Witten.
„Bitteschön?“ Durch ein klitzekleines Fenster muss Zeynep Özsoy den Kopf stecken – mehr Öffnung darf nicht sein. Denn auch die Sprossenfenster des Kiosks am Ossietzkyplatz an der Breite Straße sind denkmalgeschützt. Trotzdem: Für freundliche Worte ist in dem kuriosen Bau trotzdem genug Platz. Unsere Zeitung hat auch in das Büdchen des Ehepaars Özsoy mal rein- und rausgeschaut.
Seit sieben Jahren führen mein Mann Özcam und ich diesen Kiosk am Ossietzkyplatz. Früher hatten wir einmal den Kiosk am Crengeldanz. Als Familie, wir haben ja zwei Kinder, ist das natürlich nicht einfach. Ich arbeite den ersten Teil des Tages und irgendwann wechseln wir uns ab. Wir haben sieben Tage in der Woche, von 8 bis 22 Uhr geöffnet.
Gemeinsame Zeit haben wir eigentlich nur in den Sommerferien. Unser Publikum wechselt sehr stark: Morgens kommen Leute für die Zeitung, mittags die Kinder für die gemischte Tüte. Blaue Weingummi-Schlümpfe werden nach wie vor am meisten zugemischt. Aber am häufigsten werden Zigaretten verkauft. Dabei haben wir alles, auch Eier oder Milch, so was, was man gern mal vergisst. Dass das Gebäude mit Graffiti beschmiert ist, ärgert uns.
Anfangs haben wir auch die Türen gestrichen. Aber die sind auch schon wieder voll. Das sieht echt schäbig aus! Bei uns wurde auch schon dreimal eingebrochen. Die Diebe haben sich durch das kleine Fenster gequetscht, das muss man sich mal vorstellen! Aber seit wir eine gute Alarmanlage haben, ist mit den Einbrüchen Ruhe eingekehrt.
An unserem Kiosk war ich übrigens als Kind selbst Kundin. Lustig, nicht? An der Breite Straße war meine Bushaltestelle und da lief man ja auf dem Weg zur Schule hier vorbei. Da hab’ ich mir dann was Süßes gekauft. Heute sitze ich selbst hinter den Süßigkeiten. Den Geruch nehme ich schon gar nicht mehr wahr. Langweilig wird uns hier eigentlich nie. Wir haben keinen Fernseher oder so was im Innenraum stehen, es ist ja überhaupt ganz winzig. Aber man kann lesen. Oft kommen auch Freunde vorbei und wir trinken Tee. Und viele Kunden wollen natürlich reden. Über Politik oder Fußball. Meistens habe ich keine Ahnung davon, aber Zuhören schadet doch nicht!“
Zeynep Özsoy, 36, Kioskbesitzerin
Dieser Kiosk ist ein besonderes
Bauwerk: Weil man bei
dessen Errichtung 1925 versucht
hat, einen Zweckbau im expressionistischen
Stil der 1920er Jahre
architektonisch aufzuwerten. Der
Großteil des Gebäudes ist ein Trafohäuschen
der Stadtwerke, hinzu
kam ein öffentliches WC und eben
der Kiosk. Ziel war es, eben keinen
schnöden Betonklotz in eine Wohnumgebung
zu stellen. Und so
brauchte es einen Hingucker, der
den Platz belebt – auch deswegen
wählte man wohl einen Kiosk.
Einen weiteren Kiosk unter Denkmalschutz
gibt es in Witten nicht.
Aber das Büdchen vom Ossietzkyplatz
hat ja ein Pendant aus den
50er Jahren: Das ist der gläserne
Rundkiosk an der Hauptstraße,
neben dem Rathaus. Auch hier wurde
ein Trafohäuschen wunderschön
verkleidet. Allerdings wurde dieser
Kiosk für die Verkehrsgesellschaft
entworfen, um Fahrkarten zu verkaufen.
Aber das Prinzip – Verbindung
zwischen technischem Bauwerk
und Ladenlokal – ist gleich.“
Florian Schrader, Denkmalpfleger
Wenn ich mit dem Hund gehe,
dann schaue ich auch an
der Bude vorbei. Ich bin ja kein
klassisches Kioskpublikum, wissen
Sie. Aber eine Zeitung, mal ein Eis
oder die Fernsehzeitung kaufe ich
schon mal. Das sind nette Leute,
ich mag die. Und so ein Büdchen
ist einfach schön, das belebt.“
Werner Stadler, 75
Ich bin schon als Kind sehr
gern zur Bude gegangen, um
Lakritzschnecken oder Brausebonbons
zu kaufen. Da gab mir mein
Vater immer 50 Pfennig, oder wenn
es gut lief, ‘ne Mark. Inzwischen
kaufe ich meinen Tabak hier oder
‘ne kleine Flasche Wasser. Ich mag
die Vertrautheit. Das Zwischenmenschliche
findet man eben nicht
im Discounter. Und den Kontakt mit
unterschiedlichen Kulturen finde
ich gut. Das konzentriert sich hier
an der Ecke zur Breite Straße ja total.
Manchmal gehe ich sonntags
hierher und dann kaufe ich mir wie
früher ein Tütchen Bonbons. Da bin
ich irgendwie ganz kindisch.“
Roland Börger, 49