfinden sollen. Drumherum sowie in der einstigen Kinderbücherei gruppieren sich Büros und drei Unterrichtsräume. Im Keller werden Schallschutzkabinen eingebaut sowie ein Proberaum
Die Pläne lassen ahnen, dass hier weit mehr passieren kann: Bartelworth deutet die Gründung eines eigenen Landesmusikorchesters oder einer Big Band an. Den Umbau zahlt die Landeskirche, 80 000 Euro sollen zudem über Sponsoren kommen – für die Einrichtung oder Instrumente.
Auch Saxofonist Wolf Codera wird unterrichten
Die Hochschule für Kirchenmusik der Ev. Kirche von Westfalen hat künftig zwei Standorte: Herford und Witten. An der Ruhrstraße 48 können ab Oktober 40 bis 60 junge Leute in vier Jahren ihren Bachelor in „Kirchenmusik Popular“ erreichen. Ein Masterstudiengang soll folgen.
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Zu den Lerninhalten zählen etwa Instrumentalunterricht, Musikvermittlung oder Konzertorganisation. Eine Studiengebühr gibt es nicht. Prorektor wird der aus Hamburg stammende Hartmut Naumann. Zu den Dozenten zählt auch der Produzent Dieter Falk aus Düsseldorf.
Auch der Wittener Musiker Wolf Codera mischt in der Pop-Akademie mit: So will er hier eine Nachwuchs-Edition seiner Reihe „Session Possible“ etablieren. Denn: „Die Popakademie soll in Witten auch als Kulturträger auftreten“, sagt Geschäftsführer Martin Bartelworth. „Profiförderung“ und „Impulse für den musikalischen Breitensport“, nennt er das Konzept.
Fortbildung für Erzieherinnen und Jugendmitarbeiter
Neben der Ausbildung hauptberuflicher Kirchenmusiker wird ein breites Fortbildungsprogramm angeboten. Bereits jetzt laufen Workshops für Erzieher, Jugendmitarbeiter, Ehrenamtliche sehr gut. In Witten finden sie bislang an der Sandstraße (Christuskirche) und an der Pferdebachstraße (Sitz der Creativen Kirche) statt. „Gut, dass das hier gebündelt wird“, sagt Ingrid Köhler, Mitarbeiterin und „Bauleiterin“.
Als eine der ersten Studentinnen hat sich Henrieke Kuhn aus Ostwestfalen beworben. „Ich glaube, dass „Pop-Kantorin“ ein Beruf ist, der immer stärker nachgefragt sein wird“, begründet die 19-Jährige, die ganz klassisch Geige spielt und einen Jugendchor leitet, ihre Bewerbung. „Populäre Kirchenmusik ist ein Faktor, mit dem man die Jugend in die Kirche locken kann.“
Der älteste Teil des Gebäudes stammt von 1893, 1909 zog dorthin die Sparkasse. Der Anbau stammt von 1950. Vielen Wittenern ist das denkmalgeschützte Haus als Zentralbücherei bekannt. 2013 verkaufte die Stadt es an Philip Lehmann. Dieser hat dort seine Firma crosscan untergebracht, weiterer Mieter ist der Medizinische Dienst.