Witten. . Weil viele kranke Menschen die Wohnung nicht mehr verlassen können, erspart die Caritas ihren Patienten den Weg in die Praxis. Uwe Lees ist dankbar.
Uwe Lees ist glücklich. Er kann endlich wieder seine geliebten Nüsse essen oder in einen Apfel beißen. Was beinahe unglaublich klingt: Fünf Jahre lang lebte der Wittener ohne Gebiss, weil er aufgrund einer schweren Erkrankung an die Wohnung gebunden ist und nicht zum Zahnarzt gehen konnte. Deshalb kommt der Zahnarzt nun zu ihm – dank der Caritas, die diesen Service vermittelt.
„Es gibt viele kranke oder pflegebedürftige Menschen, die nicht mehr mobil sind und oft über eine schlechte Zahngesundheit verfügen, weil ein Besuch beim Arzt einfach nicht möglich ist“, erklärt Andreas Waning, Fachbereichsleiter Ambulante Dienste bei der Caritas. Dabei sei die Mund- und Zahngesundheit maßgeblich mit der allgemeinen Gesundheit verbunden. „Deshalb war es unser Anliegen, jenen Menschen zu helfen.“ Torsten Schudlich, der in der ans Marien-Hospital angegliederten Zahnklinik arbeitet, habe sich sofort von der Idee begeistern lassen.
Patienten, die nicht mehr mobil sind, sollten sich an Arzt oder Pflegedienst wenden
Wer Patient der Caritas ist, also zum Beispiel den ambulanten Pflegedienst in Anspruch nimmt, und nicht mehr selbst zum Zahnarzt gehen kann, der kann einfach die Pflegekräfte vor Ort auf den neuen Service ansprechen oder direkt in der Caritas-Dienststelle anrufen unter 910 9090.
Alle anderen sollten zunächst ihren eigenen Zahnarzt anrufen und fragen, ob ein Hausbesuch möglich sei, rät Torsten Schudlich von der Zahnklinik, die an das Marien-Hospital angegliedert ist. Dort arbeiten drei Zahnärzte, ein Mund-Kiefer-Gesichts-Chirurg, ein Implantologe und ein Anästhesist.
Der Trend zu Hausbesuchen von Ärzten nehme grundsätzlich ab, bestätigt Schudlich. In der Praxis, in der er zuvor arbeitete, seien vor allem Pflege- und Altenheime sowie Krankenhäuser angefahren worden. Ein Transport des Patienten zum Arzt werde ab Pflegestufe II von den Kassen übernommen.
„Wir haben dann unsere Patienten angeschrieben“, so Andreas Waning. Und seit Anfang des Jahres hätten Schudlich und sein Kollege Dr. Rouven Wagner schon 15 bis 20 Betroffene zu Hause besucht. Im Fall von Uwe Lees war außerdem Michael Gaida von der G.O.R. Zahntechnik aus Essen mit im Boot. Der Betrieb hat ein eigenes Labor in den Räumen der Zahnklinik und fertigt zum Beispiel Prothesen. Deshalb auch war Gaida ebenfalls schon mehrmals bei Lees zu Besuch, fünf Mal insgesamt, für den Abdruck und um die neuen Zähne anzupassen. Heute hat er ein Schleifgerät dabei für die letzte Feinarbeit.
Natürlich, betont Torsten Schudlich, „sind uns Grenzen gesetzt bei der Behandlung zu Hause“. Zum Beispiel sobald ein Bohrer ins Spiel kommen müsse. Doch bei Kleinigkeiten können die Zahnärzte gut helfen, etwa bei Mundschleimhauterkrankungen oder bei Druckstellen von bereits vorhandenen Prothesen. „Zur Not können wir auch mal eine provisorische Füllung machen.“
Uwe Lees beißt immer wieder die Zähne zusammen, die seit einer Woche im Kiefer sitzen, und freut sich über das klackernde Geräusch: „Als ich hörte, dass ich endlich wieder ein Gebiss bekomme, war ich richtig euphorisch“, sagt er. „Das war wie ein Sechser im Lotto“, ergänzt seine Frau Margit, die sich selbst um ihren Mann kümmert. Geht sie arbeiten, springt ihr Sohn ein.
Er kann nur noch im Sessel sitzen
Uwe Lees hat seit etwa zehn Jahren COPD, eine chronisch obstruktive Lungenerkrankung. Dass er die Zähne komplett verlor, ist eine Folge davon. Dass er so lange kein Gebiss hatte, darüber könnte man beinahe schmunzeln, wäre die Geschichte an sich nicht so tragisch. „Ich habe es weggeworfen“, gesteht Margit Lees. „Das ist im Stress passiert.“ Ihr Mann hatte die Prothese in ein Taschentuch gewickelt und irgendwo hingelegt.
Anfangs konnte der heute 58-Jährige, der als Lkw-Fahrer bei der Stadt Witten arbeitete, seinen Beruf noch ausüben, denn die Krankheit schreitet langsam voran – in vier Stufen. Uwe Lees hat die letzte erreicht. Rund um die Uhr muss er mit Sauerstoff versorgt werden. Schon vor fünf Jahren konnte er die Wohnung im zweiten Stock des Mehrfamilienhauses nicht mehr verlassen. Seit zwei Jahren kann Lees weder stehen noch liegen. Seit dieser Zeit sitzt er in einem Sessel im Wohnzimmer. Sieht fern, hört den zwitschernden Kanarienvögeln zu. Wann er schläft? „Ich döse nur“, sagt Lees.
Die neue Prothese hat ihm ein Stück Lebensqualität beschert. Der Service, den die Caritas vermittelte, sei ein Versuch gewesen, „der gut angelaufen ist“, sind sich Waning und Schudlich einig. „Und wir würden uns über Nachahmer freuen.“