Witten. Mit Kerzen und Plakaten zogen sie durch die Stadt, um nach dem Angriff auf eine Flüchtlingsunterkunft gegen Gewalt und Rassismus zu demonstrieren.

Es weht ein kalter Wind, doch die Kerzen in den Windlichtern gehen nicht aus. Rund 1000 Menschen (Polizeiangabe) haben am frühen Freitagabend nach dem erneuten Brandanschlag auf eine Flüchtlingsunterkunft ein Zeichen gegen Gewalt und Hass gesetzt.

Mitinitiator Stefan Borggraefe spricht von einem „Zeichen gegen die Angst“. „Wir lassen uns nicht bange machen und nicht einschüchtern von Idioten, die Flüchtlingsheime anzünden.“ Der ehemalige Bürgermeisterkandidat der Piraten hat kurz das Mikro ergriffen, als der Demonstrationszug vor dem Rathaus für die Abschlusskundgebung stoppt. Gänsehautgefühl macht sich breit, als die vielen Menschen, darunter etliche junge, auf dem Platz eintreffen.

Johanniskirche läutet die Glocken

Blau flackern die Lichter der sechs Polizeiwagen und zwei Motorräder, die zum Schutz dieses Protestmarsches aufgefahren sind, blau leuchtet es vom Rathausturm. Die Johannniskirche lässt die Glocken läuten. Viele Teilnehmer halten Kerzen in den Händen. Nicole Schneidmüller-Gaiser (45), Sprecherin des Evangelischen Kirchenkreises, drückt gerade der Bürgermeisterin eine Kerze mit Deckel in die Hand. Sie nennt es ein „Licht der Hoffnung und ein Zeichen gegen Dunkeldeutschland“, das die Menschen an diesem Abend entzünden.

Bürgermeisterin Sonja Leidemann findet es „traurig“, dass man sich erneut zu einem solchen Anlass zusammenfinden müsse. „Aber hoffentlich ist es das letzte Mal“, sagt sie am Rand der Kundgebung. In ihrer kurzen offiziellen Rede ruft die 55-Jährige zu einer Minute der Stille auf. „Um derer zu gedenken, die jetzt im Krieg kämpfen.“ Sie meint wohl die Menschen in Syrien, im Irak, in Afghanistan. Gleichzeitig drückt sie ihre Hoffnung aus, dass diese Kriege bald enden, „damit die Flüchtlingsströme abebben“.

Viele ehrenamtlichen Helfer laufen mit

Viele Teilnehmer haben bei ihrem Protestmarsch durch die Stadt immer wieder lautstark demonstriert, dass sie Flüchtlinge in Witten willkommen heißen. Ein Kind fährt im Buggy mit dem Plakat voraus: „Ich liebe es, multikulturell aufzuwachsen.“ Eine Frau trägt ein Schild um den Hals: „Gewalt ist nie eine Lösung.“ Dass diese von rechts kommt, ist für die meisten ausgemacht. Er fürchte, dass da noch mehr komme, sagt Ralf Michalak (56), der sich mit seinem Hund Luki dem Zug angeschlossen hat. Dabei denkt er an die Nähe zu Dortmund, wo die rechte Szene sehr stark sei.

Auch viele ehrenamtlichen Helfer laufen mit, die sich für Flüchtlinge engagieren, etwa wie Katharina Batsch (32) im Help-Kiosk. Sie hat gleich zwei Flüchtlinge aus Syrien mitgebracht. Die Anschläge findet sie „erschreckend“. Wer so etwas tue, könne sich gar nicht in das hineinversetzen, was die Flüchtlinge durchgemacht hätten.

„Als Sündenböcke präsentieren die Nazis die Geflüchteten“

Nicht die Menschen, die vor Krieg, Hunger und Verfolgung geflohen sind, verursachten soziale Probleme, sagt einer der ersten Redner auf der Kundgebung, wo auch gesellschaftskritische Töne mit deutlicher Kritik am System angeschlagen werden: „Bildung, Kultur und Soziales werden kaputtgespart. Als Sündenböcke präsentieren die Nazis dann die Geflüchteten.“

Achim Czylwick vom linken Personenwahlbündnis „AUF“ fordert den Rechtsstaat auf, die vielen Anschläge endlich aufzuklären. Auch die Brandstifter vom Bommerholz und wie zuletzt am Annener Berg konnten noch nicht ermittelt werden. Pfarrer Claus Humbert nimmt sich die rechtslastige Pegida-Bewegung vor, die das christliche Abendland vor einer Islamisierung bewahren will. Humbert.

Pfarrer erinnert an das Alte Testament

„Ja, ihr Lieben, lasst uns das tun, das christliche Abendland bewahren“, sagt der evangelische Geistliche aus Annen. Flüchtlinge willkommen zu heißen, sei schon ein zentrales Thema im Alten Testament gewesen. Unter Applaus ruft er den Zuwanderern an diesem Abend zu: „Ihr seid wirklich und wahrhaftig willkommen. Wir nehmen Euch gerne auf.“