Witten. . Edmund Oldenburg ist seit mehr als zwei Jahren auf Facebook unterwegs. Der Wittener schreibt dort Erinnerungen nieder – und Wittens Historie.

Wer seinen Kindern und Kindeskindern ein bleibendes Zeugnis davon hinterlassen will, wie es früher war, kann Tonbänder besprechen oder seine Memoiren schreiben. So machte man das früher. Oder er macht es wie der 82-jährige Oldenburg – und geht auf Facebook.

Unter zwei Adressen in dem sozialen Netzwerk hält er Selbsterlebtes vom Krieg bis heute fest und außerdem die bewegte Geschichte seiner Heimatstadt. Und da die beiden Facebook-Seiten für jedermann zugänglich sind, lesen nicht nur die fünf Kinder, fünf Enkel und sechs Urenkel von Oldenburg mit, sondern jeder, der will. Und zu den 2500 Menschen weltweit, die ihn bisher „geklickt“ haben, zählen Leser aus Ungarn, Indien, Nepal, China, Australien und Amerika.

350 Glückwünsche zum 82. Geburtstag

350 Glückwünsche bekam er jüngst zu seinem Geburtstag via Facebook. „Die haben mir mein ganzes Profil zugetextet!“, beklagt der Rentner mit leichtem Stolz. Der Schalk saß ihm schon immer im Nacken. Und er ist ein guter Geschichtenerzähler. Sagt schnörkellos, wie’s war, ohne was hinzu zu dichten, hat aber stets eine Anekdote parat. „Immer wenn ich deine Geschichten von Witten und dem Krieg lese, meine ich original, mein Vater erzählt“, bedankt sich einer seiner Leser in einem Eintrag.

Unsere Vorfahren – die Sachsen

Seine „Geschichte Wittens“ hat Oldenburg in einschlägigen Büchern recherchiert, nur „ein bisschen“, wie er sagt, auch bei Wikipedia und Google, und dann in eigenen Worten niedergeschrieben. Bei den Kelten und dann den Sachsen, die um das Jahr 550 an der Ruhr sesshaft wurden („unsere echten und rechten Vorfahren“) fängt er an, er lässt weder die Pest (1559) noch die Plünderung durch die Spanier (1599) oder die Hexenprozesse im 17. Jahrhundert aus und schon gar nicht die Gründung seines geliebten KSV Witten – anno 1907.

Mutprobe im Hallenbad

Auf das viel größere Interesse der Internetgemeinde stoßen aber Oldenburgs selbst erlebte Geschichten. Er wuchs mit sechs Geschwistern in der Siedlung Witten-Ost auf, in der er heute wieder wohnt. Er musste Lebertran schlucken, wurde in der Kinderlandverschickung von Heimweh geplagt, erlebe die Wittener Bombennächte im Bunker mit – Bilder von Toten und Zerstörung prägten sich ein. Aber daneben viele andere: Die Mutprobe beim „Jungvolk“ war der Sprung vom Fünf-Meter-Brett im Hallenbad, ohne überhaupt Schwimmen zu können. Er wurde zum Hamstern geschickt und zum „Stoppeln“ – zur Kartoffelnachernte auf den Stoppelfeldern. Und zum Badevergnügen ging’s zum Hammerteich, wo nebenan auch noch eine alte Flak-Stellung rostete, auf der die Kinder spielten. Schon gewusst? Wo heute Auto Sami an der Ardeystraße gebrauchte Autos verkauft, war dermaleinst ein Schmied . . .

Enkel richteten Computer ein

Die Themen gehen ihm nicht aus. Verständlich, dass die Enkel im Haus vor zweieinhalb Jahren sagten: „Opa, schreib das doch mal auf.“ Sie statteten ihn mit Computer und Programmen aus und zeigten ihm, „wo der Knopp zum Einschalten ist – und das andere hat sich dann daraus entwickelt“.

Ein Hinweis ist Oldenburg wichtig: Der Computer hat ein Spracherkennungsprogramm. Der 82-Jährige kann wegen einer Nervenkrankheit nicht mehr selbst tippen. Er diktiert. Tochter Birgit Oldenburg (60), die eine richtige Schriftstellerin ist, bringt dann alles am Computer in die saubere Form. Noch so eine praktische Methode, sich zu verewigen.

Ein bewegtes Arbeitsleben

Edmund Oldenburg, Jahrgang 1933, arbeitete 1947 kurze Zeit in der Schuhfabrik Stinshof. Nach der Lehre zum Werkzeugmacher bei Söding & Co. war er 20 Jahre Kranführer im Gussstahlwerk Witten, über dem glühenden Material im Heißbetrieb – „bei brüllender Hitze“.

Er war Plakatkleber, 1971 bis 1976 Vertreter für Kochtopfsets, die er auf Partys vorstellte – auch davon erzählt er. 1975 war er bester Verkäufer des Herstellers AMC in Deutschland, gewann so einen neuen BMW – „ich verdiente ein Schweinegeld“. Vier weitere Jahre war er Vertreter für die Bayerische Beamtenversicherung, dann endgültig „treppenmüde“. Zwei Jahre führte er mit seiner Frau Haus Stoltenberg in Stockum.

Die Facebook-Adressen

Zu Oldenburgs Seiten im Netz: dann „Geschichten aus Witten“, „Geschichte Wittens und Zweiter Weltkrieg“.

Kostproben aus Edmund Oldenburgs Geschichten auf Facebook

Vom Hamstern

Ein paar Tage vor Weihnachten (1947, Anmerkung der Redaktion) war mein Vater mit meinem Onkel zum Hamstern in den Polendörfern bei Minden. Er war aber bis Heiligabend nicht zurück. Unsere Mutter und wir Kinder hatten den Weihnachtsbaum geschmückt, es wurde immer später, und unsere Mutter fing an zu weinen.

Um acht Uhr ging die Tür auf, unser Vater kam schwer bepackt nach Hause. Des Rätsels Lösung war: Er war von der Ortskommandatur festgenommen worden, und der Kommandant hatte zu den beiden gesagt: Wenn ihr diesen Haufen Holz gehackt habt, könnt ihr gehen. Mein Vater und mein Onkel haben es an Heiligabend morgens geschafft. Sie wurden von den Polen gefragt, ob sie Kinder hätten – daraufhin packten sie die Rucksäcke der beiden so voll, dass sie Mühe hatten, sie zu tragen. Die Freude war natürlich riesengroß! Ich kann das kaum beschreiben. Sogar jetzt noch kommen mir die Tränen. (Auszug aus „Hamsterzeit“)

Die neugierige Vermieterin

Nachdem ich meine Kündigung auf dem Gussstahlwerk eingereicht hatte (1970, Anm. d. Red.), wurde mir meine Werkswohnung in Heven gekündigt. Auf dem Wohnungsmarkt fand ich eine passende in Stockum, 110 Quadratmeter für 1200 DM einschließlich Nebenkosten, zuzüglich Stadtwerke. Kurz nach meiner Bewerbung klingelte es abends in unserer Hevener Wohnung. Eine Frau kam die Treppe hoch, stellte sich vor unsere Kinderschuhe, die auf dem Flur der Reihe nach aufgestellt waren und sagte: „Das habe ich ja noch nie gesehen, fünf Kinder und alle Schuhe so ordentlich aufgestellt – sie haben die Wohnung!“

Die Gaststätte in Stockum

Nach unserem Umzug gingen wir mit unseren Helfern in eine Stockumer Gaststätte. Ab sofort brauchten wir nicht mehr ins Kino zu gehen. Die Wirte waren zwei Originale. Sie zankten sich zur Belustigung der Gäste fast ununterbrochen. Beide tranken sich gerne einen. Brachte einer ein Tablett mit Getränken zur Kegelbahn, trank der andere schnell ein, zwei Weinbrand. (Auszüge aus „Leben in Stockum).