Witten. . Wittener Kammermusiktage begrüßten Gäste aus aller Welt. Die erlebten Ungewöhnliches vom Konzert im Help-Kiosk bis zur Untermalung eines Stummfilms.

Seit Gründung der „Wittener Tage für neue Kammermusik“, deren Wurzeln als „Wittener Musiktage“ bereits auf das Jahr 1936 zurückgehen, zog es junge Komponisten immer wieder in die Ruhrstadt, um dem Publikum ihre Vorstellungen von der Musik der Zukunft vorzustellen. Denn kein anderes Musikfestival zeigt kompositorisches Schaffens der orchestralen und instrumentalen Musik so zeitnah und deutlich wie dieses Festival.

Auch zur aktuellen Ausgabe am Wochenende (22. bis 24. 4.) reisten wieder Musiker und Gäste aus der ganzen Welt an.

Ein Streifzug durch die ausnahmslos gut besuchten Veranstaltungen zeigte eine Vielfalt von Entwicklungen, die teilweise noch dem Stadium des Experimentierens zuzuordnen sind. Die vielen kleinen und größeren Veranstaltungen – über das Stadtgebiet verstreut – gaben einem hochinteressierten, sachkundigen und beifallsfreudigen Publikum Gelegenheit, neue Klänge zu entdecken. So spielten zum Beispiel im Rathausturm vier Solisten vor der herben Klangkulisse aus Großstadtgeräuschen. Und im benachbarten „Help-Kiosk“ konnten die Besucher auf engstem Raum Kammermusik entstprechend ihrer ursprünglichen Bedeutung genießen.

Tabea Zimmermann, eine der besten Bratscherinnen weltweit, verband bei ihrem Auftritt bei den Wittener Kammermusiktagen grandiose Technik mit atemberaubender Musikalität.
Tabea Zimmermann, eine der besten Bratscherinnen weltweit, verband bei ihrem Auftritt bei den Wittener Kammermusiktagen grandiose Technik mit atemberaubender Musikalität. © WTNK

Was gibt es also Neues beim diesjährigen Festival? Beim aufmerksamen Zuhören verschiedener Konzerte fallen im Wesentlichen zwei Richtungen auf; gemeint sind die Weiterentwicklungen klangorientierter oder geräuschorientierter Musiken. Beim ersteren werden herkömmliche Spielpraktiken weitgehend beibehalten, aber trotzdem neue Klanggebilde erfunden und modelliert. Ein gutes Beispiel dafür ist das im Saalbau gespielte Streichtrio „re“ von Eunsung Kim, das mit konventioneller Spieltechnik ungewohnte Klänge sowohl lyrisch, als auch dramatisch bietet. Oder auch der mit Spannung erwartete Auftritt der berühmten Bratscherin Tabea Zimmermann, die mit der Solosonate „Von Kopf durch Kopf…“ der jungen Komponistin Birke Bertelsmeier grandiose Technik mit atemberaubender Musikalität verband.

Die geräuschorientierte Entwicklung geht andere Wege. Hier wird mit neuen Spieltechniken auf herkömmlichen Instrumenten experimentiert, was den bekannten Klangcharakter verändert oder sogar völlig verfremdet. Bei der Komposition „heather“ von Jonah Haven werden bei den Streichinstrumenten statt der Finger Checkkarten auf die Saiten gesetzt, was einen irreales Klangbild zur Folge hat. In dem Werk „kritzung“ von Hannes Kerschbaumer werden Trommeln mit Violinbögen gestrichen, dazu spielt eine mit verschiedenen Dämpfern präparierte Viola. Das Ergebnis war ein absolut fremdes Hörerlebnis.

Ein Musikereignis der besonderen Art gab es im Ruhrgymnasium. Hier wurde der Stummfilm „Schatten“ (1923) mit Fritz Kortner gezeigt. Das Eifersuchtsdrama gewann durch die unterlegte Musik von Johannes Kalitzke enorm an Wucht und Dramatik. Elf Musiker entfachten ein Feuerwerk an Gefühlen. Wer bisher nicht verstanden hat, was zeitgenössische Musik leisten kann, erlebte ein eindrucksvolles Beispiel.

Die Kammermusiktage endeten am Sonntagabend, u. a. mit einem Auftritt des WDR-Sinfonieorchesters (ausführliche Besprechung in der nächsten Ausgabe.)