Witten. . Er versucht, Frieden zu stiften, wenn andere sich streiten. Der Hevener Bergbau-Ingenieur Paul Stahl ist seit 24 Jahren Schiedsmann. Ein Ehrenamt.

In Witten gibt es sechs von ihnen: vier Männer und zwei Frauen. Bürger, die sich als ehrenamtliche Schiedsleute in der Stadt um eine außergerichtliche Schlichtung von Streitigkeiten und kleineren Strafsachen kümmern. Paul Stahl ist einer von ihnen. In seinen 24 Jahren als Schiedsmann hat der Hevener schon einiges erlebt. Und immer hat’s gemenschelt.

Stahl lädt Streithähne, für die er zuständig ist, zu sich nach Hause in die Billerbeckstraße ein. Und kommt gleich auf das Wichtigste zu sprechen: „Beim Schiedsamt gibt es kein Urteil, da wird nicht gerichtet, sondern geschlichtet.“ Was ihm bei jedem zweiten seiner bisherigen rund 300 „Fälle“ gelang, wie der 78-Jährige erzählt.

Bellende Hunde, Laub von nebenan

Worum geht es, wenn man ihn aufsucht? „Ganz viel um Nachbarschaftsstreitigkeiten – vom Hund, der zu laut bellt, bis zum Laub, das aus Nachbars Garten herüberweht.“ Auch für einige Strafsachen seien Schiedsmänner zuständig, „etwa für leichtere Sachbeschädigungen, Bedrohungen, für Körperverletzungen ohne Einsatz von Waffen“. Wer von einem anderen beleidigt worden sei oder Opfer einer Körperverletzung wurde – „zum Beispiel durch einen Faustschlag oder Fußtritt“ – müsse erst versuchen, sich bei einem Schiedsmann mit seinem Gegner zu einigen. Stahl: „Erst wenn da der Streit nicht beigelegt werden kann, ist der Gang zum Gericht möglich.“ Was viele Menschen gar nicht wüssten.

So findet man Schiedsleute

Witten hat sechs Schiedsbezirke und damit sechs Schiedsleute. Wer wissen möchte, welcher Schiedsmann, welche Schiedsfrau für ihn zuständig ist, wird auf dem Internetportal der Stadt (www.witten.de) fündig.

Hier den Suchbegriff „Schiedsamt“ eingeben, dann unter „Schiedsbezirke“ gucken. Paul Stahl: „Zuständig für einen Fall ist immer das Schiedsamt, in welchem der Antragsgegner (Beschuldigter) seinen Wohnsitz hat.“

Wer keinen Internetzugang hat, kann die zuständige Schiedsperson bei Friederike Knorn vom Rechtsamt erfragen: Tel. 02302/581 3013 oder per Mail: rechtsamt@stadt-witten.de. Das Rechtsamt betreut die Wittener Schiedsleute, die vom städtischen Haupt- und Finanzausschuss für fünf Jahre gewählt werden. Geschult werden Schiedsleute vom Bund deutscher Schiedsmänner und Schiedsfrauen (BDS).

Schlichtungsverfahren vor Klage

Ein außergerichtliches Streitschlichtungsverfahren ist für eine Reihe von zivilrechtlichen Streitigkeiten vorgeschrieben. Bei diesen ist eine Klage nur zulässig, wenn vorher versucht wurde, im Schlichtungsverfahren den Streit einvernehmlich beizulegen. Schiedsleute dürfen auch im Rahmen von Straftaten tätig werden, die im Normalfall – wegen fehlenden öffentlichen Interesses – mittels des Privatklageverfahrens zu verfolgen sind, wie es im Juristendeutsch heißt. Etwa bei leichteren Fällen von Hausfriedensbruch, Beleidigung oder kleineren Sachbeschädigungen. jub

Der gelernte Schlosser und Bergbau-Ingenieur ist ein Mann mit einem gesunden Menschenverstand. Den braucht ein Schiedsmann – unbedingt. Daher schlugen ihm Parteifreunde aus der SPD auch einst vor, ein solches Ehrenamt zu übernehmen. Paul Stahl hat es nicht bereut, „auch wenn ich innerlich schon sauer bin, wenn ich merke, dass Leute sich bei mir gar nicht friedlich einigen wollen“.

Preisgünstige Einigung

Auch nach Kopfschütteln ist ihm manchmal zumute. „Beispiel: Eine Frau hat sich an mich gewandt, weil sie den Zaun der Nachbarin nicht ansehnlich genug fand.“ Sie wollte, dass der Schiedsmann dann auch gleich notiere, dass die Gegnerin dement sei. Warum sie das denn glaube, wollte Stahl wissen. Die resolute Antwort: „Ich bin doch Krankenschwester!“

Auch um krähende Hähne hat er sich schon gekümmert. „Man hat sich geeinigt. Der Halter hat die Tiere abgeschafft.“ Die Ruhe war nicht von Dauer. „Irgendwann krähte es wieder. Zum Schluss war das ein Fall für den Gerichtsvollzieher.“

Wem im Nachbarschaftsstreit an einer friedlichen Einigung gelegen ist, der schont seine Nerven und den Geldbeutel. Stahl: „Ich berechne 25 Euro plus Sachkosten, wie etwa Porto, wenn eine Schlichtung gelingt.“ Die Hälfte dieses Betrages erhalte übrigens die Stadt. „Die ist zuständig für die Einrichtung und Unterhaltung der Schiedsämter.“