Witten. . Bei den Überfällen auf Spielhallen und eine Tankstelle, die ihnen zur Last gelegt werden, waren die Angeklagten erst 14, 16 und 18 Jahre alt.

Zwei Vierzehnjährige, ein Sechzehn- und ein Achtzehnjähriger sollen für eine Serie bewaffneter Raubüberfälle auf Spielhallen und eine Tankstelle in Witten Anfang 2015 verantwortlich sein. Maskiert, mit Messern und einmal mit einer kleinen Pistole sollen sie innerhalb von sechs Wochen in unterschiedlicher Besetzung fünfmal zugeschlagen haben – teils blieb’s beim Versuch. Seit Mittwoch, 9. März 2016, müssen sich die vier Wittener, inzwischen alle ein Jahr älter, vor der Jugendkammer des Landgerichts verantworten.

Spielhallenaufsicht: „Ist das ein Scherz?“

Einige Tatumstände aus der Anklage lassen auf noch junge und unerfahrene Täter schließen. Ob das „ein Scherz“ sei, wollte die Angestellte einer Herbeder Spielhalle wissen, die ein Räuber unter Vorhalt eines Kampfmessers aufforderte: „Her mit der Kohle!“ Ein Behälter mit 575 Euro in Münzen, den er an sich riss, flog laut Staatsanwalt „mit Getöse“ auf den Boden.

Polizei saß im Auto nebenan

Beim Überfall auf die Esso-Tankstelle an der Dortmunder Straße hatten die Räuber schon 200 Euro erbeutet. Dann drehte einer sich noch mal um, um sich noch „vier Marlboro XXL“ aushändigen zu lassen. Zwei Tage später spähte ein Trio dieselbe Tankstelle offenbar für einen weiteren Überfall vom Parkplatz einer gegenüber liegenden Gaststätte aus. Dabei fiel es drei Zivilfahndern auf, die im Pkw direkt daneben saßen und dieselbe Tankstelle beobachteten – wegen der Serie von Überfällen damals. Beim Versuch blieb’s auch, als die Angestellte einer Spielhalle an der Ardeystraße die Zugangstür nach Feierabend gerade abgeschlossen hatte. Sie versicherte, der Alarm werde losgehen, wenn sie wieder aufsperren würde. „Schwör!“, forderte der ein Räuber sie noch auf, um sich dann zu verabschieden: „Dann haben Sie heute Glück gehabt.“

Beim Überfall auf eine Spielhalle an der Dortmunder Straße drückte die Angestellte, die Geld herausrücken sollte, aus Nervosität auf einen falschen Kassenknopf. Das war nicht der Alarm, aber der laute Ton und wohl auch der böse Blick eines Kunden, eines über 1,90 m großen Ex-Ringers, reichten, um die beiden Räuber in die Flucht zu schlagen.

Richterin fordert auf, reinen Tisch zu machen

Erwachsene müssten bei solchen massiven Vorwürfen mit mehrjährigen Haftstrafen rechnen. Für die drei Jugendlichen gilt des Jugendstrafrecht – hier steht der Erziehungsgedanke im Vordergrund. Es soll auch für den damals 18-jährigen herangezogen werden. Richterin Isabel Hoffmann mahnte alle Angeklagten aber, dass ihre heutige Einstellung zu ihren Taten und ihrer weiterer Weg dabei eine wichtige Rolle spielten. Sie rief alle vier auf, schonungslos reinen Tisch zu machen: „Ob Sie bereit sind, den Kopf hier auf den Tisch zu legen, kann den Ausschlag geben, ob wir hier noch mit Bewährungsstrafen hinkommen oder nicht.“

Die Strafverteidiger der vier jungen Angeklagten (15, 15, 17 und 19 Jahre) aus Witten signalisierten der Jugendstrafkammer des Bochumer Landgerichts, dass ihre Mandanten sich zu ihren Taten bekennen würden – soweit die Vorwürfe zuträfen.

Beispiele fehlgeschlagener Integration

Die Kammer befragte die Vier zunächst zu ihrer Familie, zu Freunden, zur Schullaufbahn, zum Freizeitverhalten und zu Drogen sowie zu ihren privaten und beruflichen Perspektiven. Dabei kam man als Zuhörer nicht um die bittere Erkenntnis herum, dass jeder auf ganz eigene Weise – bisher – ein Beispiel von misslungener Integration von Flüchtlings- oder Zuwandererkindern in die deutsche Gesellschaft ist.

Der Älteste, heute 19 Jahre, kam mit seiner Familie im Alter von 14 Jahren aus Syrien nach Witten. Da er kein Wort Deutsch sprach, musste er ein Hauptschuljahr wiederholen. Er schaffte aber den Abschluss nach Klasse neun. Er macht gerade eine Maßnahme in einer Werkstatt, würde gerne Kfz-Mechaniker werden.

Drogenprobleme

Der 17-Jährige, Sohn türkischer Eltern aus Witten, verließ die Hauptschule ohne Abschluss. Er hatte massive Drogenprobleme – Ecstasy, LSD, Haschisch, Wodka: „Ich habe alles genommen, was ich hatte.“ Ihm werden zusätzlich Einbruchsversuche angelastet. Heftige Krampfanfälle brachten ihn erst in den Entzug, dann auf einen anderen Weg. Seit längerem macht er nun ein Praktikum bei einem Friseur, würde bei diesem auch eine Lehre bekommen.

Keinen Anschluss in der Schule bekommen

Einer der 15-Jährigen stammt aus Bosnien. Als er mit elf nach Witten kam, besuchte er zum ersten Mal überhaupt eine Schule. Zuerst habe er sich „geschämt und nur auf den Tisch geguckt“, weil er nichts mitbekam. Dann wurde er auffällig, flog von der Hauptschule, dann, nach einer Schlägerei, auch von der Förderschule. Seit einem Jahr habe er eigentlich „gar nichts“ gemacht, außer auszuschlafen und „nach draußen“ zu gehen. Er hofft auf eine neue Chance für einen Abschluss.

Den will auch der andere 15-Jährige jetzt erst einmal machen. Der Kosovo-Albaner, in Witten geboren, hing ebenfalls viel auf der Straße ab und wurde schnell aggressiv – was er vor allem auf den „Stress“ mit seinem Vater zurückführt. Der habe die Familie oft im Stich gelassen. Unter den Fittichen seines Onkels soll der 15-Jährige inzwischen in ruhigeres Fahrwasser gekommen sein.