Witten. . Das Pop-Oratorium der Ev. Kirche von Westfalen und der Creativen Kirche begeistert am Reformationstag in der Westfalenhalle 16 000 Zuschauer.
Mögen draußen ruhig die Hexen um die Häuser ziehen – in der Dortmunder Westfalenhalle wurde am Samstag nicht Halloween gefeiert, sondern Reformationstag. Und das so gar nicht protestantisch-nüchtern, sondern mit einem bunten, mitreißenden, fetzigen Bühnenspektakel. Mit der Weltpremiere des Pop-Oratoriums „Luther“.
Größer, höher, weiter – die ambitionierten Projekte der Creativen Kirche haben sich in den letzten Jahren zu Mega-Events gemausert. Mit „Luther“ sprengen die Wittener alles bisher Dagewesene: Ein Chor von 3023 Stimmen, die ältesten 83, die jüngsten gerade neun Jahre alt, so viele Sänger bringt sonst nur Gotthilf Fischer zusammen. Dazu „Das junge Orchester NRW“, ein Dutzend junge, großartige Solisten und insgesamt 16 000 Zuschauer in der zweimal ausverkauften Großen Halle: Damit schaffte es „Luther“ am Samstag sogar in die Tagesschau.
Licht-Buchstaben tanzen in der Höhe
Dabei ist das Oratorium aus der Feder von Dieter Falk (Musik) und Michael Kunze (Text) keine opulente Musical-Produktion, sondern eher ein Singspiel mit einem (über-)mächtigen Chor. Die Solisten haben nur wenige Requisiten, kaum Kostüme – Luther trägt Kapuzenpulli, der Kaiser eine Base-Cap –, die Bühne ist nackt. Sie spielen allein vor dem Hintergrund der 3000 Sänger. Die wenigen Mittel aber, die Regisseur Andreas Gergen in diesem Spiel einsetzt, wirken umso beeindruckender: Laserlicht taucht die Bühne in eine überirdische Atmosphäre, Nebel wabern, wenn Luther mit sich ringt und sein Name tanzt aus Licht-Buchstaben in der Höhe beim Titelsong, den man anschließend kaum wieder aus dem Ohr bekommt.
Daten, Zahlen und Fakten zur Aufführung
Von den 3023 Sängern waren 1400 evangelisch, 700 katholisch und 170 freikirchlich.
Die Teilnehmer kamen zum Teil von weit her: Rund 90 Sänger kamen aus Hamburg, 15 aus Glashütten in Bayern – und ein Ehepaar aus Pennsylvania. Insgesamt beteiligten sich 85 Chöre und etwa 750 Einzelsänger.
Mit der Doppel-Aufführung ist das Projekt nicht zu Ende: Im Reformationsjahr 2017 wird „Luther“ auf Tournee gehen – am 4. Februar etwa wird das Oratorium in Düsseldorf aufgeführt, am 29. Oktober in Berlin. Am nächsten Sonntag schon sind Komponist Dieter Falk und Hauptdarsteller Frank Winkels um 18 Uhr beim Stadtgottesdienst Himmelwärts im Saalbau zu Gast.
Überhaupt sind die Lieder so eingängig, dass die Zuschauer sie rasch mitschmettern können – und das nicht nur bei den eingewobenen Chorälen wie „Ein feste Burg“. Mitmachen ist ausdrücklich erlaubt, Bildschirme zeigen den Text, die Dirigenten – gleich drei sorgen für ein geordnetes Miteinander – helfen dem Publikum musikalisch.
Erzählt wird vom Reichstag in Worms
Das Stück erzählt nicht Luthers ganzes Leben, sondern nur die Ereignisse vom Reichstag in Worms. Luther, der den Ablass-Handel öffentlich kritisiert hatte, wird vom Kaiser nach Worms zitiert und der Ketzerei beschuldigt. Er wird aufgefordert, seine Schriften zu widerrufen – sonst droht sein Tod im Feuer. Der Mönch zagt und zaudert, bleibt letztlich aber unbeugsam. „Hier stehe ich, ich kann nicht anders!“ Das anschließende Amen aus über 3000 Kehlen gehörte zweifellos zu den Gänsehaut-Momenten des Abends.
Doch unter die Haut gingen auch die leichteren Lieder – obwohl sie so eingängig waren. Oder vielleicht gerade darum: Bei „Wir sind Gottes Kinder“ verbreitet sich Kirchentags-Gefühl in der Halle und Superintendent Ingo Neserke hält nichts mehr auf dem Stuhl. Er springt als erster auf, tanzt und klatscht mit. Und dann stehen sie plötzlich alle.
Die Botschaft kommt rüber
Es dauert lange, bis das Publikum die Akteure von der Bühne gehen lässt. Überall nur strahlende Gesichter: „Das war mein Luther wie er leibt und lebt“, schwärmt Superintendent Neserke. „Luther“ habe ihm noch besser gefallen als „Die zehn Gebote“, das letzte Groß-Projekt der Creativen Kirche. „Es ist noch fetziger und trotzdem kommt zugleich die Botschaft besser rüber.“
„Super spannend“ findet Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe die Idee, die „Botschaft der Reformation in die heutige Zeit zu bringen“. Warum er zur Premiere gekommen ist? „Ich bin ein Fan der Musik von Dieter Falk“, erklärt er und prophezeit, dass auch die Luther-Songs zu Hits werden könnten: „Das sind Ohrwürmer.“
Creative Kirche hat an das Projekt geglaubt
„Toll, einfach imposant“, dieses Fazit zieht Pfarrer Johannes Ditthardt. Er habe ja schon einige Proben sehen dürfen. „Aber hier mit Chor, Licht und dem Orchester, das ist noch mal was anderes.“ Ihm hat das Spiel von „Luther“ Frank Winkels besonders gefallen: „Diese tiefe Zerrissenheit.“ Und noch etwas lobt der Wittener Pastor an diesem Abend in der Westfalenhalle: „Es ist schon toll zu sehen, wie sich die Creative Kirche entwickelt hat. Wie die ihren Weg gegangen ist, wie sie an das Projekt geglaubt hat, ohne zu wissen, ob es letztlich glückt.“
Aber geglückt ist es, daran lässt Martin Bartelworth, der Geschäftsführer der Creativen Kirche, keinen Zweifel. „Das war heute ein Höhepunkt unserer Arbeit“, sagt er und zollt dem Team und dem Projektchor „höchsten Respekt“. So wie Boris Becker mit seinen Wimbledon-Siegen das Tennisspielen populär gemacht habe, so wolle die Creative Kirche mit diesen Projekten das Singen verbreiten.
Anspruchsvolle Chorpartitur
Das Konzept scheint zu funktionieren: „Ja, wir überlegen schon, ob wir 2017 nicht auch in Berlin wieder mit dabei sind“, erzählt Michael Baloniak. Der Stockumer hat extra für „Luther“ einen Projekt-Chor ins Leben gerufen, mit 15 Mann – pardon: Frauen – war „Ratz+Fatz“ in Dortmund dabei. „Einfach nur super“, lobt der 54-Jährige: „Das Gesamtpaket hat einfach gepasst.“
Ein halbes Jahr habe man an den Liedern gearbeitet. „Ja, sie sind eingängig, aber das heißt nicht, dass sie auch leicht zu singen wären“, erklärt der Chorleiter. Und auch nicht zu lesen: „Die Partitur hat über 100 Seiten.“ Baloniak hat den Tag der Aufführung genossen: Auf der Bühne sei alles noch mal eindrucksvoller gewesen. „Und als die Halle gebebt hat, hatte ich Gänsehaut.“ Nur für die Aftershow-Party hat seine Kraft dann nicht mehr gereicht. Der Tag war lang – aber wunderschön.