Witten. Von 30 Mitarbeitern im Ardey-Hotel haben 14 eine Behinderung: Menschen, die nichts hören,im Rollstuhl sitzen oder nicht lesen können.
In schönen Schlangenlinien wischt Rebekka Azam das Foyer. Die 27-Jährige arbeitet als „Housekeeperin“ – die moderne Umschreibung fürs Zimmermädchen – im Ardey-Hotel. Die täglich immer gleiche Arbeitsstruktur, ist wichtig. Ohne Routine kommt die junge Frau aus Wetter schnell an ihre Grenzen: mit angeborenem Herzfehler und Lernbeeinträchtigung.
Über 40 Integrationshotels in Deutschland
In Deutschland gibt es mittlerweile über 40 Hotels, die Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderung schaffen. In Integrationshotels sind mindestens 25 Prozent der Arbeitnehmer behindert – im Ardey-Hotel sind es 40 Prozent.
Das erste europäische Integrationshotel wurde 1993 in Hamburg als Initiative von Eltern mit behinderten Kindern gegründet. Das Kolping-Forum führt neben dem Ardey-Hotel nach gleichem Konzept das „Aspethera“ in Paderborn, in Soest wird 2017 das „Susato“ eröffnen.
Ein vergleichbares Hotel in der Region ist das „Hotel Franz“ in Essen, Träger ist das Franz Sales Haus.
Seit bald anderthalb Jahren arbeitet Rebekka Azam in dem Integrationshotel an der Ardeystraße. Wo einst das Kolpinghaus stand und lange Jahre Russlanddeutsche geschult wurden, betreibt das Kolping-Forum seit April 2011 ein 56-Zimmer-Haus. Nur das Parkhotel am Saalbau ist in Witten mit 65 Zimmern größer.
Fast zehn Jahre arbeitslos
Rebekka Azam lernte Hauswirtschaft in einem Internat für Menschen mit Behinderung in Volmarstein. Es folgte eine Stelle in einem Altenheim. Eine längere Einarbeitungszeit gestand man der jungen Frau zu. Dann sollte der Job reibungslos laufen – und das wiederum funktioniert mit Rebekka nicht. „Leuten mit psychischen Erkrankungen sieht man ihre Behinderung nicht an“, sagt Silvia Urban, ihre heutige Chefin. „Auch ich sage mir immer: Derjenige ist genauso beeinträchtig, wie jemand, der im Rollstuhl sitzt.“ Rebekka Azams Wohnbetreuer entdeckte schließlich die Stelle im Ardey-Hotel. „Ich hatte schon einige Absagen auf Bewerbungen bekommen“, erinnert sich Rebekka Azam, „aber hier ging das ratzfatz.“
Auch Melanie Weiland gehört zur Stammbelegschaft des Hotels neben dem Marien-Hospital. Die hörgeschädigte Frau arbeitet als Küchenhilfe. Gerade brät sie gewissenhaft Speck in großen Pfannen an. Die 36-Jährige arbeitet genauso viel wie ihre Kollegen, sie erhält auch genauso viel Geld – nach Hotel- und Gaststättentarif. Der einzige Unterschied: Man muss Melanie Weigelt von vorn ansprechen, damit sie von den Lippen lesen kann. Einfach etwas zurufen, geht nicht – besser an die Schulter tippen. Vor ihrem Job im Ardey-Hotel war die Herbederin fast zehn Jahre lang arbeitslos – mit Behinderung scheint es fast unmöglich, eine Anstellung zu finden.
Dienstanweisung als Bildchen
Unter den 30 Mitarbeitern im Ardey-Hotel gibt es 14 mit Behinderung: eine Rezeptionistin im Rollstuhl, Angestellte, die chronisch an Rheuma erkrankt sind, hörgeschädigt oder mit Lernschwäche. Überhaupt ist das ein wild gemixter Haufen – so gibt es zum Beispiel einen griechischen Azubi, der über ein Austauschprojekt nach Witten kam. Dass im Ardey-Hotel alles ein bisschen anders läuft, daran musste sich auch Direktorin Silvia Urban gewöhnen. „Die Arbeit ist viel persönlicher als woanders. Und die Mitarbeiter sind motivierter, die muss man teils eher bremsen.“ Aufgaben vergibt sie mitunter ungewöhnlich: „Wenn jemand nicht lesen kann, male ich ihm Bildchen.“
21 000 Gäste seit der Eröffnung
Und die Gäste? 21 000 waren es seit der Eröffnung 2014. Zu fast 60 Prozent sei das Hotel ausgelastet, für 2016 erwartet Silvia Urban steigende Zahlen. Es kommen werktags vorwiegend Geschäftsreisende, und am Wochenende Fahrradtouristen, Starlight-Express-Angucker und BVB-Fans. Stark zunehmend sei der Veranstaltungsbereich – darum bekommt das Hotel noch im Anbau drei Konferenzräume und einen Fahrradkeller. Vor allem zwei Feiern blieben Silvia Urban im Gedächtnis: eine BVB-Hochzeit, bei der der Saal in schwarz und gelb geschmückt wurde und die Kellner im Trikot herumliefen.
Und: der 100. Geburtstag eines (mittlerweile leider verstorbenen) Herrn, der es zum Abschluss mit Band, Thron und dicker Party krachen ließ. Einige Gäste wählen bewusst die „Andersartigkeit“ des Hotels. Manchmal vertiefen sich Gast und Mitarbeiter in ein Gespräch über Therapien, erzählt Urban. Oder die Gäste hinterlassen Gummibärchen – fürs Personal. Für fast alle aber ist eine Rebekka Azam bis zur Abreise: total normal.