Witten. . Wenn der Hebesatz zum Jahr 2016 um ein Drittel steigt, bezahlen Mieter die Zeche über die Nebenkosten mit.

Um satte 32 Prozent, also um gut ein Drittel, wird die Grundsteuer B steigen, wenn der Rat dem Vorschlag von Kämmerer Matthias Kleinschmidt folgt, den Hebesatz zum 1. Januar von 690 auf 910 Prozentpunkte zu erhöhen. Er rechnet dadurch mit jährlichen Mehreinnahmen von 7,5 Millionen Euro.

Auch wenn sich die Große Koalition noch ziert: Die Zustimmung gilt als ausgemacht. Den entsprechenden „Vorratsbeschluss“ hatte der Rat schon vor Jahresfrist für den Fall gefasst, dass der städtische Haushalt nicht auf andere Weise zu retten wäre. Andernfalls müsste Witten auf Mittel aus dem Stärkungspakt verzichten. Die Haushaltsdaten haben sich aber weiter verschlechtert. Die Grundsteuer-Erhöhung erscheint alternativlos.

Die Vertreter von Hauseigentümern und Mietern sind enttäuscht bis entrüstet: Ihre schlimmsten Befürchtungen werden wahr. Der Kreisverband Wohneigentum, der 2500 Haus- und Wohnungseigentümer in Witten vertritt, hatte Bürgermeisterin Sonja Leidemann bereits Ende Januar 2141 Unterschriften gegen die weitere Erhöhung überreicht – auch dieser massive Protest blieb ohne Erfolg.

Anstieg um 94 Prozent in vier Jahren

Die Wohnungsgenossenschaft Mitte spricht von einer „Grundsteuer-Explosion“. Sie erinnert daran, dass der Wittener Hebesatz für die Grundsteuer B 2012 noch 470 Punkte betragen hatte. 2013 stieg er auf 590, 2015 auf 690 Punkte. 910 Punkte 2016 wäre dann eine Erhöhung um 94 Prozent in vier Jahren.

Witten-Mitte ist mit 1770 Wohnungen die größte Genossenschaft in Witten. „Bei uns macht diese Erhöhung 2016 jährlich rund 170 000 Euro aus“, sagt Vorstand Gerhard Rother. Würde die Genossenschaft alles über die Nebenkosten-Umlage durchreichen, würde die „zweite Miete“ um 100 bis 150 Euro pro Wohnung steigen. „Das ist für unsere Mieter schon eine heftige Summe.“

Betriebskostenerhöhung oder Verzicht auf Modernisierung

Die Genossenschaft habe sich bemüht, die Erhöhungen der letzten Jahre durch Umstellungen bei Gasverträgen und Versicherungen oder durch einen Wechsel des Kabelanbieters aufzufangen. Als Alternative zu einer Nebenkostenerhöhung bliebe nur, auf umlagefähige Investitionen zu verzichten. „Wir müssen erst einmal genau berechnen, wie viel wir an die Mieter weitergeben“, so Rother, „wir wollen den Anstieg auf jeden Fall so moderat wie möglich halten, so dass die Mieter nicht auf die Barrikaden gehen müssen.“

„Das ist der reine Wahnsinn“, macht Bernd Colditz, Geschäftsführer von Haus und Grund Annen e.V., seinem Ärger über die Grundsteuererhöhung Luft. Er vertritt 700 Eigentümer von rund 1500 Mehrfamilienhäusern und Eigentumswohnungen, die größtenteils vermietet sind. „Das wird zu einer weiteren Betriebskostenerhöhung führen, es sind die Mieter, die die Zeche zahlen.“ Colditz rechnet seit 25 Jahren Betriebskosten für Eigentümer ab. Diese machten mittlerweile „einen Riesenanteil der Miete“ aus. Nicht nur bei der Grundsteuer habe Witten „zugeschlagen“, beklagt Colditz, „auch bei Wasser und Entwässerung liegen wir mit an der Spitze in NRW“.

Mieterverein: „unsozial“

Der Mieterverein, der 3500 Wittener vertritt, hatte die jetzt anstehende Grundsteuererhöhung auf 910 Punkte bereits vor einem Jahr als „beispiellos und unsozial“ verurteilt. Sie führe zu „erheblichen Mieterhöhungen, ohne dass sich irgendwas für Mieterinnen und Mieter bessert“, so eine einstimmig beschlossene Resolution. Der Versuch der NRW-Regierung, überschuldete Städte mit dem Stärkungspakt auf einen schnellen Haushaltsausgleich zu verpflichteten, sei gescheitert. Der Mieterverein fordert vom Land ein neues Sonderprogramm für „finanziell und strukturell handlungsunfähige Städte wie Witten“.

Grundsteuer A und Grundsteuer B fließen an die Stadt

Die Grundsteuer A wird auf land- und forstwirtschaftliche Fundstücke, die Grundsteuer B auf andere bebaute Grundstücke erhoben. Grundlage ist der vom Finanzamt ermittelte Einheitswert. Dieser wird mit einem nutzungsabhängigen Tausendsatz multipliziert (2,6 Promille für Einfamilienhäuser, 3,1 Promille Zweifamilienhäuser, 3,5 andere Grundstücke). Daraus ergibt sich der Grundsteuermessbetrag. Dieser wird mit dem Hebesatz der Gemeinde multipliziert.

Die Grundsteuer A beträgt seit 2013 250 %. Ertrag 2014: 54 500 Euro. Sie soll auf 380 % steigen. Plus: 45 800 Euro.

Grundsteuer B 2015 (690 %) zu 2016 (910 %): 2-Fam.-Haus 1095/1444 Euro; 6-Fam.-Haus Genossenschaft 1663/2193 Euro; 8-Fam-Haus privat 2454/3235 Euro; Geschäftshaus obere Fußgängerzone 15 640/ 20 626 Euro; Eigentumswohnung City 329/435 Euro. Industriebetrieb 600 104/791 442 Euro.