Witten. . Stadtteil-Initiative sprach mit Zeitzeugen über Zwangsarbeiterlager an der Immermannstraße. Dokumentation soll im Unterricht zum Einsatz kommen.

Sie trugen zerschlissene Kleidung, mussten hungern, wurden gequält und mit Gewehrkolben in den Rücken geschlagen: Die „Bürgerinitiative l(i)ebenswertes Annen“ hat das entwürdigende, unmenschliche Leben von Gefangenen des ehemaligen Zwangsarbeiterlagers und späteren KZ-Außenlagers an der Immermannstraße dokumentiert. Nun soll das zehnseitige Heft im Unterricht zum Einsatz kommen.

„Uns war wichtig, dass dieser Ort weiter einen Platz im Gedächtnis hat“, sagt Jürgen Dieckmann (77), Mitbegründer der Bürgerinitiative. „Wir haben Erzählcafés veranstaltet, um Menschen zu finden, die sich erinnern und mit denen wir sprechen können.“

Verstohlene Blicke aus Verstecken

Zwischen Januar 2013 und August 2014 führte die Initiative Gespräche mit Zeitzeugen, die zwischen 1929 und 1938 geboren wurden: Anwohnern, die das Geschehen als Kinder und Jugendliche miterlebten, die Geschehnisse mit verstohlenen Blicken aus Verstecken beobachteten, aber auch Menschen, die von anderen erzählt bekommen haben, was für ein dunkles Kapitel in Annen seit 1941 geschrieben wurde.

Peter Geiger (72) hatte viele Gespräche mit Zeitzeugen geführt. Er zog 1979 in den Stadtteil. Seitdem, sagt er, könne er auf das Gelände mit der so schlimmen Geschichte blicken. „Am Anfang habe ich nicht gewusst, was dort passiert war. Durch die Bürgerinitiative habe ich mich schließlich intensiver mit der Geschichte beschäftigt.“

„Ich habe sie einfach reden lassen“

Mahnmal und Infotafeln erinnern an Nazi-Gräuel

1941 entstand im Bereich der Arndt-/Immermannstraße zunächst ein Arbeitslager für Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene. Im September 1944 wurde es um ein Außenlager des Konzentrationslagers (KZ) Buchenwald erweitert. Vor der Befreiung von den Nazis durch die Rote Armee 1945 wurden die Wittener KZ-Häftlinge deportiert, die Zwangsarbeiter blieben in Witten.

Nachdem der Ort in Vergessenheit geriet, stellten Martmöller-Gymnasiasten 1984 Nachforschungen an. Daraufhin wurde ein Jahr später ein am Rande der Fläche ein Gedenkstein aufgestellt. Dieser wurde auf Wunsch der Bürgerinitiative später zentral auf die Fläche des ehemaligen Außenlagers aufgestellt. Zudem gibt es Tafeln mit Infos über Zwangsarbeit in Witten und das KZ-Außenlager.

Die Zeitzeugen, die ihm Einblicke in ihre Erinnerungen erlaubten, stammten aus seinem eigenen Umfeld, sagt Peter Geiger. „Menschen, die ich im Laufe der Jahrzehnte kennengelernt habe. Ich habe sie einfach reden lassen.“ Was sie ihm zum Teil sehr emotional berichtet haben, hat er eindrücklich in der Dokumentation festgehalten: Zum Beispiel, wie verstorbene Zwangsarbeiter in einem Massengrab verscharrt wurden. „Eine Zeitzeugin hatte immer noch das Geräusch im Kopf, wenn KZ-Häftlinge mit Holzschuhen herumliefen: Klapp, klapp.“

„Wichtig war mir, dass die Informationen nicht einfach in der Schublade verschwinden“, betont Geiger. Nun sollen sie also Teil des Geschichtsunterrichts an Wittener Schulen werden – gekürzt und vereinfacht geschrieben, damit es für Schüler zugänglicher ist. Aus Sicht von Lehrern eine Bereicherung. „Erinnerungskultur ist bei uns ein großes Thema“, sagt Ulrich Janzen, Schulleiter des Ruhrgymnasiums. „Wir haben regelmäßig Holocaust-Überlebende eingeladen. Das Thema ist nicht beendet. Es lebt weiter.“

„Es ist wichtig, die Erinnerung zu erhalten“

Auch Bärbel Faustmann, Rektorin der Helene-Lohmann-Realschule, kann sich den Einsatz der Dokumentation gut vorstellen. „Ich gehe davon aus, dass ich bei meinen Geschichtslehrern auf offene Ohren stoßen werde. Persönliche Sichtweisen machen den Unterricht anschaulicher.“ Außerdem, betont Faustmann: „Es gibt immer weniger Zeitzeugen. Darum ist es so wichtig, die Erinnerung zu erhalten.“